Siemens-Chef Joe Kaeser wehrt sich gegen die Kritik von Klimaschützern am deutschen Industriekonzern. Es mute "fast grotesk an", dass sich die Aktivisten ausgerechnet auf Siemens eingeschossen hätten, sagte er am Mittwoch vor der Hauptversammlung in München.
Vor der Olympiahalle protestierten mehr als hundert Demonstranten, die sich vor allem an der Rolle von Siemens bei einem Kohleabbau-Projekt in Australien stoßen. Sie skandierten "Kohle Stopp" und forderten den Rückzug von Siemens. "Bei solchen Themen kann man nicht gewinnen", sagte der Vorstandschef resigniert. Der Mini-Auftrag für Signaltechnik stehe in keinem Verhältnis zu den Bemühungen des Konzerns um Klimaschutz. Der Streit ums Klima überschattet auch den bevorstehenden Börsengang der Energie-Sparte Siemens Energy, die vor allem Technik für Kohle- und Gas-Kraftwerke liefert.
Der Konzern ist seit Wochen Zielscheibe von Klima-Aktivisten. Sie stellten sich vor dem Eingang zur Halle auf, der mit Gittern abgeriegelt und von Polizisten bewacht wurde. Ein Dutzend Vertreter von Umwelt- und Menschenrechtsgruppen wollten auch in der Hauptversammlung sprechen. Aufsichtsratschef Jim Hagemann Snabe sagte: "Wenn die Diskussion etwas Gutes hat, dann das: Wir sehen uns angespornt, den Wandel von Siemens in Richtung Nachhaltigkeit zu beschleunigen."
Unternehmen müssten die Folgen ihres Handelns für die Umwelt in ihren Entscheidungen stärker berücksichtigen. Das fordern inzwischen auch immer mehr Investoren: "Unternehmen, die in Sachen Klimaschutz nicht liefern, werden es am Kapitalmarkt künftig immer schwerer haben und abgestraft werden", warnte Portfoliomanagerin Vera Diehl von Union Investment.
Kaeser widersprach der Annahme der Klimaschützer, dass ein Ausstieg von Siemens die gigantische Kohlemine zu Fall bringen könnte. Die Signaltechnik für eine Bahnstrecke zum Abtransport der geförderten Kohle zum Hafen sei "für die Inbetriebnahme der umstrittenen Mine irrelevant". Der Siemens-Chef bezeichnete die Entscheidung für den Auftrag aber als Fehler: "Wären wir noch einmal in der Situation, in der wir frei entscheiden könnten, fiele sie sicher anders aus." Die Kohle soll in Kraftwerken des Energiekonzerns Adani in Indien verfeuert werden. Das fördert nach den Befürchtungen von Klimaschützern die globale Erwärmung. Kaeser warf den Aktivisten Verweigerungshaltung vor: "Wir kommen mit einem lösungsorientierten Dialog nicht voran."
Auch Vertreter großer Kapitalanleger gingen mit Siemens wegen des Umgangs mit dem Auftrag ins Gericht. Union-Investment-Fondsmanagerin Diehl sprach von einem "kommunikativen Desaster" und einem Imageschaden, der auch den Start von Siemens Energy an der Börse belaste. "Bei einer sorgfältigen Prüfung aller Umwelt- und Reputationsrisiken hätte Siemens diesen Auftrag niemals unterzeichnen dürfen."
Siemens will mit dem für Ende September geplanten Börsengang der Energie-Tochter die Mehrheit an Siemens Energy abgeben. Die restlichen Anteile sollen an die eigenen Aktionäre abgegeben werden. Kaeser sagte, nur wenige Unternehmen könnten den Wandel von Öl, Kohle und Gas zu erneuerbaren Energien so gut begleiten wie Siemens Energy. Der steigende Strombedarf der Welt müsse gedeckt, der CO2-Ausstoß gleichzeitig radikal gesenkt werden.
"Das ist eine Herausforderung. Und zugleich eine große Chance." Zu Siemens Energy gehört auch die spanische Windkraft-Tochter Siemens Gamesa. Siemens nimmt 1,1 Milliarden Euro in die Hand, um seine Gamesa-Anteile auf 67 Prozent aufzustocken. Kaesers designierter Nachfolger Roland Busch rechtfertigte die Trennung von der Sparte: "Nur so bekommen wir die Freiräume, die wir brauchen." Dazu gehörten auch Zukäufe.
Siemens sieht "gewaltigen Kraftakt"
Der neue Siemens-Energy-Chef Michael Sen sprach von einem "gewaltigen Kraftakt". Im ersten Quartal (Oktober bis Dezember) 2019/20 standen sowohl die Sparte "Gas & Power" als auch Siemens Gamesa unter Ertragsdruck. Kaeser forderte Sen auf, bald bessere Zahlen vorzulegen. "Diese Notwendigkeit war ja gerade im ersten Quartal unübersehbar."
Von den schwachen Zahlen für das erste Quartal zeigten sich die Börsianer nicht lange beeindruckt. Am späten Vormittag lag die Siemens-Aktie 0,5 Prozent im Plus. Siemens hat mit einem operativen Gewinnrückgang um 30 Prozent auf 1,43 Milliarden Euro die Erwartungen von Experten weit verfehlt, der Umsatz trat mit 20,3 Milliarden Euro auf der Stelle. "Wir hatten schon bessere Quartale", sagte Kaeser. Siemens leide kurzfristig unter der Schwäche der Autoindustrie und des Maschinenbaus, die zu den größten Kunden der erfolgsverwöhnten Sparte Digital Industries (Industrieautomatisierung) gehört. "Das ist keine Überraschung, die wir nicht verdauen könnten."