Der Tourismus gehört zu den am schwersten von der Covid-19-Pandemie getroffenen Branchen. Sie betreiben selbst ein Boutiquehotel in Wien – wie geht es Ihnen jetzt?
MICHAELA REITTERER: Wir haben, wie der Großteil der Wiener Hotels, seit 16. März geschlossen. Und ja, ich habe schon einmal mehr gelacht. Wir haben Wochen gebraucht, allein um das Essen zu verteilen, denn wir waren ausgebucht. Nicht nur die Auftragsbücher, auch die Kühlschränke waren voll. Unfassbar.
Für viele Hotels wird die Frage einer Grenzöffnung im Sommer entscheidend sein.
Diese Frage entscheidet darüber, ob wir die Buchungen der Deutschen, Holländer und all jener aus allen anderen Ländern aus unseren Büchern rausstreichen müssen oder ob diese bleiben. Das sind bestätigte Buchungen, rechtsgültige Verträge – was machen wir damit? Wenn jemand sagen würde, die Grenzen bleiben bis Ende August zu, dann wüssten wir, was Sache ist. Jetzt macht die Ungewissheit die sehr, sehr guten Buchungen für den Sommer für uns zu einem ernsthaften juristischen und wirtschaftlichen Problem.
Die ausländischen Urlauber bleiben bei ihren Buchungen?
Viele europäische Gäste aus Deutschland, Holland, Italien oder Großbritannien lassen die Buchungen stehen, weil sie hoffen, dass die Grenzen aufgehen. Anders die außereuropäischen Gäste aus Amerika, Asien oder Russland, die zu einem Großteil storniert haben.
Was glauben Sie: Werden die Grenzen im Sommer aufgehen?
Ich vermute, dass es den ganzen Sommer dauern wird. Wir hoffen natürlich sehr, dass die Deutschen und die Schweizer kommen können. Wenn man im D-A-CH-Raum reisen könnte, wäre das für unseren Tourismus eine große Hilfe.
Beherbergungsbetriebe in der Stadt, an Seen und in den Bergen werden unterschiedlich betroffen sein. Gibt es neben Verlierern Gewinner unter den Hoteliers?
Das glaube ich nicht. Wir haben im Sommer pro Jahr 79 Millionen Nächtigungen. Ich glaube wirklich nicht, dass wir das mit fünf Millionen Österreichern, die auf Urlaub fahren, schaffen. Das ist eine leichte mathematische Übung. Der Sommertourismus zählt ab 1. Mai. Wobei das Seminargeschäft im Mai und Juni einmal ganz wegbricht. Es gibt keine Veranstaltungen, Meetings, nichts. Dann haben wir die Ferienzeit. Wir wissen nicht einmal, welche Hotels ab wann aufsperren dürfen. Das Problem ist die Planbarkeit – uns rufen Gäste an, wann sie kommen können, und wir wissen es nicht.
Gehen Sie nicht von einer Öffnung Mitte Mai aus – der Termin, den die Regierung genannt hat?
Das schon. Die Frage ist, was passiert, wenn die Grenzen zu sind und etwa in eine Destination wie Wien niemand kommen kann außer Österreichern, die noch im Bann ihrer Kurzarbeit oder Arbeitslosigkeit sind. Wer soll denn da nach Wien fahren? Die Unternehmer möchten jetzt wissen, womit sie planen können. Dazu kommen Sorgen wegen der Liquiditätsengpässe. Daher sind viele Betriebe so hochgradig verzweifelt.
Wie vielen Betrieben droht das Aus, weil die Liquidität fehlt?
Das kann ich nicht sagen. Aber schon vor Jahren haben wir eine Studie in Auftrag gegeben, in der es hieß, dass es 25 Prozent der Hotellerie in Österreich wirklich schlecht geht. Vielleicht sind es jetzt mehr? Und viele haben ja Lieferanten. In den Skiregionen zum Beispiel: Die sperren zu und nach einer guten Saison kommen die Kräne. Dann wird umgebaut. Davon lebt der Bauunternehmer, der Tischler, der Fliesenleger, der Elektriker. Da sprechen wir noch gar nicht von den Fremdenführern, Masseuren und vielen anderen. Das sind Abertausende Jobs.
Viele Betriebe bekommen Hilfe vom Staat – reicht das nicht?
Die Banken sind jetzt die Flaschenhälse, weil sie eigene Regularien haben. Es ist das eine, 80 oder 90 Prozent vom Kredit mit staatlichen Garantien zu bekommen, das andere ist es, die 10 oder 20 Prozent der Bank zu erhalten. An dem scheitert es. Man muss dafür den Handlungsspielraum der Banken erhöhen. Die Zeit drängt wirklich: Um die Liquidität der Betriebe ist es schlecht bestellt.
