Der Linzer Stahlkonzern voestalpine hat im Geschäftsjahr 2019/20 (per Ende März) herbe Verluste erlitten. Unter dem Strich blieb ein Nettoverlust von 216 Millionen Euro - nach einem Gewinn von 459 Millionen Euro im Jahr davor, wie das Unternehmen Mittwochfrüh bekanntgab. Der Konjunktureinbruch, interne "Sondereffekte" und die wirtschaftlichen Folgen der Coronakrise belasteten Umsatz und Ergebnis, hieß es.
Schon in den vorangegangenen Monaten hatte die voestalpine mit einer Serie von Gewinnwarnungen sowie zusätzlichen Sonderabschreibungen, Vorsorgen und Rückstellungen aufhorchen lassen - so etwa auch knapp vor Weihnachten, als sich diese Posten auf 360 Millionen Euro summierten. Die Covid-19-Pandemie erschwerte die ohnehin bereits missliche Lage zusätzlich in gewaltigem Ausmaß. Es kam zu Produktionskürzungen und temporären -stilllegungen "in nahezu allen Bereichen" sowie Kurzarbeit.
Im Mai 2020 waren den Angaben zufolge rund 10.400 Mitarbeiter in Österreich und etwa 3.000 in Deutschland in Kurzarbeit bzw. international weitere 2.400 in kurzarbeitsähnlichen Modellen.
Belastungen vor Corona
Den Konzern belasteten schon vor der Coronakrise die deutlich gebremste Automobilkonjunktur, massive Anlaufschwierigkeiten infolge von Managementfehlern im neuen US-Autowerk in Cartersville, höhere Rohstoffkosten, das international generell schwächere wirtschaftliche Umfeld sowie die US-Strafzollpolitik. Bei Letzterer sind die indirekten Effekte deutlich schwerwiegender als anfangs eingeschätzt. Hinzu addierte sich im Dezember eine empfindliche Kartellstrafe in Höhe von 65,5 Millionen Euro wegen illegaler Preisabsprachen bei Grobblechen in Deutschland.
Das Geschäftsjahr 2019/20 der voestalpine sei seit Beginn von einer massiven Eintrübung des wirtschaftlichen Umfelds infolge der weltweiten Handelskonflikte geprägt gewesen, teilte der Konzern am Mittwoch mit. Darunter habe insbesondere die exportorientierte Industrie Europas, die rund zwei Drittel des Umsatzes der voestalpine ausmache, gelitten. Das für den Konzern wichtige Automobilsegment habe sich weltweit abgeschwächt. Hinzu gekommen sei ein globaler Anstieg der Preise für Eisenerz bei gleichzeitig sinkenden Stahlpreisen. Ein erster genereller Aufwärtstrend zu Beginn des vierten Geschäftsquartals sei durch den Ausbruch der Covid-19-Pandemie abrupt gestoppt worden.
Der Konzernumsatz sank im abgelaufenen Fiskaljahr von 13,6 Milliarden auf 12,7 Milliarden Euro (minus 6,2 Prozent). Die rückläufige Entwicklung spiegle den Konjunkturrückgang über den gesamten Jahresverlauf wider. "Angesichts des durch Covid-19 nochmals verschärften wirtschaftlichen Umfelds werden wir laufende Kostensenkungs- und Effizienzsteigerungsprogramme konsequent fortsetzen", kündigte voestalpine-Chef Herbert Eibensteiner an.
Das Working Capital sei bereits deutlich reduziert worden, die voestalpine verfüge über eine hohe Liquidität. Auf operativer Seite hätten sich die Technologiesegmente Bahninfrastruktur und Lagersysteme in diesen schwierigen Zeiten "sehr gut entwickelt".
Neutraler Ausbilck
Doch der Ausblick für das laufende Geschäftsjahr 2020/21 verheißt insgesamt noch keine Verbesserung: Das Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (EBITDA) werde sich - nach 1,2 Milliarden im Vorjahr - zwischen 600 Millionen und 1,0 Milliarden Euro bewegen, könnte sich also halbieren. Grund dafür sei "die weitere volatile wirtschaftliche Entwicklung". 2019/20 schrumpfte der Wert bereits von 1,6 auf 1,2 Milliarden Euro um ein Viertel.
Das operative Ergebnis (EBIT) war 2019/20 mit 89 Millionen Euro negativ. Im Jahr davor waren hier noch Gewinne in Höhe von 779 Millionen Euro geschrieben worden. Der Rückgang auf Ergebnisseite sei aufgrund der "internen Sondereffekte" stärker ausgefallen als beim Umsatz. Nach den Abschreibungen und Sonderrückstellungen im dritten Geschäftsquartal 2019/20 machte die Covid-19-Pandemie im April 2020, also zu Beginn des Fiskaljahres 2020/21, eine weitere außerplanmäßige Abschreibung erforderlich. In Summe hätten diese Sondereffekte das EBITDA mit 83 Millionen Euro und das EBIT (inklusive der EBITDA-Effekte) mit 485 Millionen Euro belastet.
