Bis Ende Juli sollten die Vorgaben zur neuen Kurzarbeit stehen. Bleibt es dabei?
WOLFGANG KATZIAN: Das ist nach wie vor mein Wunsch. Es wäre im Sinne der Planungssicherheit gut, dass man möglichst rasch weiß, wie es weitergeht. Wir haben gute Gespräche auf Sozialpartnerebene und mit der Regierung, auch ein gutes Klima. Aber wir sind noch ein Stück von der Lösung entfernt.
Sie haben einmal gesagt, die Gespräche verliefen zäh.
Zähigkeit hat nicht nur etwas damit zu tun, dass ein Gesprächspartner nicht will. Das hängt auch von den Rahmenbedingungen ab. Als wir vor gut drei Wochen begonnen haben, war die Grundstimmung, das Schlimmste bei Corona hätten wir überstanden.
Der Optimismus ist verflogen?
Seit Freitag haben wir wieder eine Maskenpflicht und regionale Cluster, die ganz schön geschmalzen sind. Schaut man auf Arbeitsmarkt und gesundheitspolitische Rahmenbedingungen, hat sich zur Situation gegenüber März und April nicht viel verändert, außer dass die Zahlen Gott sei dank besser sind. Vor drei Wochen hätte ich noch gesagt, wir brauchen ganz was anderes für die Zukunft.
Bleibt es bei Ihren Forderungen zur Kurzarbeit: Zumindest 40 Prozent Arbeitszeit und Prüfung der wirtschaftlichen Notwendigkeit?
Wir sind mitten in Verhandlungen, zu Inhalten will ich Moment nichts sagen.
Rechnen Sie damit, dass sich im Herbst Hunderttausende in Kurzarbeit wiederfinden werden?
Wir haben 433.000 Menschen ohne Arbeit, eine Wahnsinnszahl. Das Alarmierende: darunter sind fast 64.000 Jugendliche. 456.000 Menschen sind in Kurzarbeit. Wir erwarten in bestimmten Branchen im Herbst größere wirtschaftliche Probleme: etwa in Bereichen der Industrie. Auch in Tourismus und Gastronomie wird es nach der Entspannung jetzt im Herbst Probleme geben. Ich glaube, dass der Bedarf an Kurzarbeit sehr groß sein wird.
Was muss die neue Kurzarbeit daher leisten können?
Mir ist wichtig, dass die Kurzarbeit wieder genau das ist, wofür sie konzipiert wurde: Dass die Menschen nicht arbeitslos werden, dass Kaufkraft möglichst erhalten bleibt, aber zugleich eine wirtschaftliche Begründung vorliegen muss. Es kann nicht sein, dass, wie in der Krise, jeder, der wollte, Kurzarbeit machte – de facto sind die durchgewunken worden. Kurzarbeit war aber nie zur Optimierung des eigenen Geschäftsmodells gedacht, sondern für wirtschaftliche Notlagen.
Wo orten Sie noch Änderungsbedarf?
Wir wollen, dass die Menschen, sicher arbeiten können. Man sieht, dass da und dort ein Schlendrian einkehrt. Wir müssen wieder Druck für mehr Sicherheit der Arbeitnehmer aufbauen. Ich finde es sehr gut, dass die GPA-djp sich dafür einsetzt, dass Beschäftigte im Supermarkt nach zwei Stunden Arbeit mit der Maske eine viertelstündige bezahlte Pause verdient haben.
Europaweit haben knapp 100 Millionäre gefordert, höher besteuert zu werden. Bestärkt Sie das in Ihren Forderungen?
Es gibt auch in Österreich Millionäre die sagen: Wenn das Ganze für etwas Gescheites ist, wären manche bereit, mehr herzugeben, etwa für Bildung. Ja, es gibt die gierigen, die gar nichts hergeben wollen. Aber es gibt gar nicht so wenige, die etwas hergeben würden. Wenn die einen Beitrag leisten wollen, warum sollen wir das nicht nutzen? Ich habe sehr viel Lust, über solche Modelle zu diskutieren.
