Hunderte Lehrstellen, die nicht besetzt werden können, Nachwuchsprobleme in Betrieben und ein sich immer stärker zuspitzender Fachkräftemangel – die vergangenen Jahre waren für Unternehmer vor allem von Herausforderungen dieses Zuschnitts geprägt. Noch vor einem Jahr standen – Anfang Mai 2019 – österreichweit 6000 sofort verfügbare Lehrstellen lediglich 5400 Lehrstellensuchenden gegenüber. Die Coronakrise und die damit einhergehenden wirtschaftlichen Verwerfungen haben dieses Bild schlagartig ins Gegenteil verkehrt, wie die aktuellen Arbeitsmarktdaten zeigen.
Laut AMS-Zahlen sind die verfügbaren Lehrplätze in Österreich um fast ein Viertel auf 4561 eingebrochen – während 8366 Jugendliche auf der Suche nach einem betrieblichen Ausbildungsplatz sind, ein Plus von 54,7 Prozent.
Hat die Krise also auch den Lehrstellenmarkt voll erfasst?
Johann Bacher, Soziologieprofessor an der Johannes Kepler Universität Linz geht für heuer davon aus, dass über ganz Österreich hinweg 7500 Lehrstellen fehlen könnten. Vor allem die coronabedingte Krise im Tourismus wirke sich sehr negativ auf den Lehrstellenmarkt aus. SPÖ-Lehrlingssprecher Klaus Köchl warnt vor einer „drohenden Ausbildungskatastrophe am Lehrstellenmarkt“.
In der Steiermark präsentiert sich die Situation – im Vergleich zum Bundesschnitt – zumindest etwas freundlicher. Während die beim AMS gemeldeten offenen Lehrstellen um 20,4 Prozent auf 715 abgenommen haben, zählt man bei den Lehrstellensuchenden ein Plus von 14 Prozent auf 750. Vor einem Jahr standen für die damals 658 Lehrstellensuchenden freilich noch 898 Lehrstellen zur Auswahl.
Bereits Mitte April mahnte der steirische AMS-Geschäftsführer Karl-Heinz Snobe eindringlich: „Wir dürfen die Lehre jetzt nicht vernachlässigen.“ Seit dem Ausbruch der Krise wird in vielen Betrieben sowie beim AMS nämlich auch registriert, dass Bewerbungen für Lehrstellen vielerorts fast zum Erliegen gekommen sind. Das ändert sich nun in einzelnen Bereichen offenbar langsam wieder, wie aus zahlreichen Branchen zu erfahren ist.
"Fachkräftenachwuchs benötigen wir auch nach Krise"
Snobe betont: „Ein großer Teil jener Betriebe, die üblicherweise Lehrlinge aufnehmen, befindet sich jetzt in Kurzarbeit. Wir im AMS Steiermark hoffen sehr darauf, dass sich die Lehrstellenvermittlung heuer nur verzögert, aber nicht zu stark einbricht.“ An angepassten Konzepten werde bereits gearbeitet, „um Lehrstellensuchende und Betriebe trotz Corona beim ,Finden und gefunden werden‘ zu unterstützen. Den Fachkräftenachwuchs werden wir nämlich über die Pandemie hinaus benötigen – Corona wird irgendwann vorbei sein, der Fachkräfteengpass bleibt“, sagt Snobe.
Bis zu 20 Prozent weniger Lehrstellen
Wie wird nun die Lage in den einzelnen Branchen eingeschätzt? Mehr als 6800 der insgesamt 15.543 steirischen Lehrlinge waren im Vorjahr in Betrieben der Sparte Gewerbe und Handwerk in Ausbildung. Wie geht es weiter, wird der Bedarf der Unternehmen stark abnehmen? Spartenobmann Hermann Talowski betont, dass es derzeit noch zu früh für eine „endgültige Bewertung“ sei. „Aktuell sind die Auswirkungen noch überschaubar.“ Im Vergleich zum April 2019 wurde in dieser Sparte ein Rückgang der Lehrlingszahlen von 0,3 Prozent registriert, „bei Lehrlingen im ersten Lehrjahr beträgt das Minus aber 6,4 Prozent“, so Talowski. Das seien aber Momentaufnahmen, „die meisten Lehrverträge werden im August und September abgeschlossen“ und vieles werde auch davon abhängen, wie der Neustart für die Wirtschaft in den nächsten Wochen tatsächlich verlaufe. Daher sei man bestrebt, im Juni das Stimmungsbild in den Betrieben abzufragen, dann könne man eine detailliertere Einschätzung treffen. Insgesamt müsse man aber wohl von bis zu 20 Prozent weniger Lehrstellen ausgehen, schätzt Talowski. „In den Unternehmen ist man bestrebt, trotz der schwierigen Rahmenbedingungen das bestehende Personal zu halten, da kann es schon sein, dass der eine oder andere einmal ein Jahr aussetzt und keinen neuen Lehrling aufnimmt.“
"Basisförderung auftsocken"
Sehr geholfen habe die Maßnahme, dass auch für Lehrlinge Kurzarbeit angemeldet werden kann, „das wurde sehr stark genutzt“. Sollte der Lehrstellenmarkt auch in der Steiermark einbrechen, regt Talowski an, dass die Basisförderung für das duale System aufgestockt wird und an die Betriebe auch sofort ausbezahlt wird. „Das könnte sehr viel abfedern und auch verhindern, dass der Anteil von Lehrlingen in überbetrieblicher Ausbildung zu hoch wird.“
"Bekenntnis zur Ausbildung ungebrochen"
Im Bereich der besonders gebeutelten Sparte der Tourismus- und Freizeitwirtschaft zählte man im Vorjahr steiermarkweit 1108 Lehrlinge. Gastronomie-Obmann Klaus Friedl erwartet trotz aller Unsicherheiten, „dass jene Betriebe, die bisher Jugendliche ausgebildet haben, das auch weiterhin machen wollen“. Aus seiner Sicht zeige die Krise mehr denn je, dass „die Zukunft in der Fachkraft liegt, denn die werden wir auch weiterhin dringend benötigen“. Je besser die Ausbildung, desto besser die Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Sowohl bei Betrieben als auch bei den Jugendlichen orte er dieses Bewusstsein, so Friedl.
