So schnell ist man in allen Nachrichten – wenn auch nicht freiwillig. Die Rede ist vom Online-Zahlungsdienstleister Wirecard, dessen Name die meisten Interneteinkäufer bis vor Kurzem gar nicht kannten und dessen Geschäftsmodell offenbar auch so manche Analysten und Aufseher nicht restlos verstanden haben. Über den „Fall Wirecard“ wurde und wird viel geschrieben; daher an dieser Stelle ein Schnelldurchlauf: Der einstige Börsendarling, der in seinen besten Zeiten wertvoller war als die Deutsche Bank und 2018 die traditionsreiche Commerzbank aus dem deutschen Aktienindex DAX verdrängt hat, wurde neben SAP als große europäische Technologiehoffnung gehandelt (was übrigens schon Teil des Problems ist).
Dementsprechend gaben Analysten Kursziele von bis zu 270 Euro aus – diesen Montag war die Aktie noch 2,66 Euro Wert. Dazwischen liegen verschwundene 1,9 Milliarden Euro, die Insolvenz diverser Teilfirmen und 23 Milliarden Börsenwert, die innerhalb kürzester Zeit vernichtet wurden. All das erfordert eine rigorose Aufklärung und juristische Verfolgung, doch noch wichtiger ist es, auch darüber hinaus die richtigen Konsequenzen zu ziehen oder zumindest die grob falschen zu vermeiden. Davon soll hier die Rede sein.
Die wichtigste Konsequenz ist dabei weder juristisch noch wirtschaftlich, sondern betrifft unsere Einstellung zum Kapitalmarkt. Gehen wir nicht jenen auf den Leim, für die Wirecard wieder der ideale „Sündenfall“ ist, um alles rund um Aktien und Börse zu verteufeln. Die so tun, als ob nur börsennotierte Unternehmen pleitegehen.
So einfach ist es nicht und so einfach können wir es uns angesichts lange anhaltender Nullzinsen am Sparbuch auch nicht machen. Alleine im letzten Jahr ist es auf unseren Sparbüchern zu einem Inflationsverlust von über fünf Milliarden Euro gekommen. Die Bewältigung der Corona-Krise verschärft diesen Umstand zweifach: Erstens, weil auf lange Sicht das Zinsniveau bei null bleiben wird. Zweitens, weil große Geldmengen in die Aktien- und Immobilienmärkte fließen. Doch daran partizipiert zum jetzigen Zeitpunkt nur ein kleiner Teil von uns.
Verteufeln bringt uns also nicht weiter; stattdessen muss es das Ziel sein, mehr Menschen am Kapitalmarkt teilhaben zu lassen. Dafür braucht es verständliche Produkte und wirksame Rechtsnormen wie Aufsichtsbehörden.
Beginnen wir mit der Aufsicht. Hier sind offensichtlich zu viele Köche am Werk, was zu unklaren Befugnissen führt. Der Fall Wirecard zeigt exemplarisch, dass eine Straffung und mehr Durchgriffsrechte der Finanz-Aufsichtsbehörden notwendig sind. Damit ist auch das zweigliedrige System aus staatlicher Aufsicht und privater Prüfstelle für Rechnungslegung zu hinterfragen. Daneben braucht es eine bessere Abstimmung mit der EZB sowie den Behörden für Geldwäsche und Wirtschaftskriminalität.
Großes Transaktionsvolumen, großes Risiko
Mindestens gleich wichtig ist ein neues System der Einordnung. Denn was sind innovative Firmen wie Wirecard? Technologieanbieter, Banken oder Finanz-Holdings? Die Aufsichtsregeln dürfen sich nicht an „technischen“ Kriterien orientieren, sondern an Zweck und Geschäftsmodell. Die Intensität der Aufsicht sollte auch von der Größe des Unternehmens abhängen. Es ist nun mal eine Binsenweisheit: Großes Transaktionsvolumen – großes Risiko.
Und was können wir Anleger lernen? Wieder einmal zeigt sich, wie wichtig die breite Streuung ist. Auf einen Titel zu setzen, kommt dem Glücksspiel sehr nahe. Setzt man auf 30 oder 100 Titel, dann ist auch ein Kurssturz, wie bei Wirecard in Summe zu verkraften. Denn in dem Zeitraum, in dem Wirecard 98 Prozent eingebüßt hat, verlor der DAX nur zwei Prozent. Und dann gilt immer noch ein Prinzip von Investment-Legende Warren Buffett: „Kaufe nur das, was Du auch verstehst!“ Der Mann hat übrigens gerade groß in das Energiegeschäft investiert. . .
Markus Fallenböck