Die ÖGK wurde gegründet, damit für Patienten alles besser wird. Aber intern kracht es. Arbeitgebervertreter sagen, es könne keinen Harmonieausgleich zwischen ÖGK-Versicherten und Beamten/Selbstständigen geben, Arbeitnehmervertreter sind empört. Wie sorgen Sie dafür, dass ÖGK-Versicherte so gut versorgt werden wie Beamte und Selbstständige?
BERNHARD WURZER: Ich weiß gar nicht, ob in allen Belangen Beamte und Selbstständige bessergestellt sind. Sie zahlen zum Beispiel auch Selbstbehalte. Die Frage bei den Vertretern ist: Wie finden beide Kurien zueinander, damit es nicht ein Regierungs-Opposition-Spiel wird?
Letztlich geht es um Leistungsharmonisierungen und darum, dass alle Menschen in den Bundesländern den gleichen Zugang zu Medikamenten und Therapien erhalten. Bei einigen Therapien und Krebsmedikationen soll das nach wie vor nicht der Fall sein.
WURZER: Wir arbeiten daran: Es gibt interne Regeln, da haben wir bereits alles harmonisiert. Bei Verträgen dauert es naturgemäß länger. Es gibt unterschiedliche Verträge bei Logopäden, Logotherapeuten, Ergotherapeuten, Heilbehelfen. Bis 2024 werden ÖGK-Versicherte jedenfalls überall die gleichen Therapien erhalten. Schon jetzt spürt man einiges, etwa bei Kuren und freiwilligen Leistungen. Wir haben viele Leistungen erhöht.
Aber, provokant formuliert: Corona sei Dank, die Beitragseinnahmen sinken, jetzt wird keiner mehr über die versprochene Patientenmilliarde reden, mit der man das Zusammenlegen der Gebietskrankenkassen verkauft hat. Sie haben einen Satz zur Patientenmilliarde formuliert: Die Politik kann alles rechnen.
WURZER: Sie wird auch rechnen können, wo die Patientenmilliarde jetzt ist. Aber nach jetzigem Stand ist nicht davon auszugehen, dass viel zusätzliches Geld da ist. Wir verlieren durch Corona massiv an Einnahmen.
Wird es eine Erhöhung der Beiträge geben? Oder Selbstbehalte für Patienten? Wird man Ärztehonorare einfrieren?
WURZER: Jetzt haben Sie mir drei Nägel hingelegt, und ich kann mir überlegen, wo ich draufsteige. Natürlich muss die ÖGK jetzt schauen: Welche Maßnahmen kann man setzen? Wenn wir im Gesundheitswesen von Einsparungen reden, dann reden wir davon, dass wir weniger ausgeben als geplant, und wie man Kostenentwicklungen dämpft. Im Gegensatz zu den letzten beiden Jahren, da haben ein paar Kassen nach dem Motto gearbeitet: „Was kostet die Welt, es geht uns bald eh nichts mehr an.“
Das wurde politisch aber durchgewunken.
WURZER: Die Ministerin hätte damals Einsprüche erheben können. Wir haben in den letzten Jahren zum Beispiel bei der ärztlichen Hilfe eine Ausgabendynamik gehabt, die deutlich über dem war, was man sich schon unter normalen Verhältnissen hätte leisten können.
Um bei Ihrem Bild zu bleiben: Was ist jetzt mit den Nägeln?
WURZER: Beitragserhöhungen schließe ich persönlich aus, es geht eher darum, die Lohnnebenkosten gering zu halten. Selbstbehalte hat die Politik ausgeschlossen.
Und die Ärztehonorare?
WURZER: Wir müssen bei Honorarverhandlungen, so steht es auch im Gesetz, aber auf die Einnahmensituation Rücksicht nehmen. Das kann nicht bedeuten, dass wir bei den Honoraren kürzen. Allerdings ist es möglich, dass wir zum ersten Mal in der Geschichte weniger Einnahmen haben werden als im Jahr zuvor. Das hat es nicht einmal bei der Finanzkrise gegeben.
