Die neue Regierung ist seit ein paar Wochen im Amt. Haben Sie den Eindruck, sie geht die Energiewende, den Klimaschutz ehrgeizig genug an?
WOLFGANG ANZENGRUBER: Die Ziele sind hoch ambitioniert, das Energie-Kapitel ist aus unserer Sicht gut gemacht. Wir wollen die Wasserstoff-Nation Nummer Eins werden. Wir als Verbund werden dazu einen sehr großen Teil beitragen.
MICHAEL STRUGL: Den Ehrgeiz der Regierung kann man daran ablesen, welche Kapazitäten an Erneuerbaren gebaut werden sollen. Es ist sehr klar, die Regierung hat das Thema ganz oben auf der Agenda.
Deutschland hat schon eine CO2-Steuer und einen klaren Fahrplan für den Kohleausstieg.
Strugl: Wir steigen auch aus der Kohle aus. Nach der Heizsaison in Mellach.
Gut, dass Mellach nicht verkauft wurde, aber darf ich dazu etwas später mehr fragen?
Anzengruber: Zu Deutschland sage ich, Chapeau! Die CO2-Bepreisung haben die in kürzester Zeit hingebracht. Man kann jetzt natürlich sagen, was sind schon 25 Euro je Tonne, aber es gibt preislich die klare Perspektive nach oben und es sind alle Sektoren dabei. Das finde ich gut. Statt immer zu diskutieren, ob Ambitionen groß genug sind, muss man einmal beginnen. Deutschland hat ganz schnell den Preis nachkorrigiert und einfach geliefert.
Ist man in Österreich mit dem anderen Ansatz zu langsam?
Anzengruber: Deutschland hat spontan, beschränkt auf die CO2-Bepreisung, reagiert. Wir gehen in die breite Fläche. Das Steuersystem zu ökologisieren ist ein guter Zugang, ein sehr umfassender, deshalb soll man keinen Schnellschuss machen.
Was sollte man trotzdem jetzt schon angehen?
Anzengruber: Seit einem Jahr diskutieren wir das Erneuerbaren Ausbaugesetz, das soll im Sommer in Begutachtung gehen. Wir brauchen aber schnell Rahmenbedingungen, damit wir in die Investitionen kommen. Wir brauchen in vielen Bereichen neue Regelungen, die teilweise Verfassungsmaterie sind, da muss man auch die SPÖ ins Boot holen. Das sollte tunlichst bald passieren.
Der US-Schriftsteller Jonathan Frantzen sorgt gerade für Aufsehen, weil er sinngemäß sagt, vergesst die Klimarettung, investiert lieber in Schutzmaßnahmen.
Anzengruber: Das ist das Gefährliche, wenn wir sagen, das schaffen wir sowieso nicht. Das verleitet nur dazu, dass wir jetzt keinen Handgriff machen.
Strugl: Innovation ist der Hebel. Wir haben 2019 ein Innovationssystem neu etabliert mit den Schwerpunkten grüner Wasserstoff, neue Speichertechnologien und digitale Technologien. Damit starten wir jetzt.
Und Mellach spielt dabei eine tragende Rolle im Konzern?
Strugl: Wir bauen den Standort, an dem wir mit zwölf Hektar viel Platz haben, zu unserem Innovationszentrum aus. Demnächst verfeuern wir die letzte Kohle. Das Gaskraftwerk bleibt ja erhalten. Wir switchen in ganz neue Technologien und machen aus Mellach einen Forschungs-Leuchtturm.
Für Wasserstoff, für Österreich?
Strugl: Weit darüber hinaus. Wir werden dort sehr intensiv in allen genannten Bereichen Neues testen, in enger Kooperation mit Forschungseinrichtungen und Technologie-Unternehmen. Die größte Vereinbarung haben wir mit der TU Graz. Das Interesse am Standort ist sehr groß. Wir wissen klar, welche Projekte wir verfolgen. Herausgesucht haben wir die mit den innovativsten Ansätzen und die, die am besten zu unserem Kerngeschäft passen.