Auch Johann Spreitzhofer, Almwirt und steirischer Hotelierssprecher, sieht das „Bekenntnis zur Ausbildung trotz der unübersichtlichen und herausfordernden Situation ungebrochen“. Bisher sei es so gewesen, „dass wir unseren Lehrlingsbedarf nicht decken konnten, ich denke daher nicht, dass es da zu gravierenden Einschnitten bei der Zahl der Lehrplätze kommen wird, vielleicht wird es in dieser Krise sogar wieder etwas einfacher, Lehrlinge zu bekommen“. Er selbst „würde sofort wieder einen Lehrling im Betrieb aufnehmen“ und habe seinen Bedarf auch bereits beim AMS angemeldet, betont Spreitzhofer.
"Bekenntnis zur Fachkräfte-Ausbildung"
In der Industrie sei die Nachfrage nach Lehrlingen weiterhin gegeben, wie zahlreiche Firmenchefs hervorheben. Laut einer Umfrage der steirischen Industriellenvereinigung wollen mehr als 70 Prozent der heimischen Industriebetriebe heuer im Herbst gleich viele Lehrlinge aufnehmen wie im vergangenen Jahr. 2019 wurden in steirischen Industrieunternehmen fast 3000 Lehrlinge ausgebildet. Georg Knill, Präsident der steirischen Industriellenvereinigung, will zwar nicht ausschließen, dass es „punktuell“ in Unternehmen zu einem reduzierten Angebot komme, aber zum einen gebe es nach wie vor viele offene Lehrstellen „und am grundsätzlichen Bekenntnis zur Fachkräfte-Ausbildung ändert sich nichts“. Gerade in einer solchen Krise dürfe man das Bildungs- und Ausbildungsthema nicht vergessen. „Qualifizierung ist und bleibt ganz wesentlich für uns und dabei spielt die duale Ausbildung auch in Zukunft eine Schlüsselrolle.“
Ein Befund, dem sich auch Josef Stoppacher, Geschäftsführer von Weitzer Parkett anschließt. Auch in diesen gesamtwirtschaftlich herausfordernden Zeiten suche das Unternehmen „heute die Fachkräfte von morgen“. Man lade auch Berufsumsteiger ein, sich zu bewerben. Er ist überzeugt, dass „die Industrielehre gute Voraussetzungen für tolle Entwicklungsmöglichkeiten mit interessanten Herausforderungen bietet, aber auch einen sicheren Arbeitsplatz“.
"Eine fundierte Ausbildung überdauert Krisen"
Das unterstreicht auch Dominik Santner vom Grazer Messtechnikspezialisten Anton Paar: „Eine fundierte Ausbildung überdauert Krisen. Mit einer Lehre ist man bestens für die Zukunft gerüstet“, verweist Santner auch darauf, dass „unsere aktiven und zukünftigen Lehrlinge als Fachkräfte wesentlich zum Erfolg unseres Unternehmens beitragen“.
Auch beim Hightech-Zulieferer TCM International lässt Manfred Kainz, geschäftsführender Gesellschafter, keinen Zweifel daran: „Unser Lehrstellenangebot für den Herbst 2020 bleibt aufrecht und die Bewerbungsfrist läuft noch.“
Wolfgang Plasser, CEO von Pankl Racing Systems stellt „tolle Entwicklungsmöglichkeiten mit interessanten Herausforderungen“ für angehende Lehrlinge in Aussicht. „Die kommenden Monate werden herausfordernd und unser Know-how bringt hoffentlich einmal mehr den entscheidenden Vorteil. Auch unsere Lehrlingsausbildung steht für dieses Know-how und wir suchen gerade neue Bewerber“, so Plasser.
Martin Krutz, Geschäftsführer beim Kühlsystemespezialisten AHT Cooling Systems in Rottenmann, führt zudem die regionale Komponente ins Treffen: „Für uns ist die Lehre in einem lokalen Industriebetrieb nicht nur ein Ausbildungskonzept, sie gibt jungen Menschen die Möglichkeit, nahe am Zuhause einen Beruf zu erlernen, und stärkt damit sowohl unser Unternehmen als auch die Region, in der wir leben, mit wichtigen zukünftigen Fachkräften.“