Die Bürokratie für die Kurzarbeit belastet viele – Sie auch?
Ich habe noch nie so viel in meinem Leben gearbeitet wie jetzt. Allein das Ansuchen hat uns einige Tage beschäftigt. Zuerst gab es das nötige Formular nicht, dann wurde man zur Wirtschaftskammer geschickt, dann zum ÖGB. Dann hat sich herausgestellt, dass es für die Lohnverrechnung kein Einreichformular gibt. Von allen Mitarbeitern zu Hause mussten wir Unterschriften einholen. Ich habe nur 35. Was machen Unternehmer, die 120, 130 haben? Ich verstehe nicht, warum man nicht die Daten von der Sozialversicherung nimmt.
Ist der Aufwand für die Corona-Kurzarbeit überbordend?
Die Systeme waren dafür nicht bereit, das verstehe ich schon. Jetzt aber haben wir bald eine zweite Welle für die Einreichung nach drei Monaten. Und dann noch weitere, denn Branchen wie der Tourismus werden mit sechs Monaten Kurzarbeit nicht auskommen. Das heurige Jahr können viele vergessen. Wenn von den 70.000 Betrieben, die für Kurzarbeit eingereicht haben, 30.000 erneut einreichen müssen, ist das eine Katastrophe.
Nun wurden auch alle Großveranstaltungen bis Ende August abgesagt – wie schwer ist dieser zusätzliche Schlag zu verkraften?
Unser Hotel ist neben der Stadthalle. Wir haben bis zuletzt noch gehofft, dass Veranstaltungen im Sommer stattfinden. Das trifft nicht nur Wien, sondern auch Salzburg besonders schwer. Alle Arbeitgeber, die ihre Mitarbeiter in Kurzarbeit mitgenommen haben, sind jetzt in einem Dilemma: Die Kurzarbeit ist noch nicht bestätigt, sie zahlen die Mitarbeiter im Voraus und hoffen, dass das AMS ihnen das bald zurückzahlt. Und in der Zwischenzeit müssen sie für die Verlängerung einreichen. Wie soll das funktionieren?
Tourismusministerin Köstinger ersucht die Österreicher, ihren Urlaub in der Heimat zu verbringen. Ist der Appell angekommen?
Das ist gut angekommen. Wir sind dafür dankbar. Wir müssen uns aber vor Augen führen: Wenn wir nicht wissen, wann und wie wir aufsperren können und wann die Grenzen aufgehen werden, müssen wir davon ausgehen, dass diese Sommersaison im besten Fall mit einem blauen Auge enden kann.
Setzen sich Hoteliers schon mit der Wintersaison auseinander?
Die Frage ist: Wann wird es eine Impfung geben? Die Menschen werden erst wieder Mut zum Reisen haben, wenn es eine Impfung gibt – oder effektive Medikamente. In den Urlaub zu fahren ist eine zutiefst emotionale Entscheidung. Ich fahre nicht in den Urlaub, wenn ich Angst habe. Je schneller es Medikamente gibt, umso eher hilft das dem Herbst- oder Wintertourismus.
Wann rechnen Sie damit, Ihr Hotel wieder aufzusperren?
Ich weiß nicht, ob ich das Hotel Mitte Mai aufsperren werde. Wir werden vielleicht einmal unser Restaurant öffnen. Wir warten sehnsüchtig auf die Pressekonferenz der Ministerin, was die Vorgaben für den Tourismus sind. Und wenn im Restaurant nur jeder zweite Tisch besetzt werden darf, ist die Frage, wie viele Gastronomen das überleben werden.
Haben die Hoteliers zum Aufsperren genügend Mitarbeiter?
Viele Betriebe haben jede Menge Mitarbeiter aus dem Ausland, die jetzt alle nicht hereindürfen. Wie sollen die aufsperren? Viele Betriebe haben große Sorge, dass sie ihre Mitarbeiter nicht zurückbekommen.
In Italien will man mit Plexiglas-Boxen am Strand die Saison retten. Wie wird sich der Sommerurlaub bei uns ändern?
Auf Plexiglas hoffe ich nicht. Die Österreicher haben bewiesen, dass sie bisher sehr verantwortungsvoll mit der Situation umgegangen sind.
Der Mund-Nasen-Schutz wird uns im Urlaub begleiten?
Fällt die Kurve weiter nach unten, würde ich mich sehr freuen, wenn man evaluiert, ob das notwendig ist. Niemand will die Bemühungen konterkarieren – aber wer möchte schon einen Urlaub mit einer Schutzmaske verbringen?