Es sind Szenen einer wechselseitigen Entfremdung: Draußen, unterm auf den Straßen Berlins, skandieren sie „Wir haben es satt“ und fordern mehr Umwelt-, Klima- und Tierschutz. Drinnen, auf dem riesigen Messegelände, beklagen Bauern, dass das „Immer-Mehr“ an Auflagen, Vorschriften und Reduktionszielen ihnen wirtschaftlich die Luft zum Atmen nehme. Sie protestieren mit Traktoren auf Berlins Straßen.
400.000 Besucher, 1800 Aussteller, 71 Länder
Und dazwischen kosten sich in zehn Tagen 400.000 genussorientierte Besucher durch die kulinarischen Angebote aus wirklich allen Teilen der Welt - von A wie Affenbrotbaumnuss bis Z wie Zero-Waste-Bier.
Die Grüne Woche wurde bis zu ihrer nunmehr 85. Ausgabe zur weltweit wichtigsten Agrarmesse, weil sie immer schon eine kulinarische Rundreise (diesmal 71 Länder) mit dem größten Auflauf an Agrarministern, EU-Kommissären und Entscheidern verbunden hat.
Stimmung noch nie so aufgeladen wie heuer
Doch nie war die Stimmung so aufgeladen wie jetzt, da ausgehend von der Klimadebatte die grüne Welle auch die Grüne Woche erfasst. Redebedarf zwischen Produzenten und Konsumenten gibt es genügend. Darum sind heuer erstmals 100 Landwirte als „Scouts“ unterwegs, um Besuchern Landwirtschaft von heute (bis hin zum Elektro-Pflanzenschutzroboter) zu erklären.
Green Deal
Und weil hier 70 Agrarminister aus aller Welt auch politisch das Feld der Zukunft bestellen, skizzierten gestern die neuen EU-Kommissare, Janusz Wojciechowski aus Polen (Agrar) und Stella Kyriakides aus Zypern (Lebensmittel) ihre Vorstellungen, wie der „Green Deal“ Europas Landwirtschaft verändern soll (weniger Chemie, mehr Tierwohl).
Österreichs Landwirtschaftskammer-Präsident Josef Moosbrugger mahnt indes „Maßnahmen mit Hausverstand“ ein: „Es kann nicht sein, dass hierzulande, wo höchste Standards verlangt werden, die Produktion sinkt und dann aus Ländern importiert wird, die solche Standards nicht in einmal in Ansätzen kennen. Das wäre das glatte Gegenteil vom Green Deal.“
Auch das Match um die EU-Fördertöpfe bis 2027 läuft über Berlin: Laut Agrarministerin Elisabeth Köstinger „sind die von der EU-Kommission angekündigten Kürzungen in der ländlichen Entwicklung für uns untragbar“. Geht es nach EU-Plänen, würden 120 Millionen Euro weniger nach Österreich fließen. Verlierer sei das Umwelt- und Bergbauernprogramm, was nach Meinung von Österreichs Vertretern den Green Deal konterkarieren würde. Türkis-Grün hat aber im Koalitionspakt bereits nationalen Ausgleich zugesagt, sollte weniger Geld aus Brüssel fließen.
Ulrich Dunst