Was machen Sie als Präsident der Industriellenvereinigung anders als Ihr Vorgänger Georg Kapsch?
GEORG KNILL: Ich möchte auf jeden Fall versuchen, unsere Mitglieder stärker einzubinden. Ich habe vor unserer Wahl gespürt, dass es eine hohe Bereitschaft gibt, sich noch stärker einzubringen. Wir können damit die gemeinsame Schlagzahl der IV deutlich erhöhen.
Unter Georg Kapsch war die Industriellenvereinigung mit Gesellschafts- und bildungspolitischen Themen sehr präsent. Vorher war die Industriepolitik beherrschend. Wohin wollen Sie die IV führen?
Zentral ist eine aktive Standort- und Wirtschaftspolitik, auch um den Wohlstand zu erhalten. Gesellschafts- und Bildungspolitik gehören da dazu. Die Gewichtung wird aber anders sein. In Österreich haben wir die Gesundheitskrise gut gemeistert. Jetzt müssen wir eine Wirtschaftskrise meistern. Der Stellenwert der Industrie dabei muss klar sein. Der produzierende Sektor ist für 28,8 Prozent des Bruttoinlandsprodukts verantwortlich. Mehr als eine Million Beschäftigte direkt, dazu kommen indirekte Effekte. Außer Frage steht für mich auch der Fokus auf Europa, das wir gesamtheitlich stärken müssen. Wir sehen ja täglich das Match mit China und den USA.
Kritische Stimmen sagen, Sie seien Teil des Systems Kurz?
Ich habe das mit Überraschung aufgenommen. Ich werde das so handhaben wir bisher als Präsident der IV in der Steiermark und mit allen Parteien Kontakt und Austausch pflegen. Natürlich sind uns von unseren Interessen her manche Parteien inhaltlich näher.
Wie ist Ihr persönlicher Draht zu Kurz?
Eine Handynummer ist heute nichts Besonderes mehr, aber er ist gut, wenn auch erst seit kürzerer Zeit. Ich habe aber auch Frau Bundesminister Leonore Gewessler jetzt ein paar Mal getroffen – auch wenn da die Schnittmengen vielleicht geringer sind. Ein gutes Verhältnis zu allen Verantwortlichen ist mir sehr wichtig.
Wie bewerten Sie die Maßnahmen der Regierung in der Corona-Krise?
Man hat die Gesundheitskrise mit vor allem zwei Maßnahmen in den Griff bekommen, Schutzmaske und Abstand. Mit zwei Maßnahmen kriegt man aber die Wirtschaftskrise nicht in den Griff. Das ist auch nach Branchen unterschiedlich. Für uns als Industrie sind die Liquiditätsmaßnahmen gut. Aus Sicht der Industrie hat die Regierung gut reagiert, auch wenn die Antragstellungen ein Thema für sich waren.
Zu viel Bürokratie?
Es ist verständlich, dass man Missbrauch ausschließen möchte, dennoch ist die zwei- bis dreifache Prüfung von Anträgen ein hoher bürokratischer Aufwand. Dazu kommt, dass es naturgemäß schwierig ist den Geschäftsverlauf wirklich voraussagen zu können. Ich sehe das in meinem Umfeld, auch in meinem Unternehmen sind zwei bis drei Mitarbeiter mit der Bürokratie beschäftigt.
Man hört, dass die Regierung Banken auffordert, Unternehmen durchzufüttern, die noch nie Gewinn gemacht haben.
Die Gießkanne wird nie funktionieren. Die Kreditschützer haben zu Recht vor Insolvenzverschleppungen gewarnt.
Was braucht die Industrie noch an Hilfen?
Wir brauchen jedenfalls eine Verlängerung der Kurzarbeit bis Jahresende. Es ist auch wichtig diese Zeit für Qualifizierung und Weiterbildung nutzen. Zudem müssen gesamthaft Maßnahmen für die Eigenkapitalstärkung gesetzt werden.
Wo stehen wir aktuell in der Krise?
Der Tiefpunkt ist für heuer erreicht. Wenn ich jetzt auf mein Unternehmen schaue sehe ich, dass die ersten Aufträge wieder hereinkommen. Davor hatten wir aber drei Monate gar keinen Eingang, weil wir nicht zu unseren Kunden konnten und sie nicht treffen konnten. Sie kaufen ein Investitionsgut von einer Million Euro aber nicht über Internet oder eine Telefonkonferenz. Sie brauchen dafür wochenlange Verhandlungen. Ganz wichtig ist für uns daher, wieder in Drittstaaten reisen zu können.
