­„Ich reise trotzdem“: Mit einer gehörigen Portion Trotz reagiert eine Schar von Mitmenschen auf die Gefährdungslage für Reisende, ausgelöst durch das Coronavirus (und die Ängste, die es produziert). Der Slogan bildet gerade im Tourismus (und auch sehr reise-)affinen Kärnten den Rahmen um immer mehr Profilfotos auf Facebook.

Signal zum Widerstand gegen übertriebene Verunsicherung oder verzweifelter Appell, weiteren Schaden von der gebeutelten Tourismusbranche abzuwenden? Je nach Betrachtungsweise. Und die spaltet unsere Gesellschaft. Die Folgen der Corona-Krise sind jedoch unzweifelhaft: Die Reisebranche ist schwer infiziert mit einem Virus, das keine 80 Tage benötigte, um die Welt anzustecken.

Der Schaden ist kaum zu ermessen, besonders im Tourismus. Es geht um viel: Mehr als zehn Prozent der globalen Wirtschaftsleistung entfallen auf die Reisebranche, über 300 Millionen Menschen finden in dieser – normalerweise - Beschäftigung. Gut, dass die Bundesregierung rasch reagiert und Haftungen für bis zu 100 Millionen Euro für Kredite familien- und inhabergeführter Hotels, die unter den Folgen des Virus SARS-CoV-2 besonders stark leiden, übernehmen will.

Wie akut sich die Corona-Epidemie auch auf die Gesamtwirtschaft durchschlägt, zeigen jüngste Entwicklungen:

  • Mit dem britischen Regionalflieger Flybe rutschte am Donnerstag die erste Fluggesellschaft seit dem Ausbruch des Virus in die Insolvenz. Diese konnte den jüngsten Nachfrageeinbruch nicht mehr verkraften. Möglicherweise der Beginn einer Kettenreaktion in der Luftfahrtbranche.
    Die israelische Fluglinie El Al baut 1000 Mitarbeiter ab. Die Lufthansa-Tochter Austrian Airlines (AUA) dünnt wegen der Coronavirus-Epidemie ihr Flugprogramm in Europa, aber auch nach Israel drastisch aus.
  • Wegen der Ansteckungsgefahr stehen auch Reiseanbieter und Hotelbetreiber schwer unter Druck. Die umstrittene Verschiebung des Radiologenkongresses in Wien mit 23.000 Teilnehmern könnte zur Spitze eines Eisbergs an Absagen und Stornierungen auch in Österreich werden. Bereits jetzt sind Hotels, Bus- und Taxiunternehmen schwer getroffen. Mehr als jedes zehnte Hotel baute laut Hoteliersvereinigung bereits Stellen ab. Drei Viertel der Betriebe melden Umsatzrückgänge.
  • Aber auch das „Outgoing“ leidet massiv. Die Chefin des größten Kärntner Reisebüros, Andrea Springer, berichtet von extrem vielen Kunden, die sich nach Stornobedingungen erkundigen. Die Angst vor dem Virus selbst sei oft geringer als die vor möglicher Quarantäne.
  • In Deutschland sind die Reisebuchungen seit Mitte Februar im Sinkflug. Die Beobachtung, dass die Buchungen 37 Prozent unter jenen des Vorjahres liegen deckt sich mit einer Umfrage, wonach ein gutes Drittel mit dem Buchen zuwartet, aber 72 Prozent an ihren Reiseplänen festhalten wollen.
  • Auch heimische Transporteure leiden massiv: Aus China kommen kaum mehr Container. Nichts deute auf eine rasche Entspannung, warnt der Branchenverband BMÖ: „Mit dem Coronavirus wurde erstmals ein globales Lieferkettenrisiko erzeugt.“
  • Spürbar sind die Auswirkungen dessen natürlich auch bei der Ölnachfrage. Deutlich zu sehen an den Tankstellen und beim Opec-Krisengipfel in Wien, aber auch bei Österreichs Öl- und Gasriesen OMV. Die Nachfrage nach Flugbenzin (Kerosin) laufe derzeit extrem schlecht, sagt Rainer Seele im Interview mit unserer Redakteurin Claudia Haase. Auch „die Rohölnachfrage ist deutlich zurückgegangen.“
    Italien erwägt eine Aufstockung der Mittel im Kampf gegen Corona-Folgen um 1,4 auf 5 Milliarden Euro und will den EU-Stabilitätspakt aussetzen. Kärnten, Friaul-Julisch-Venetien und Venetien wollen gemeinsam den EU-Solidaritätsfonds anzapfen.

Zurück zum Tourismus: Dass Städte wie Venedig, lange Opfer des Massentourismus, mit einem Gästerückgang von 60 Prozent – einige Italiener kommen zwar noch, die Ausländer bleiben weg – zu kämpfen haben, ist bitter. Zumal der Corona-Epidemie das schwere acqua alta voranging. Wie eine Nachricht aus längst vergangener Zeit wirkt da der Plan der Venezianer, ab Juli 2020 von Tagestouristen mindestens drei Euro Eintrittsgeld zu kassieren. Massive - unerwünschte - Ausfälle beklagt man selbst im heimischen „Overtourism“-Hotspot Hallstatt.

Und ja, ist es schlussendlich noch rational, dass jeder zweite Fluggast laut Internationalem Luftfahrtverband IATA sein gebuchtes und gekauftes Ticket verfallen lässt?

Wer glaubt, auf Fragen wie diese im Moment valide Antworten geben zu können, nähert sich der Zunft der Scharlatane. Niemand kann ernsthaft prognostizieren, wo die Reise hingeht. Die wahrscheinlichste Variante ist wohl, dass wir mit dem Virus leben lernen müssen. Bis dahin werden die betroffenen Staaten – also vermutlich bald nahezu alle – den Kampf zur Eindämmung führen, zumindest um das Tempo der Ausbreitung zu bremsen. Die ökonomischen Kollateralschäden sind freilich gewaltig – so oder so.

Wer also „trotzdem“ reist, tut es auf eigene Gefahr. Das zu tun steht jedermann und jederfrau frei. Vorsicht walten zu lassen, auch.