Es wäre eine Chance, die Rolle der ÖGK und die ärztliche Versorgung neu zu gestalten und Kassenärzte in ein System einzubinden, in dem auch Randzeiten bedient werden. Wir haben ja nicht zu wenig Ärzte, es fehlt nur in vielen Regionen an Koordination.
WURZER: Die Gründung der ÖGK ist die Chance, endlich gestalterisch tätig zu werden. Alles, was ich sage, löst aber gleich einen Sturm der Entrüstung aus, aber es geht ja nur darum, ob wir mit den alten Rezepten die neuen Probleme lösen können – und das glaube ich eben nicht. Man hat etwa bei Corona gesehen: Weil das Honorierungssystem bei Kassenärzten auf Masse aufgebaut ist, hat das dazu geführt, dass Ärzte jetzt sagen, man hat der Masse erklärt, sie soll nicht kommen, jetzt habe ich offen gehabt und massive Umsatzverluste, und das wollen wir abgegolten haben. Das ist ein wirkliches Problem. Ich muss sagen: Wir sind eine Versicherung der Versicherten, aber nicht der Vertragspartner. Ich darf keinen Ausfall abdecken. Wir können aber gemeinsam zur Politik gehen. Das haben wir auch angeboten.
Ist das Honorierungssystem für Ärzte noch zeitgemäß?
WURZER: Wir müssen überlegen, ob wir nicht mehr in Richtung der Bereitstellung von Leistung und zur Verfügungstellung von Arbeitszeiten gehen, die wir dann gemeinsam versorgungspolitisch definieren. Wir müssen uns auch andere Versorgungsformen überlegen. Ein Beispiel: Eine Kassenstelle, die ich nicht besetzen kann, soll ich nicht durch Ambulatorien ausfüllen, wie es in der Steiermark angedacht war, sagt die Ärztekammer. Worum geht es aber? Darum, dass ich standespolitisch sage, was ich will, oder darum, dass ich eine Versorgung für die Leute habe?
Die Sorge der Ärztekammer könnte sein: Wenn so ein Ambulatorium kommt, werden keine Wahlärzte dorthin gehen.
WURZER: Die zweite Sorge ist, dass sich so etwas bewähren könnte.
Wie wird man Wahlärzte in Zukunft in das System besser einbinden? Sie sind in einigen Regionen und Bereichen versorgungsrelevant, aber ohne Verpflichtungen eines Kassenarztes.
WURZER: Auch eine Variante: Man schafft einen Wahlarzt, der näher am System ist, aber mit gewissen Verpflichtungen und Goodies. Die andere Variante ist, die positiven Sachen des Vertragsarztes aufzuzeigen: Trotz Corona bekommt ein Vertragsarzt 80 Prozent als Akontierung seiner Vorjahreshonorare, was übrigens den Ärztekammervertretern zu wenig war. Ein Wahlarzt hat gar nichts. Oder: Warum statten wir nicht Ordinationen fix und fertig für Ärzte aus, die sie etwa nach zehn Jahren käuflich erwerben können? Man muss Barrieren im Kopf wegbekommen. Ist das aktuelle System noch das, was junge Leuten wollen?
Sagen Sie damit, dass die Ärztekammer nicht die Interessen aller Mitglieder vertritt und Jungärzte andere Bedürfnisse haben?
WURZER: Ich würde es nicht so brutal sagen. Sie vertritt die Interessen ihrer jetzigen Mitglieder, aber sie müsste mit uns überlegen, was die künftigen Mitglieder brauchen.
Nicht nur klimatisch wird es ein heißer Sommer: Bei der ÖGK-Gebarungsvorschau am 15. August werden die Länder wissen, was die ÖGK nicht zahlen kann – und was sie zuschießen müssen.
WURZER: Ich finde es spannend, dass die Länder jetzt nervös sein sollen: Wir zahlen ja auf Basis des zweitvorangegangenen Jahres. Das ist für die ÖGK eine Zusatzbelastung.
Eine Frage noch, die Patienten oft stellen: Bleibt das papierlose Rezept?
WURZER: Es bleibt, davon gehe ich aus, ja.