Der Umsatz verringerte sich 2019/20 konjunkturbedingt um 6,2 Prozent von 13,6 Milliarden auf 12,7 Milliarden Euro. Der Personalstand wurde von weltweit 51.907 auf 49.682 Mitarbeiter zurückgeschraubt (minus 4,3 Prozent).
Mini-Dividende
Ungeachtet der Coronakrise und der Kurzarbeit will der Konzern eine - freilich massiv gekürzte - Dividende in Höhe von 20 Cent je Aktie ausschütten. Im Jahr davor hatten die Aktionäre noch 1,10 Euro je Anteilsschein erhalten. Gemessen am durchschnittlichen Börsenkurs der voestalpine-Aktie im Geschäftsjahr 2019/20 von 23,38 Euro ergebe sich eine deutlich reduzierte Dividendenrendite von 0,9 Prozent (Vorjahr 3,1 Prozent).
Das Gearing Ratio (Nettofinanzverschuldung im Verhältnis zum Eigenkapital) erhöhte sich per Ende März gegenüber dem Jahr davor deutlich von 47 Prozent auf 67 Prozent. Dazu führten den Konzernangaben zufolge neben der negativen Ergebnisentwicklung auch bilanztechnische Vorschriften sowie die Rückzahlung der Hybridanleihe mit einem Volumen von 500 Millionen Euro per 31. Oktober 2019. Die Nettofinanzverschuldung stieg von 3,1 auf 3,8 Milliarden Euro - dazu trugen die Umstellung der Rechnungslegungsstandards (IFRS 16) mit 436 Millionen Euro und die Rückzahlung der Hybridanleihe mit 500 Millionen Euro wesentlich bei. Das Eigenkapital sank per Ende März von 6,7 Milliarden auf 5,6 Milliarden Euro um 16,3 Prozent. Das sei neben der Ergebnisentwicklung auf die Kündigung der Hybridanleihe, die als Eigenkapital ausgewiesen wurde, sowie die Dividendenzahlungen im Verlauf des Geschäftsjahres 2019/20 zurückzuführen.
Bei den Investitionen steigt die voestalpine auf die Bremse. Im abgelaufenen Geschäftsjahr bewegten sie sich mit 777 Millionen Euro "erstmals seit 2011/12 unter dem Niveau der planmäßigen Abschreibungen". Heuer soll die Investitionstätigkeit weiter zurückgefahren und der Fokus verstärkt auf die Optimierung der zuletzt realisierten Hightech-Anlagen gelegt werden. 2019 nahm die voestalpine eine Elektrolyse-Pilotanlage zur CO2-freien Herstellung von Wasserstoff am Standort Linz in Betrieb, die "einen wesentlichen Schritt am Weg der voestalpine zu einer dekarbonisierten Stahlproduktion" darstellen soll. Auch der Bau des hochautomatisierten Edelstahlwerkes am Standort Kapfenberg schreite voran. Aufgrund von Lieferengpässen infolge von Covid-19 werde sich die Fertigstellung aber in die zweite Hälfte des Kalenderjahres 2021 verschieben. In Donawitz wurde eine neue Stranggussanlage ("CC4") mit einer Jahreskapazität von 950.000 Tonnen weitgehend finalisiert und im chinesischen Automotive-Werk Shenyang nahm die bereits dritte "phs-ultraform"-Linie zur Produktion von höchstfesten automobilen Leichtbaukomponenten ihren Betrieb auf.
Der Ausbruch der Covid-19-Pandemie hat sich auf das operative Ergebnis des voestalpine-Konzerns naturgemäß erst im letzten Quartal des abgelaufenen Geschäftsjahres ausgewirkt. Der behördlich verfügte "Lockdown" von Wirtschaft und Gesellschaft zur Eindämmung des Coronavirus sei zum Teil in Europa sowie in Nord- und Südamerika und sogar in Teilen Asiens noch in Kraft. Ein dramatischer Rückgang der Gesamtwirtschaft im ersten Geschäftsquartal 2020/21 zeichne sich bereits ab.
"Der Fokus im Geschäftsjahr 2020/21 wird deshalb auf ergebnisstabilisierenden Maßnahmen wie konsequentem Kosten- und Working-Capital-Management sowie Cashflow-Generierung liegen", betonte Eibensteiner. Die Investitionen werden weiter spürbar zurückgeschraubt. Im Geschäftsjahr 2020/21 sollen sie mit einem Wert von rund 600 Millionen Euro deutlich unter den bisherigen Investitionsvolumina und unter Abschreibungsniveau liegen.
Ein stabilisierendes Element, das "selbst in dieser ökonomischen Ausnahmesituation" seine Wirkung zeige, sei die Diversifikation des Konzerns auf Produkt- und Marktebene. Die voestalpine ist mit rund 500 Standorten in mehr als 50 Ländern weltweit tätig. In China werde aktuell nahezu auf dem Niveau vor Ausbruch der Coronakrise produziert. Auch der Bereich Eisenbahninfrastruktur werde in vielen Regionen als systemrelevant eingestuft und verzeichne in den meisten Regionen der Welt eine gute Nachfrage. Der Bereich Hochregallagersysteme, getrieben vom Onlinehandel, habe durch den "Lockdown" einen zusätzlichen Schub erhalten und verzeichne aktuell eine sehr gute Auftragslage.