Von der Corona-Pandemie sind auch zwei große steirische Unternehmen des Voestalpine-Konzerns stark betroffen, die Flugzeugteile-Fertigung und die Rohrproduktion für die Ölindustrie. Sie können dort Kündigungen nicht mehr ausschließen. Wann entscheidet es sich, ob es dazu kommt?
HERBERT EIBENSTEINER: Wir fahren nach den Lockdowns überall die Produktionen hoch. Das passiert in den zwei Bereichen langsamer als erwartet aufgrund der sehr gedämpften Nachfrage der Kunden. Wenn sich die Konjunktur nicht doch besser entwickeln sollte, gehen wir davon aus, dass es zu Kapazitätsanpassungen in Kapfenberg und Kindberg kommen wird. Wir verlängern daher die Kurzarbeit bis September. Dann können wir feststellen, ob wir damit durchkommen.
Wie sieht die Mitarbeiterentwicklung in der Steiermark aus?
Von den 9000 steirischen Mitarbeitern sind 3500 in Kurzarbeit. Gerade die Steiermark ist zweigeteilt mit einem schwierigeren Umfeld für die Luftfahrttechnik sowie Öl- und Gasrohre. Auf der anderen Seite gibt es den Bereich Bahninfrastruktur mit der Produktion von Weichen, Schienen, Signal- und Sicherheitstechnik bis hin zur Software, wo bei guter Auslastung ohne Kurzarbeit produziert wird. Dieser Bereich entwickelt sich auch in der Krise sehr stabil und wird weiter ausgebaut.
Werden Mitarbeiter aus den schwierigen Bereichen an anderen Standorten gebraucht?
Es gibt bereits jetzt einen Austausch etwa zur Weichenfertigung in Zeltweg oder Schienenproduktion in Donawitz. Wir kämpfen um jeden Arbeitsplatz.
Geben Sie uns trotzdem vielleicht eine grobe Einschätzung, um wie viele Mitarbeiter es geht?
Ich kann derzeit keine Zahl nennen. Wir müssen die Entwicklung über den Sommer abwarten.
Ist inzwischen klarer, wann in Donawitz der zweite Hochofen wieder hochgefahren wird?
Die Reparatur wird bis Oktober dauern. Das Hochfahren selbst geht schnell, aber es gibt noch keinen Termin.
Der Bau des Edelstahlwerks in Kapfenberg verzögert sich um einige Monate bis Ende 2021. Was sind die genauen Gründe dafür?
Im Wesentlichen die Covid-Auswirkungen, weil Lieferwege blockiert waren und Anlagenteile später eingetroffen sind.
In der Vor-Corona-Zeit galt der Fachkräftemangel als besonders standortrelevantes Thema. Viele Unternehmen reduzieren jetzt dennoch die Zahl der Lehrstellen. Wie ist das bei der Voestalpine?
Kürzungen kommen in diesem Bereich für mich nicht infrage. Qualifizierung und Ausbildung sind Themen, die über die Krise hinausgehen. Wir werden die Lehrlingsausbildung auf gleich hohem Niveau belassen. Wir haben 800 Lehrlinge in Ausbildung und werden weiter mehr als 300 im Jahr aufnehmen, heuer allein 160 in der Steiermark. Wir haben derzeit noch Lehrstellen zu besetzen, quer durch alle Ausbildungsbereiche. Bewerbungen sind nach wie vor möglich.
Wird für Österreichs Industrie Kurzarbeit über den Herbst hinaus notwendig sein?
Die zweite Kurzarbeitsperiode geht bis Ende September. Es muss danach noch für zwei weitere Quartale ein noch zu entwickelndes Modell geben.
Können Sie sich Sonderlösungen für mehrere Jahre vorstellen?
Die bestehenden Modelle bieten gute Flexibilität. Wir gehen natürlich davon aus, dass wir bei verbesserter Konjunktur die Kurzarbeit Schritt für Schritt beenden.
Gibt es Bereiche, die von Konjunktur- und Klimamaßnahmen profitieren? Stichwort Bahn?
Die Bahninfrastruktur ist strategisch sehr gut aufgestellt. Unsere Werke in China sind durch Infrastrukturmaßnahmen der Regierung sehr gut ausgelastet. Auch in Europa werden Schienennetze ausgebaut, das bietet uns sicher Chancen. Ebenso in Nordamerika.
