Warum ist das Wissen über Physik solide und warum scheint sich unser Wissen über die Gesundheitswirkung von verschiedenen Ernährungsstilen so schnell zu verändern? Das liegt an einem wissenschaftlichen Instrument, das in den Naturwissenschaften eingesetzt wird und in anderen Bereichen weniger: dem Experiment.

Landläufig versteht man darunter das Ausprobieren; wissenschaftlich ist es das systematische Ausprobieren. Entscheidend ist, dass eine zufällig ausgewählte Gruppe die Experimentalbedingung erhält (etwa ein Medikament oder einen Anreizvertrag), eine andere Gruppe eine Kontrollbedingung oder ein Placebo. Dann kann man den Unterschied im Ergebnis kausal auf die Unterschiede zwischen den Bedingungen zurückführen.

Das klingt banal, ist es aber nicht. Wir neigen dazu überall Korrelationen zu sehen. So ist die Zahl der Nobelpreisträger in Ländern höher, in denen mehr Schokolade konsumiert wird. Das heißt aber nicht, dass Schokolade klüger macht – leider. Ein Experiment hilft uns Korrelation und Kausalität auseinanderzuhalten und Wirkmechanismen zu verstehen.

Wir nehmen täglich an „Experimenten“ von Unternehmen teil, von denen wir gar nichts wissen. Seit einigen Jahrzehnten wird das Instrument auch in den Wirtschaftswissenschaften verwendet. Vermehrt wird es auch zur Gestaltung von Politikmaßnahmen eingesetzt. Der „Nobelpreis“ in den Wirtschaftswissenschaften ging letztes Jahr an Forscher, die mittels Experimente untersucht haben, welche Interventionen zu besserer ökonomischer und sozialer Entwicklung führen.

Konrad Adenauer hat im deutschen Bundestageswahlkampf 1957 „Keine Experimente“ plakatieren lassen. Politische Experimente sind tatsächlich manchmal gefährlich. In der Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik sollten wir aber mutiger beim Ausprobieren sein. Wir lernen daraus, welche Maßnahmen wirken und warum sie wirken. Wir können politische Maßnahmen effizienter und effektiver gestalten. Und natürlich gibt es Grenzen: Manche wissenschaftlichen Fragen, etwa in der Ernährungswissenschaft, lassen aus ethischen Gründen keine Experimente zu.

Martin G. Kocher leitet das Institut für Höhere Studien in Wien und ist Professor an der Universität Wien.