Das 1-2-3-Ticket gilt als „Herzensprojekt“ der neuen Regierung. Sie haben sich bisher kaum dazu geäußert. Was halten Sie von der Ide? Ist sie machbar und bezahlbar?
Andreas Matthä: Die politische Willensbekundung, die dahinter steht, nämlich die Ticketpreise zu senken, kann ich gut verstehen. In Wien, Vorarlberg und Tirol, wo wir schon sehr attraktive Tarife haben, sehen wir auch deutliche Fahrgastzuwächse. Ähnliches erwarten wir vom 1-2-3-Ticket und unterstützen dieses Projekt daher mit voller Tatkraft. Aber es ist eine sehr komplexe Aufgabe. Bei den Kosten kann man noch wenig sagen. In der Dimension wird es um dreistellige Millionenbeträge gehen.
Wie groß schätzen Sie die Nachfrage nach dem 1-2-3-Ticket ein?
In den Bundesländern, die heute noch ein höheres Preisniveau haben, erwarten wir ein Plus bei den Fahrgästen. Ein Drittel mehr könnte da schon möglich sein. Wie hoch der Bedarf bundesweit wirklich sein wird, muss man sich über Kundenbefragungen genauer ansehen. Diese Erhebungen gibt es noch nicht. Es kann aber durchaus sein, dass sich das Ticket für manche Pendler nicht auszahlt wenn man zum Beispiel nur kurz über die Länder- oder Stadtgrenze fahren muss.
Die Züge sind, gerade zu Stoßzeiten, jetzt schon voll. Wieviel zusätzliche Kapazitäten müssen Sie schaffen?
Eine der wesentlichsten Fragen ist: Wie schaffe ich es, Kunden, die nicht um sieben Uhr früh fahren müssen, auch in leerere Züge zu anderen Zeiten zu lotsen? Das Preissignal wäre dann ja weg. Die Kapazitätserweiterung selbst erfolgt auf drei Stufen: Mit moderneren Zügen schaffen wir auch mehr Sitzplätze. Der neue Cityjet fasst im Vergleich zur alten S-Bahn etwa um 25 Prozent mehr Fahrgäste. Die Umstellung der Software wird eine dichtere Zugfolge und höhere Geschwindigkeiten erlauben. Und der letzte Schritt ist der echte Ausbau der Bahninfrastruktur. Wir sind sehr froh, dass im Regierungsprogramm auch das „Zielnetz 2040“ als Infrastrukturprogramm enthalten ist. Wir werden die Ausweitungen um die Ballungsräume und für den Güterverkehr brauchen.
Türkis-Grün setzt auf die Ökologisierung des Verkehrs. Ist das für die ÖBB ein Konjunkturprogramm oder kann es auch eine betriebswirtschaftliche Belastung werden?
Strategisch ist es ein Schritt in die richtige Richtung. Während Industrie und Haushalte ihre CO2-Emissionen konstant senken, steigen sie im Verkehr an. Hier muss also etwas passieren. Aber es wird uns wirtschaftlich auch unter Druck bringen. Wir müssen unsere Effizienz weiter steigern.
Die Kosten für den Ausbau des Bahnnetzes werden Steuerzahler und ÖBB tragen müssen. Gleichzeitig sollen die Ticketpreise sinken. Werden die Schulden der ÖBB noch schneller steigen?
Wir nehmen die Finanzverbindlichkeiten für den Ausbau der Infrastruktur in unsere Bilanz. Der Staat zahlt sie dann über 30 Jahre als Annuität zurück. Diese Finanzverbindlichkeiten werden natürlich auch weiter und schneller steigen, wenn wir mehr investieren. Gleichzeitig haben wir bei Bahninfrastruktur aber 90 Prozent heimische Wertschöpfung, unsere Bahnindustrie ist die Nummer fünf weltweit.
Aber das Ziel, dass die Schulden der ÖBB Mitte 2020 ein Plateau erreichen, ist damit dahin?
Wenn wir das „Zielnetz 2040“ auflegen, wird sich das Plateau nach hinten verschieben. Das liegt in der Natur der Sache.
Wieviel muss investiert werden? Zuletzt waren es 13,9 Milliarden. Stimmt die Dimension wieder?
