Die Finanzaufseher sind offenbar jahrelang vor einer strengeren Kontrolle von Wirecard zurückgeschreckt. 2017 entschieden sie sich dagegen, den Zahlungsabwickler als Finanzholding einzustufen und damit einer strengeren Aufsicht zu unterwerfen, sagte eine mit der Angelegenheit vertraute Person der Nachrichtenagentur Reuters.
In die Entscheidung - die zu einer Zeit fiel, als Berichte über mögliche Bilanzfälschungen schon mehrfach für Aufsehen gesorgt hatten - seien neben der deutschen Finanzaufsichtsbehörde Bafin auch die Deutsche Bundesbank und die Europäische Zentralbank (EZB) eingebunden gewesen. 2019 sei erneut eine Prüfung eingeleitet, diese aber bis zur Wirecard-Pleite vorige Woche nicht abgeschlossen worden.
Es sei unsicher gewesen, ob Wirecard rechtlich als Finanzholding einzustufen gewesen sei und wegen langwieriger Abstimmungsprozesse zwischen den Behörden habe sich der Entscheid hingezogen, sagte eine zweite mit der Sache vertraute Person. Bundesbank und EZB lehnten eine Stellungnahme ab.
Zu lange nicht genau hingeschaut
Vor allem der Bafin werfen Kritiker vor, bei Wirecard zu lange nicht genau hingeschaut zu haben. Dabei waren in den vergangenen Jahren immer wieder Vorwürfe der Bilanzmanipulation gegen den Konzern laut geworden. Da dieser nicht als Finanzholding eingestuft wurde, fehlte den Behörden aber das scharfe Schwert der Bankenaufsicht, um strenger vorzugehen. So kann die Bafin nach dem Kreditwesengesetz Sonderprüfer in eine Bank schicken, um Vorwürfe zu prüfen und dem Institut auf den Zahn zu fühlen. Bei anderen Unternehmen muss die Behörde dagegen zunächst die auch als "Bilanzpolizei" bekannte Deutsche Prüfungsstelle für Rechnungslegung (DPR) einschalten.
Nach der Wirecard-Insolvenz sieht sich vor allem die Bafin massiver Kritik ausgesetzt, deutsche Oppositionspolitiker haben die Absetzung von Bafin-Chef Felix Hufeld gefordert. Doch der Fall wirft auch einen Schatten auf andere Institutionen und die Regulierung. "Wir lieben Selbstregulierung in Deutschland", sagte der Finanzprofessor Jan Pieter Krahnen. "Aber das funktioniert nur bei schönem Wetter. Kapitalmarktüberwachung genießt in Deutschland eine niedrige Priorität." Auch das SPD-geführte Finanzministerium, zu deren Verantwortungsbereich die Bafin gehört, gerät ins Visier. "Die Vorgänge um Wirecard sind skandalös", sagte der FDP-Politker Frank Schäffler zu Reuters. "Natürlich trägt das Finanzministerium ganz klar eine Verantwortung."