Beim Marathongipfel kam es zur Einigung übers EU-Budget. Anfänglich waren Kürzungen im Agrarbudget zu befürchten.
ELISABETH KÖSTINGER: Ich sehe für uns einen Verhandlungserfolg und einen Meilenstein in der Agrarpolitik. Im ersten Vorschlag war mit einem Minus von 770 Millionen Euro im Agrarbudget zu rechnen, nun gibt es eine Erhöhung um 35 Millionen. Für Österreich ist eine Stärkung der ländlichen Entwicklung überlebensnotwendig, hier gibt es ein Plus von 4,1 Prozent. Bei den Direktzahlungen haben wir ein Minus von 2,6 Prozent.
Die Reform der gemeinsamen Agrarpolitik soll sich am Green Deal orientieren?
Grundsätzlich ist der Green Deal absolut zu begrüßen. Klimaschutz ist unsere Hauptaufgabe, wir müssen die Weichen auch in Richtung Transformation unseres Wirtschaftssystems stellen. Nur zwischen gut gemeint und schlecht gemacht ist ein Unterschied. Unsere Sorge ist, dass zum einen die Umsetzung nicht wirklich kohärent ist mit den Programmen und wir unsere Mehrleistungen, die wir bisher abgegolten bekommen haben, verlieren. Das wäre ein Rückschritt für die heimische Landwirtschaft, die da ja schon sehr weit ist.
Und die Übergangsfrist? Ein Jahr oder zwei Jahre?
Mir ist wichtig, dass wir Planungssicherheit haben. Ich weiß, dass vor allem größere Mitgliedsländer das nicht schaffen, innerhalb eines Jahres weitreichende Veränderungen umzusetzen. Parlament und Rat haben eine Übergangsfrist von zwei Jahren vorgeschlagen, derzeit hält nur die Kommission an einem Jahr fest. Es wird zwei Jahre brauchen. Wir müssen ja auch alle Beschlüsse durch Nationalrat und Bundesrat bringen, in Deutschland muss jedes einzelne Bundesland damit befasst werden. Die Implementierung ist ein komplexer Vorgang. Dazu kommt, dass die Vorschläge der EU-Kommission – die GAP-Strategiepläne – weitreichende Veränderungen mit sich bringt, etwa durch das neue Ökoschema.
Es geht auch um „farm to fork“, also verkürzte Wege zwischen Bauernhof und Konsument. Wie weit sind wir da?
Eine Strategie ohne verpflichtende Herkunftskennzeichnung von Lebensmitteln steht auf sehr wackeligen Beinen. Wenn der Anspruch ist, Transportwege zu verkürzen und regionale Herkunft zu stärken, dann brauchen wir das. Das fehlt in der „farm to fork“-Strategie gänzlich, das ist mein Hauptkritikpunkt. Konsumenten sehen nicht, woher die Rohstoffe bei verarbeiteten Lebensmitteln kommen. Bei Frischfleisch haben wir es schon geschafft.
Der Tönnies-Skandal in Deutschland hat Auswirkungen auf den Schweinefleischpreis.
Wir haben einen Preiseinbruch von bis zu zehn Prozent. Deutschland kann nicht in vollem Ausmaß exportieren. Die Mengen bleiben im Binnenmarkt, das bringt uns massiv unter Druck. Durch die Krise geht die Nachfrage zurück, da ist es für die kleinen Betriebe schwer. Wir wollen, dass die EU-Kommission mit der privaten Lagerhaltung ein Sicherheitsnetz spannt.
Ist ein Ausbau der Regionalität aber nicht eigentlich schlecht für den Binnenmarkt an sich? Sollte man nicht eher über die Grenzen hinweg denken?
