An normalen Tagen hat der Wiener Flughafen 100.000 Passagiere. Und jetzt?
GÜNTHER OFNER: Vielleicht 200.
Was ist das für ein Gefühl?
Der Stillstand ist bedrückend. Gott sei Dank ist der Luftfrachtbetrieb intakt. Damit wird auch Österreich mit den notwendigen medizinischen Schutzgütern versorgt. So wird wenigstens der wirtschaftliche Kreislauf am Leben erhalten.
Sie sind Manager des Stillstands.
Nein, mein ganzes Denken ist darauf gerichtet, Vorkehrungen zu treffen, damit wir für die Stunde null, wenn das Fliegen wieder möglich wird, gerüstet sind. Ich bin Manager des Neubeginns. Ich helfe mit, jene Standards zu erarbeiten, die notwendig sind, ein sicheres Fliegen zu ermöglichen.
Das ist zur Stunde illusorisch.
Ich habe in 40 Jahren viele Krisen erlebt, wir werden auch diese überwinden. Man wird sich mit Schrecken daran erinnern, aber die Sehnsucht des Menschen nach Mobilität wird siegen. Ich war zehn Tage nach 9/11 im Flieger von Frankfurt nach New York. Wir waren 16 Fluggäste. Alle dachten, es wird nie mehr jemand fliegen. Die Reaktion auf die Terrorisierung der Gesellschaft war ein System verschärfter Sicherheitskontrollen. Seither ist Fliegen das sicherste Verkehrsmittel. Niemand muss sich ängstigen, dass ein Flugzeug entführt oder in die Luft gesprengt wird. Ist seither auch nicht mehr passiert.
Das heißt, Sie vertrauen auf die menschliche Evolution?
Genau. Wir müssen jetzt länderübergreifend die Regeln für den Abstand, die Maskenpflicht und die Hygiene definieren. Wenn das befolgt wird, wird man die Gefahr an den Flughäfen und in den Flugzeugen managen können. Das Risiko ist in Taxis oder U-Bahnen ungleich höher als in der Luft.
Die Coronaviren mögen keine Jumbos?
Sie mögen das effiziente System der permanenten Umluft nicht.
Heißt das, dass man für das Einchecken so lange brauchen wird wie für das Fliegen?
Natürlich sind Erschwernisse unerlässlich. Ich bin aber überzeugt, dass alle das akzeptieren werden, sofern sie wieder reisen können. Genauso, wie man die Erschwernisse nach 9/11 hingenommen hat. Ich denke da gar nicht so sehr an die Urlauber, sondern an jene Tausende, die unterwegs sind, um den Wirtschaftskreislauf aufrechtzuerhalten. Der Druck steigt täglich. Andritz wird kein Wasserkraftwerk an Südamerika im Internet verkaufen. Da müssen Menschen vor Ort sein, die die Maschinen aus Österreich servicieren und warten. Dieser Verkehr muss in kürzester Zeit möglich sein, um nicht noch größere Schäden auszulösen.
Wann wird der Neubeginn sein?
Das hängt nicht von uns ab, sondern von den Infektionszahlen. Da liegt Österreich hervorragend. Es hängt auch davon ab, wann und wo die Reisebeschränkungen aufgehoben werden. Die Frage wird sein: Wie stellen wir sicher, dass niemand hereinkommt, der ein Virus in sich trägt? Und: Wie stellen wir sicher, dass sich während der Reise niemand ansteckt?
Wird es also verpflichtende Immunitätspässe und Tests geben?
Das wird die Politik klären müssen. Eine absolute Sicherheit wird es nicht geben, mit keiner der Maßnahmen.
Wie wird man sich das Fliegen vorstellen: Passagiere, getrennt durch Plexiglas, ohne Essen und Service?
Das bedarf einer genauen Risikobewertung. Man wird abwägen, was eine Infektion begünstigt. Und das wird man unterlassen. Da die direkte Ansteckungsgefahr aufgrund des ständigen Luftaustausches gering ist, wird der Schwerpunkt auf der Hygiene liegen: dass sauber gereinigt wird, dass desinfiziert wird und dass das Verhalten des Einzelnen darauf ausgerichtet ist, sich zu schützen. Das heißt, dass das Flugpersonal Masken tragen wird und dass es für eine gewisse Zeit kein Catering geben wird. Dass keine Flugmagazine ausgeteilt werden und dass man keine Gegenstände in die Hand nimmt, die mit dem Virus kontaminiert sein könnten.
Das bedeutet: Das Fliegen wird mühsamer und zeitintensiver.
Ja, bis zur Phase, wo es eine Impfung und Medikamente gibt. Dann wird das Virus seinen Schrecken verlieren, wie nach 9/11. Dann können wir uns wieder einer Normalität annähern, aber die Leute werden trotzdem ein anderes Bewusstsein und eine andere Achtsamkeit beim Reisen haben.
Wann wird das so weit sein?