Was genau starten Sie jetzt?
Strugl: Vor einer Woche hat unsere Hochtemperatur-Elektrolyse den Testbetrieb aufgenommen. Das Besondere an dieser Hotflex-Anlage ist der hohe Wirkungsgrad von bis zu 80 Prozent. Eine Anlage mit normalem Druck und normaler Temperatur, wie wir sie zusammen mit einigen Partnern betreiben, hat etwa 75 Prozent Wirkungsgrad.
Wo und wann könnte man das in großem Maßstab einsetzen?
Strugl: Einsetzbar wäre das in der Industrie. Wann das sein könnte, darüber können wir reden, wenn die Tests fertig sind.
Anzengruber: Wie das im großen Maßstab funktioniert, ist schwer zu prognostizieren. Spannend ist, dass diese Technologie überhaupt entwickelt wurde und wir als Verbund die Möglichkeit haben, sie auszuprobieren. Wasserstoff wird in dem ganzen Portfolio, das wir hier ausrollen, eine wesentliche Rolle spielen. Wir haben in Mellach die hohen Temperaturen, die das Hotflex-System braucht. Wir können hunderte Grad heißen Dampf aus unseren Leitungen nehmen. Wo man keine ausreichende Wärmequelle hat, wird man keine Hochtemperatur-Elektrolyse hinstellen. Aber es gibt viele Industrien mit den richtigen Voraussetzungen.
Dass Wasserstoff zu einem kleinen Teil ins Gasnetz gespeist werden kann, ist bekannt. Funktioniert das auch im Kraftwerk?
Anzengruber: Wir mischen es dem Erdgas bei und gehen damit in die Gasturbine. Das ist die eine Richtung. Die andere ist, Wasserstoff in einer Brennstoffzelle zurück in Strom zu verwandeln. Die langfristige Erwartungshaltung ist, dass es rein mit Wasserstoff betriebene Turbinen gibt, aber das geht technologisch noch nicht. Grundsätzlich ist Wasserstoff so wichtig, weil er aus Überschuss-Strom produziert werden kann, damit ist er ein Speichermedium und eine Basis für synthetische Kraftstoffe. Wir haben deshalb in unserem Innovationssystem eine ganze Wasserstoff-Linie mit großen und kleinen Projekten. Mit dem klaren Ziel, dass wir die Innovationsführerschaft bekommen.
Strugl: Eine führende Rolle wollen wir auch in der Batterie-Speichertechnologie einnehmen. Wir kooperieren mit der Universität Stanford und werden weltweit mit Start-ups zusammenarbeiten, um innovative Lösungen zu integrieren und neue Geschäftsmodelle zu entwickeln.
Der Verbund hat sich in den vergangenen Jahren gut aufgestellt. Wenn jetzt so viel von Innovationsführerschaft die Rede ist, was bedeutet das strategisch?
Strugl: Wir werden der Treiber der Energiewende sein.
Anzengruber: Wasserkraft ist auch in Zukunft unser Rückgrat, das wir mit digitalen Technologien weiterentwickeln, das bezieht das gesamte Netz mit ein. Von den 27 Terawattstunden, die laut Regierungsprogramm in den nächsten Jahren an Erneuerbaren errichtet werden sollen, könnten drei bis vier Terawatt aus Verbund-Wasserkraft kommen. Bei Stromerzeugung aus Sonne und Wind haben wir uns sechs bis sieben Terawattstunden vorgenommen. In zehn Jahren sollen sie 20 bis 30 Prozent unserer Erzeugung liefern.
Das klingt nach Investitionen in Milliarden-Höhe. Was kostet denn allein die „Hotflex“-Anlage?
Anzengruber: Für Zahlen müssen Sie noch unsere Bilanzpressekonferenz abwarten. Wir dürfen jetzt nichts sagen. Aber mal ehrlich. Wenn wir die Energiewende nicht machen, wer soll sie denn sonst machen.
Claudia Haase