Ein Virus bedroht die Gesundheit und die Weltwirtschaft? Der erste Teil des Satzes trifft zu: Niemand wünscht sich eine Erkrankung mit dem neuartigen Coronavirus. Aber stimmt der zweite Teil? Müssen wir uns auch wirtschaftlich große Sorgen machen? Auf den ersten Blick und Stand heute sind die wirtschaftlichen Auswirkungen der Epidemie begrenzt. Thomas Czypionka, Miriam Reiss und Alexander Schnabl haben sie in einem aktuellen IHS-Policy-Brief auf einige Hundert Millionen Euro für Österreich taxiert. Das sind, je nach getroffenen Annahmen, etwa 0,1 Prozent der österreichischen Wirtschaftsleistung. Stimmt die medizinische Prognose, dass die Anzahl der Neuerkrankungen im Laufe des März und April weltweit zurückgeht, dann würde die Wirtschaftsleistung Österreichs 2020 nur um marginal weniger als die prognostizierten 1,3 Prozent wachsen. Selbst für China, das am stärksten betroffen ist, gehen viele Schätzungen „nur“ von Kosten im Umfang von 0,5 Prozent bis 1 Prozent der Wirtschaftsleistung aus, bei einer ursprünglich prognostizierten Wachstumsrate von knapp unter 6 Prozent.
Börsen zeigen gerade eine Überreaktion
Selbstverständlich wissen wir nicht, wie sich das Virus weiterverbreitet, und es gibt medizinische Szenarios, die zu höheren Kosten und größeren wirtschaftlichen Schäden führen würden, aber es gibt andererseits auch viele Ausgleichsmechanismen in einer flexiblen Wirtschaft. Sollten die Annahmen korrekt sein, kommt die globale Wirtschaft mit einem blauen Auge davon, und die Börsen, die lange Zeit nicht reagiert haben, zeigen gerade eine Überreaktion.
Zwei Dinge darf man aber in diesem Zusammenhang nicht vergessen: Ereignisse wie Epidemien bergen immer das Risiko, mag es auch sehr klein sein, dass alles viel schlimmer kommt als erwartet. Und wir Menschen neigen dazu, diese kleinen Wahrscheinlichkeiten psychologisch massiv zu überschätzen. Dies gilt insbesondere für Fälle, in denen das Individuum keine Kontrolle über die Ereignisse hat.
Daher ist es wahrscheinlich auch die übertriebene Angst vor dem Virus, die wirtschaftlich die meisten Kosten verursacht.
Martin Kocher leitet das Institut für Höhere Studien in Wien und ist Professor an der Universität Wien
Martin G. Kocher