Ich bin kein Prophet. Beginnen könnte man mit der Öffnung und den Standards gemeinsam mit jenen Ländern, die niedrige Infektionszahlen haben. Wie Österreich. Wir sind der Krise nicht hilflos und schutzlos ausgeliefert. Wir können jetzt alles tun, um für die Stunde null vorbereitet zu sein. Es gibt keinen Grund, das Fliegen gegenüber der Bahn oder dem Auto zu diskriminieren, weil dort die Ansteckungsgefahr ungleich größer ist. Jetzt sind die Experten gefordert, nicht die Ängstlichen. Mit den Ängstlichen gewinnt man keinen Krieg. Dann wird man sehen, wer vorangeht.
Was hieße das Ende der AUA für den Flughafen Wien?
Die AUA ist nur das Instrument. Es geht darum, dass der Wirtschaftsstandort Österreich eine Verbindung braucht in die Welt hinaus. Seit dem Wegfall des Eisernen Vorhangs ist es gelungen, die Passagierzahlen zu versechsfachen. Es ist geglückt, ein Drehkreuz aufzubauen, wo die Menschen aus Osteuropa über Wien kommend in die Welt hinausfliegen. Würde die AUA zusammenbrechen, sehe ich niemanden, der dieses Drehkreuz ersetzen könnte. Das würde den Standort Österreich in die Zeit vor 1989 zurückkatapultieren. Zehntausende Arbeitsplätze wären gefährdet.
Wie gut sind beim Poker mit der Lufthansa die Karten Österreichs?
Wir haben kein Trumpfass und auch keinen Kreuzbuben. Der Kanzler hat recht: Für den finanziellen Einsatz muss die Bestandsgarantie des Drehkreuzes Wien erwirkt werden.
Was heißt finanzieller Einsatz?
Eine Sperrminorität ist eine der Varianten, die Interessen Österreichs zu sichern. Das ist keine Frage der Ideologie. Es ist eine außergewöhnliche Situation, die außergewöhnliche Schritte erfordert.
Die Grünen Vorarlbergs bezweifeln die Sinnhaftigkeit, ein deutsches Unternehmen mit staatlichen Geldern zu retten. Die Sentimentalität sei unangebracht.
Das ist völlig daneben. Es geht nicht darum, ein deutsches Unternehmen zu retten, sondern den Standort und die Zukunft der Jungen. Die haben keine Perspektive, wenn wir marginalisiert werden.
An einer gefährdeten Fluglinie hängt das geopolitische Schicksal des Landes?
Österreich hat sich durch die Ostöffnung eine Sonderstellung erarbeitet. Fast 400 Unternehmen verwalten von hier aus ihre Europa-Beteiligungen. Die können hier nicht bleiben, wenn es die Verbindung nicht mehr gibt. Die wären weg. Und Neue würden sich nicht mehr ansiedeln. Der Konferenz-Tourismus würde massiv bluten. Es geht um die Lebensader des Wirtschaftsstandortes.
Würde die Physik des Marktes nicht dafür sorgen, dass andere die Lücke füllen? Die British Airways sollen in Lauerstellung sein.
Das würde mich sehr überraschen. Die müssen zuerst ihre eigenen Probleme lösen. Ich bezweifle, dass die British Airways ein Langstrecken-Netzwerk von Wien aus betreiben würden. Warum sollten sie? Die haben ihr eigenes in London. Die würden wohl eher die Passagiere nach London bringen, um sie dort in Langstreckenflieger zu setzen. Selbst wenn es jemanden gäbe: Die Kosten, um so eine zerbrochene Struktur wieder aufzubauen, wären deutlich höher als der Aufwand, zu verhindern, dass diese Struktur zerbricht.
Sie glauben also, dass ein Ende der AUA das Land wirtschaftlich provinzialisieren würde?
Ich sehe die Gefahr, dass sich der Standort Österreich verzwergt. 60 Prozent der Produktivität des Landes läuft über den Export. Unser Wohlstand würde massiv einbrechen. Wir können uns nicht selbst überlassen.
Wäre es auch das Ende der Bundesländer-Anbindungen?
Die Flughäfen der Bundesländer würden leiden. Wer soll sie dann anbinden?
Sind Kurzstrecken aus ökologischer Sicht noch argumentierbar?
Die Forderung, sie jetzt zu opfern, geht am Thema vorbei. Das würde den Sanierungsversuch torpedieren. Die Kurzstrecke ist die Voraussetzung für die Langstrecke. Beschneide ich die Kurzstrecke, gibt es keine Langstrecke. Es ist wie bei siamesischen Zwillingen mit einem Herz. Wenn ich die trenne, sind beide tot. Jeder zweite Passagier, der Langstrecke fliegt, wurde über den Kurzstreckenflieger nach Wien gebracht.
Es wäre sinnvoller, die Bahn zu forcieren.
Dort, wo die Anbindung über die Bahn zeitgemäß funktioniert, braucht man sie nicht zu forcieren, siehe Linz. Der Hauptstrom kommt außerdem aus dem Osten. Versuchen Sie einmal, mit der Bahn von Sofia nach Wien zu kommen. Sie sind schneller in Wladiwostok.
Wann steigen Sie wieder in ein Flugzeug?
Ich denke jetzt nur an den Neubeginn und an die Sorgen der Mitarbeiter, ob sie morgen noch einen Job haben. Das unterdrückt jedes Fernweh.