Dass im Zuge der Konjunkturprogramme jetzt nur E-Mobility gefördert wird und nicht generell ein Neuwagenkauf, ist das aus Ihrer Sicht bedauerlich?
Generell ist es zulässig, dass man den Recovery-Plan auch an klimarelevante Ziele koppelt. Aus meiner Sicht geht es aber erst einmal hauptsächlich darum, den Konsum anzukurbeln. Das ist entscheidend für die Kunden unserer Kunden. Wir profitieren auch von einer E-Mobility-Förderung, weil wir in diesem Bereich tätig sind, aber wir können nicht alles an Einzelmaßnahmen festmachen. Es geht um das Sentiment. Das Verbrauchervertrauen muss wiederhergestellt werden, die Investitionsbereitschaft der Unternehmen zurückkommen.
Können Sie eine erste Bewertung über die in Aussicht gestellten Hilfsmaßnahmen in Österreich, in Europa abgeben?
Ich gehe davon aus, dass die Pakete Wirkung zeigen.
Wann könnte das denn sein?
Das ist noch nicht klar. Sie müssen ja erst gestartet werden.
Gerade wurde die Schließung eines Werks in Rumänien bekannt, was ist dort der konkrete Grund?
Da geht es um Ineffizienzen in den Abläufen. Das ist ein kleines Zulieferwerk. Wir verlagern die Aufträge in ein großes Autoteilewerk in Deutschland, weil wir glauben, dass das günstiger ist.
Wie steht es um die US-Werke Cartersville und Corpus Christi? Ein bedeutender Teil der 480 Millionen Euro Abschreibungen in der Bilanz sind auf sie entfallen.
Wir fahren Cartersville zusammen mit unseren Kunden wieder hoch, wir haben schon sehr gute Abrufe, sie steigen weiter. Corpus Christi hat am Markt mit hohen Rohstoffpreisen und niedrigen HBI-Verkaufspreisen zu kämpfen. Aber es gibt auch Chancen, in China haben wir neue Kunden.
Was hat es mit Lieferschwierigkeiten des brasilianischen Bergbaukonzerns Vale auf sich? Ist Corpus Christi betroffen?
Am Markt gibt es Sorgen, in Brasilien könnte die Versorgung schlechter werden, darum ist der Erzpreis gestiegen, aber wir haben bisher keine Einschränkungen.
In Deutschland wurde jetzt eine detaillierte Wasserstoff-Strategie von der Regierung verabschiedet. Was würden Sie brauchen, um Wasserstoff im großen Maßstab einsetzen zu können?
Die deutsche Regierung hat ein sehr ambitioniertes Wasserstoff-Projekt gestartet. Bis 2030 sollen Anlagen installiert werden, die etwa der 900-fachen Kapazität unserer H2Future-Anlage in Linz entsprechen.
Verfolgen Sie auf Basis der gut funktionierenden Wasserstoff-Versuchsanlage, die in Linz gemeinsam mit dem Verbund und Siemens betrieben wird, schon weiterführende Projekte?
Wir sehen das sehr langfristig, um Wasserstoff im industriellen Maßstab einzusetzen. Noch ist der grüne Wasserstoff viel teurer als aus Erdgas erzeugter.
Wenn der Konzern gestärkt aus dieser Krise hervorgehen soll, wie kann das funktionieren?
Die wichtigste Hausaufgabe ist, auch mit weniger Auslastung gute Ergebnisse zu erzielen. Aber auch das Hochfahren unserer Kunden durch stabile Lieferungen zu unterstützen. Die Abläufe müssen effizienter werden, dann können wir auf einer besseren Kostenbasis aus der Krise herauskommen. Das bedeutet, auch früher wieder Gewinne zu schreiben. Bei den Investitionen konzentrieren wir uns auf Bereiche, die technologiestark und krisenfest sind – wie zum Beispiel die Bahnsysteme. Und unser weltweit modernstes Edelstahlwerk in Kapfenberg.
Gibt es unter dem gesundheitlichen Aspekt irgendwo besondere Herausforderungen?
Wir haben zwölf Corona-Erkrankungen im Konzern, in Österreich null. In der Hochphase hatten wir nie mehr als 30, bei fast 50.000 Mitarbeitern. Das zeigt, dass die Gesundheitsmaßnahmen sehr diszipliniert umgesetzt wurden. Da muss ich zu allen Mitarbeitern „Danke“ sagen.