Vor allem im Zusammenhang mit Klimawandel liegt ein großer Hebel in kurzen Transportwegen. Das ist vielleicht auch ein Dilemma der Weltwirtschaft. Wir setzen auf Qualitätsproduktion. Die Coronakrise hat wie ein Brennglas gewirkt, das Missstände ans Licht bringt. Etwa was die Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie beim Produzenten in Gütersloh betrifft. In Österreich haben wir schon seit über zehn Jahren Kollektivverträge für Arbeiter in Fleischbetrieben. Aber die Rabatt-Schlachten im Lebensmitteleinzelhandel sind gerade im Fleischbereich derzeit moralisch ziemlich verwerflich. Wenn Lebensmittel dermaßen verschleudert werden, dann hat das mit Wertschätzung gegenüber dem Bauern bzw. dem Produkt wenig zu tun.
Aber hier gab es auch in Oberösterreich einen Coronacluster in einem Fleischbetrieb?
Das ist nicht vergleichbar. Der Betrieb in Gütersloh hat 6500 Mitarbeiter, der größte Betrieb in Österreich kommt auf 400. Bei uns verdienen die Mitarbeiter auch deutlich mehr, das ist alles nicht vergleichbar.
Woher kommen die Arbeiter?
Neben den inländischen Arbeitskräften sind es bei uns oft Wochenpendler aus Tschechien, der Slowakei, Ungarn und Slowenien. Das heißt aus der näheren Umgebung Österreichs.
Sie befürchten, dass im Zuge der Reformen Lebensmittelproduktion in Drittstaaten ausgelagert werden könnte?
Die Kommission hat auch die Biodiversitätsstrategie vorgelegt, die wir in den Zielen unterstützen, wo wir aber auch eine Folgenabschätzung haben wollen. Wenn ich etwa Produktionsbereiche herausnehme oder beim Betriebsmitteleinsatz zurücknehme, ist die Frage, was das für Auswirkungen auf Europa hat. Wenn ich hier permanent die Auflagen nach oben schraube, kommt die Produktion von außerhalb.
Wie lässt sich das verhindern?
Indem man Umweltleistungen stärker ausgleicht. Das ist entscheidend. Es gibt in Österreich ein großes Interesse an biologischer Produktion, das steigt von Jahr zu Jahr. 80 Prozent der Fläche sind im ÖPUL-Programm. Die Bauern sind bereit, Leistungen für Umwelt, Boden, Wasser zu machen – aber das sind öffentliche Leistungen, die müssen abgegolten werden, zumal es an Produktivität fehlt. Die Bauern sollen einen Anreiz haben. Und es liegt am Konsumenten.
Diese Woche war Agrarrat in Brüssel, ging da etwas weiter?
Wir sind sehr zuversichtlich, dass es jetzt gelingen wird, die allgemeine Ausrichtung der Agrarpolitik zustande zu bringen. Die deutsche Landwirtschaftsministerin ist sehr daran interessiert, ein System aufzubauen, das nicht auf der Billigproduktion basiert. Das macht uns am Markt allerdings auch massiven Druck.
Ist die Reform unter Dach und Fach?
Rat und Parlament hoffen, dass die Triloge im Oktober beginnen können. Das ist aber eine komplexe Materie, mit einer Einigung könnte man frühestens im ersten Quartal 2021 rechnen.
Wie läuft es aktuell mit dem Tourismus in Österreich?
Die Seeregionen sind sehr gut gebucht, die Ferienhotellerie läuft Woche für Woche besser. Das ist auch den intensiven Testungen geschuldet, für Deutschland sind wir heuer ein besonders attraktives Urlaubsland, auch für die Österreicher selbst. Sorgenkind ist nach wie vor die Stadthotellerie, auch weil Kultur- und Großveranstaltungen fehlen. Wir hoffen auf den Herbst.
Wird anders gebucht als üblich?
Ja, sehr kurzfristig, die Gäste entscheiden spontan. Aber es gibt eine deutlich längere Buchungsdauer. Die Österreicher haben zuletzt im eigenen Land meist nur drei oder vier Tage gebucht, jetzt sind die Betriebe erstaunt, weil gleich für zwei oder drei Wochen gebucht wird.