Diese Summe entspricht den zuletzt gültigen Rahmenplan-Investitionen für den Zeitraum von 2018 bis 2023. Eine neue Berechnung liegt noch nicht vor, insofern gibt es dazu auch nur erste Vorstellungen, die man aber noch diskutieren muss. Wir brauchen auch in Zukunft Investitionen in die Infrastruktur, denn wir merken schon heute, dass wir in manchen Regionen schon an der Kapazitätsgrenze sind. Wir hatten zuletzt einen Fahrgastrekord und es würde mich nicht wundern, wenn das heuer wieder so ist.
Die Klimadebatte gibt der Bahn viel Rückenwind im Kampf gegen Straße und Flugzeug. Dennoch verlieren die ÖBB im Frachtgeschäft konstant Marktanteile gegen den LKW. Auch mit den Nachtzügen läuft es nicht gerade reibungslos. Warum?
Wir haben sehr viel Rückenwind – vor allem in der öffentlichen Wahrnehmung. Auch bei jüngeren Passagieren merken wir zunehmend Rückenwind. Im Güterverkehr gibt es diese Situation gar nicht. Da zählt nur der Preis. Das ist ok, aber dann will ich Wettbewerb mit fairen Bedingungen. Stattdessen gibt es krasse Wettbewerbsverzerrungen. Europa braucht mehr Bahn, aber die Bahn braucht auch mehr Europa. Als es noch kein vereintes Europa gegeben hat, wurde militärisch begründet penibel drauf geschaut, dass es getrennte, technische Systeme gibt. Der Nightjet nach Brüssel hat gut gezeigt, warum wir die europäischen Standards nun schnell harmonisieren müssen. In Aachen stehen wir 45 Minuten, weil wir auf eine belgische Lok umrüsten müssen. Der LKW fährt indessen mit einer Zulassung aus Rumänien quer durch Europa.
Die Bahn liegt nicht nur bei der Zeit, sondern auch beim Preis hinter dem LKW.
Wir haben bis dato keine Kostenwahrheit. Rund ein Drittel der gesamten Kosten eines LKW-Transits tragen die Steuerzahler. Bei Flugtickets gibt es keine Mehrwertsteuer, keine Mineralölsteuer auf das Kerosin. Das ist natürlich ein Nachteil für uns. Das Jahr 2019 war nicht leicht für den Güterverkehr. Trotzdem haben wir ein positives Ergebnis geschafft und stecken mitten in einem Effizienzprogramm. Wir müssen mehr Wettbewerbsfähigkeit erreichen. Auch im Personenverkehr.
Ähnlich durchwachsen ist die Situation beim Postbus. Wie wollen Sie das ändern?
Beim Postbus haben wir in der Tat eine angespannte wirtschaftliche Situation. Da geht es der Konkurrenz nicht anders, weil wir in Österreich ein Buspreisniveau haben, das seinesgleichen sucht. Zudem müssen wir noch die Kosten der Bundesbeamten tragen. Wir pendeln um eine schwarze Null herum. Und das wird noch eine Weile dauern.
Aufsichtsrat und Vorstand der ÖBB sind wie ein Gegenmodell zur Regierung. Gerade der Aufsichtsrat ist stark FPÖ-dominiert. Rechnen Sie hier mit Veränderungen?
Es ist fast naheliegend, dass der Eigentümer hier etwas ändern wird.
Ihr Vertrag steht im Frühjahr zur Verlängerung an. Wollen Sie weitermachen?
Wir haben in den vergangenen Jahren sehr viel erreicht und es gibt noch viel zu tun. Ich bin daher gerne bereit, die ÖBB über 2021 hinaus weiter zu führen.
Sie haben 17 verschiedene Verkehrsminister erlebt. Wie geht es Ihnen mit der ersten grünen Ministerin?
ÖBB und Grün sind fast eine natürliche Symbiose. Wir haben schon in Zeiten, als grün nicht so en vogue war, Klimaschutz gemacht. Das liegt in unserer DNA und wird noch ein Riesen-Wettbewerbsvorteil für uns sein.
Ihr Vorgänger Christian Kern hat nach seinem Gang in die Politik gemeint, dass der ÖBB-Chef zu viel verdiene. Ihre Meinung?
Ich sehe es anders: Die Politiker verdienen zu wenig. Wenn man sieht, mit welchem Einsatz sie sieben Tage die Woche arbeiten, relativiert sich das.
Das Gespräch wurde mit den Bundesländerzeitungen und der „Presse“ geführt. Für die Kleine Zeitung stellte Thomas Götz die Fragen.