Am Tag der Arbeit sind dieses Jahr sogar die Maiaufmärsche virtuell. Erleben wir gerade die endgültige digitale Revolution der Arbeitswelt?
DOROTHEE RITZ: Wir wurden innerhalb weniger Wochen um Jahre in die digitale Zukunft katapultiert. Am Anfang konnten sich das viele Menschen in den Firmen gar nicht vorstellen.
Fühlten sich, wie auch von Corona, wie überfallen?
Ja, insofern, als viele Arbeitgeber und Arbeitnehmer noch nicht einmal die Ausstattung hatten, um im Homeoffice zu arbeiten. Es hat dennoch gut und schnell funktioniert, dass Kollaborationsplattformen wie Teams ausgerollt wurden.
Das Microsoft-Geschäft mit Teams muss explodiert sein. Ein großer Krisengewinner?
Nein, Krisenunterstützer. Die Zahl der Anwender stieg im März von 20 Millionen auf 44 Millionen und hat sich in manchen Ländern verachtfacht. Ende März gab es an einem Tag 2,7 Milliarden Besprechungsminuten. Wir haben Schulen Plattformen umsonst zur Verfügung gestellt und hatten Lehrerschulungen mit über 5000 Lehrern an manchen Tagen. Wir werden sehen, was daraus wird.
Ehe wir über die Schule reden: Homeoffice war für alle ein riesiger Lernprozess. Wie nehmen Sie die Akzeptanz wahr?
Wenn man muss, ist der erste Schritt, dass man mit der Technik umgehen kann. Das hat erstaunlich gut geklappt. Aber jetzt freuen auch wir uns, dass wir nicht mehr nur im Homeoffice sind, sondern wieder persönlichen Kontakt aufnehmen können. Wir alle haben eine völlig andere Arbeitsweise, Arbeits- und Lernkultur gelernt.
Wie verändern Videocalls das soziale Miteinander im Betrieb?
Den Geschäftsergebnis schafft man mit Videokonferenzen bereits sehr gut. Aber Arbeit lebt auch von Begegnung, von Energie in den Meetings, vom Leben auf dem Weg zu den Meetings, vom Small Talk beim Verabschieden. Aber was wir gelernt haben bleibt. Wir werden sehr viel mehr virtuell arbeiten, auch weil es produktiv ist und die Umwelt schont.
Die Falle, stets abrufbar, noch länger, unter mehr Druck zu arbeiten, ist im Homeoffice evident.
Es gehört zur veränderten Unternehmenskultur, dass man die Mitarbeiter ermutigt, bewusste Pausen, auch mit Sport, einzulegen, Abends abzuschalten, die Arbeitszeiten einzuhalten. Es ist eine Balance von Eigenverantwortung und ermutigenden Regeln der Arbeitgeber. Moderne Unternehmenskultur hat viel mit Kümmern und Kennenlernen der Mitarbeiter als gesamte Person zu tun.
Schmaler Grat zwischen Vereinsamung und Familienstress?
Es gibt Familien mit zwei Schulkindern in einer kleinen Wohnung, andere fühlen sich einsam. Es braucht ein gutes Mittelmaß zwischen Homeoffice und Büro für soziale Kontakte.
Frauen sind oft mehrfach belastet, mit Erziehung und Haushalt zum Homeoffice obendrein.
Ich erlebe von Frauen vor allem Dankbarkeit, dass Homeoffice die ihnen die Möglichkeit gibt, am Arbeitsleben teilzunehmen. Sie müssen gleiche Chancen haben und dafür auch höhere Schutzmaßnahmen. Wir haben Familien mit angespannten Situationen ermöglicht, sich bis zu acht Wochen Zeit zu nehmen, sich darum zu sorgen.
Für Betriebsräte ist gewerkschaftliche Arbeit noch schwieriger, obwohl gerade mit Kurzarbeit und Homeoffice stark gefordert.
Ja, weil viele Mitarbeiter haben Angst und das ist nicht morgen vorbei. Dabei finde ich es toll, dass Betriebsräte die Gesundheit der Mitarbeiter stark in den Vordergrund stellen. Es wird noch mehr als ein Jahr dauern, bis mehr als ein Drittel der Belegschaft im Office sein darf.
Wie sieht die technologische Weiterentwicklung aus?
Die Plattformen werden noch intelligenter. Daten fließen direkt ein und das gesprochene Wort wird simultan mit Untertext in 70 Sprachen übersetzt.
Schon jetzt können sich mit Microsoft Hololens Menschen als Hologramme im virtuellen Raum treffen. Da löst der Mensch sich virtuell auf?
Es ersetzt keinen physischen Kontakt, aber es ist doch auch schön, wenn man Konferenzen über Kontinente so ersetzen kann. Ich hoffe, dass die Zukunft dahin geht. Bisher gibt es große Akzeptanz.
Der größte virtuellen Learning Hub vereint jetzt Österreichs Schüler.
Die Schulen hat es um ein Jahrzehnt nach vorne katapultiert. Ich zwei Kinder mit neun und elf, beide wechselten von einem Tag auf den anderen in die Onlineschule auf Teams. Ich habe gesehen, was Lehrer leisteten, aber auch wie sich viele herangearbeitet und gelernt haben. Klassen blieben mit hoher sozialer Komponente im Verband.
Zunächst klafften die Versäumnisse bei Digitalisierung im Bildungswesen auf, auch die damit verbundenen sozialen Klüften.
Wir hatten für unsere Angebote riesigen Zulauf und Tausende Lehrer in den Seminaren. Geräte konnten die Schulen gerade den Bedürftigsten zur Verfügung stellen. Man machte Riesenschritte, technische Infrastruktur bereitzustellen. Die wirkliche Arbeit muss aber jetzt bei der Ausbildung der Lehrer stattfinden, da der digitale Unterricht eine ganz andere Art und Weise ist, Kinder individuell zu fördern.
Zur Person
Dorothee Ritz ist General Manager von Microsoft Österreich. Die aus Deutschland stammende Juristin arbeitete für Bertelsmann in Australien, seit 15 Jahren in Managementfunktionen für Microsoft.
Adolf Winkler