Apropos: Braucht die Industrie regionale Flugverbindungen von den Landeshauptstädten nach Wien?
Absolut. Wir brauchen die Zubringer. Wenn wir nicht nach Wien kommen, fliegen wir eben über München und Frankfurt in die Welt. Das schadet erst recht wieder der AUA. Ich wage auch zu bezweifeln, ob das ökologisch sinnvoller ist. Aber ja. Wir kommen vielleicht noch mit dem Zug über Schwechat hinaus. Aber ein Kunde, der von China schon drei Stationen hatte, setzt sich nicht mehr in die Bahn.
Am Höhepunkt der Krise war viel die Rede von einer stärkeren Autarkie in Schlüsselsektoren.
Vor allem im medizinischen und Pharmabereich ist die Resilienz ein wichtiges Schlagwort geworden, die Widerstandsfähigkeit. Wir dürfen aber die Marktwirtschaft nicht außer Kraft setzen. Am Ende entscheidet immer der Konsument. Wir kommen da auch in die Handelspolitik. Aus meiner Sicht waren wir in vielen Bereichen zu offen und zu naiv. Wir haben zu leichtfertig eine vermeintliche Partnerschaft gesucht, die vor allem China ganz klar für sich genutzt hat, zum Schaden Europas. Wir müssen schauen, welche Technologien schützenswert sind, was wir uns in Europa wieder leisten wollen – und unter welchen Bedingungen.
Soll Europa protektionistischer werden?
Wir sollten zumindest Gleichheiten herstellen. China ist ja total protektionistisch, sie haben massive Handelszölle und subventionieren ihren Export kräftig. Wir hatten mit unseren transatlantischen Partnern eine offene Handelspolitik, die aber nicht mehr funktioniert, weil jeder nur mehr auf sich schaut.
Wie bewerten Sie die Regierungsbeteiligung der Grünen?
Spannend. Ich denke, dass die Grünen für Themen der Entbürokratisierung und Effizienz zu gewinnen sind. Im Klimaschutz sieht sich die Industrie als Teil der Lösung und nicht des Problems. Unsere Produktion ist schon deutlich besser als in anderen Teilen der Welt. Aber der Weg wird noch viel steiler und viel anstrengender. Wir müssen daher das Globalziel der Klimaneutralität auf Branchen und Zeitachsen herunterbrechen. Wir müssen auch konkret werden.
Teilen Sie die Einschätzung, dass wir die Krise nutzen sollten, uns ökologisch neu aufzustellen?
Es ist ein hehrer Wunsch, mit dem Green Deal und dem Digital Deal aus der Krise zu kommen und daraus die Lösung für alle Probleme zu finden. Persönlich bin ich etwas skeptisch. Wir brauchen jetzt eine Konjunkturbelebung, um aus der Arbeitslosigkeit herauszukommen.
Was sind die größten Schwächen des Systems Österreich?
Für mich persönlich kenne ich kein anderes Land, in dem ich lieber leben würde, als Mensch, als Bürger, als Unternehmer. In manchen Dingen hat das vielleicht zu Extremen geführt, die uns von mancher Tugend weggebracht hat. Was hat uns stark gemacht, das Unternehmertum, die Motivation, etwas erreichen zu wollen. Das wird punktuell nicht mehr gewünscht, nicht mehr gefordert. Wir haben eine geistige Saturiertheit, in ganz Europa. In Asien, in Russland, in China ist das anders.
Work Life Balance wird wichtiger . . .
Es gilt, den Wohlstand aufrecht zu erhalten. Es ist oft anstrengender, einen hohen Standard zu halten, als den aufzubauen.
Aktuell haben wir wegen Corona aber Rekordarbeitslosigkeit.
Wir dürfen keine falschen Anreize setzen. Arbeitslosigkeit kann man nur bekämpfen, wenn man Arbeit schafft. Und das macht die Wirtschaft.
Die IV hat eine ungewöhnliche Zeit hinter sich. Wie wollen Sie Ihre Organisation nach der Kampfabstimmung um die Spitze befrieden?
Ich sehe keine Gräben. Wir arbeiten geschlossen in eine Richtung. Wir treten ein für einen starken Industrie-, und Beschäftigung Standort Österreich und Europa, auch um den Wohlstand aufrecht zu erhalten.
Das Gespräch wurde gemeinsam von den Chefredakteuren der
Bundesländer-Zeitungen und der „Presse“ geführt.