Das Steuer- und Sozialsystem hängt an der Beschäftigung, die sinkt aber. Wird man über eine Wertschöpfungsabgabe oder Maschinensteuer reden müssen?
Wir haben 1,4 Millionen Menschen, die nicht in Vollzeit arbeiten. Zählen Sie Menschen in Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit dazu, haben Sie über 2 Millionen Menschen, die nicht Vollzeit beschäftigt sind. Arbeitszeitverkürzung findet statt, aber in ihrer unsozialsten und unmenschlichsten Art. Die Beitragseinnahmen sinken, wir brauchen daher andere Berechnungsgrundlagen zur Finanzierung des Gesundheitssystems. Eine Möglichkeit ist die betriebliche Wertschöpfung.
Vizekanzler Kogler, aber auch Wirtschaftsexperten, fordern wie Sie ein höheres Arbeitslosengeld, sind aber in der Folge für eine rasche Absenkung. Können Sie dem etwas abgewinnen?
Das ist sozial kalt. Es gibt fünf Gründe gegen ein degressives Arbeitslosengeld: Wir haben mehr Arbeitslose als offene Stellen – derzeit 63.000 offene Stellen bei 433.000 Arbeitslosen. Wie sich das ausgehen soll, müssen mir die Erfinder sagen. Ein sinkendes Arbeitslosengeld kann dazu führen, dass man irgendeinen Job annimmt. Es gäbe keine Ersparnis. In Ländern mit degressiven Modellen haben wir einen Billiglohnsektor, Lohndumping brauchen wir aber bei uns nicht. Und es käme zu sozialer Spaltung. Teilzeitbeschäftigte, also Frauen, wären überproportional betroffen.
Sie sind für die Anhebung der Ersatzrate auf 70 Prozent. Sehen Sie Bewegung in der Regierung?
Ich glaube schon, dass es Bewegung gibt, wenn sich die Arbeitslosigkeit so weiter entwickelt – ob es eine zweite Einmalzahlung wird oder ein höheres Arbeitslosengeld, traue ich mich nicht zu beurteilen. Wir setzen uns für eine Erhöhung ein, damit die Leute nicht in Armut abrutschen.
Agiert die Regierung sozialpolitisch kälter als zu Krisenbeginn?
Da bin ich mir noch nicht ganz sicher. Jedenfalls muss die Regierung jetzt Geld in die Hand nehmen, um den Menschen mehr Sicherheit zu vermitteln. Sie hat sich eh was erspart in Europa, da wird wohl einiges für Arbeitnehmer drinnen sein.
Sie fordern eine 4-Tages-Woche. Warum soll das sinnvoll sein?
Man muss die Arbeit, die insgesamt weniger wird, gut verteilen. Zu schreien, dann würden Land und Wirtschaft zusammenbrechen, ist Blödsinn. Wir haben eine Produktivitätssteigerung, von der nur ein Teil in Form höherer Löhne abgeschöpft wird. Daher gibt es die Möglichkeit, die Arbeitszeit zu verkürzen.
Wirtschaftsvertreter klagen, das würde die Wettbewerbsfähigkeit Österreichs gefährden.
Es sollte keiner so tun, als käme ein verrückter Gewerkschaftsmensch auf die Idee, die Arbeitszeit von heute auf morgen zu senken. Es gab noch nie eine Arbeitszeitverkürzung von einem Tag auf den anderen. In der Regel erfolgt das schrittweise in drei, vier oder fünf Jahren.
Erwarten Sie sich heuer besonders schwierige Kollektivvertragsverhandlungen?
Uns geht es immer darum, die Kaufkraft zu sichern, alles andere wäre unvernünftig. Die Heldinnen und Helden darf man bei den KV-Verhandlungen keinesfalls aus den Augen verlieren.