Im Fall des von Japan in den Libanon geflüchteten ehemaligen Nissan-Chefs Carlos Ghosn ist nun Interpol eingeschaltet. Die Generalstaatsanwaltschaft habe von der internationalen Polizeiorganisation eine sogenannte Rote Notiz zur Festnahme Ghosns erhalten, zitierte die staatliche libanesische Nachrichtenagentur Ani am Donnerstag Justizminister Albert Sarhan.
In der Türkei leitete die Polizei Medienberichten zufolge Ermittlungen ein.
Ghosn war im November 2018 in Japan festgenommen worden. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm unter anderem vor, Firmenkapital zweckentfremdet und private Verluste auf Nissan übertragen zu haben. Er saß rund vier Monate in Haft, war aber im Frühjahr gegen Kaution unter strikten Auflagen aus der Haft entlassen worden. Für das kommende Frühjahr war der Beginn seines Prozesses in Japan angesetzt. Doch der frühere Spitzenmanager setzte sich offenbar am Sonntag trotz eines Ausreiseverbots in den Libanon ab.
Flucht mit Privatjet
Die genauen Umstände seiner Flucht sind noch unklar. Medienberichten zufolge flog Ghosn am 29. Dezember vom Flughafen im westjapanischen Kansai mit einer Privatmaschine nach Istanbul und von dort in den Libanon.
Der türkische Nachrichtensender NTV berichtete am Donnerstag, das Innenministerium habe Ermittlungen dazu angeordnet, wie Ghosn die Türkei als Durchreiseland habe nutzen können. Laut der türkischen Nachrichtenagentur DHA wurden sieben Menschen in Istanbul zur Befragung festgenommen, darunter vier Piloten. Japanische Ermittler durchsuchten zudem den Tokioter Wohnsitz des früheren Topmanagers.
Mehrere Pässe
Ghosn besitzt die französische, die brasilianische und die libanesische Staatsangehörigkeit. Drei Pässe wurden ihm im Zuge der Ermittlungen abgenommen und von seinen Anwälten in einem Safe verwahrt. Bei seiner Flucht benutzte er nach AFP-Informationen jedoch einen zweiten französischen Pass.
Wie die Nachrichtenagentur AFP am Donnerstag aus Ermittlerkreisen erfuhr, hatte Ghosn eine Sondergenehmigung eines japanischen Gerichts und trug seinen französischen Zweitpass in einer Art Etui bei sich, das durch einen nur seinen Anwälten bekannten Geheimcode verschlossen war. Da sich Ghosn innerhalb Japans relativ frei bewegen konnte, habe er diesen Pass als Nachweis für seinen Aufenthaltsstatus benötigt. Im Falle einer Kontrolle hätte er demnach seinen Anwalt kontaktieren müssen, der sich dann mit dem Code vor Ort begeben hätte.
Flucht im Koffer?
Für seine Ausreise aus Japan nutzte Ghosn diesen Pass aber offenbar nicht. An keinem japanischen Flughafen wurde von den Behörden eine Ausreise Ghosns registriert. Dem japanischen Sender NHK zufolge wird Ghosn verdächtigt, unter falscher Identität oder unter Umgehung der Grenzkontrollen ausgereist zu sein. Er könnte demnach in einem Gepäckstück außer Landes geschleust worden sein - das Gepäck von Privatflugzeugen wird nicht durchleuchtet. Der Ex-Automanager könnte Medienberichten zufolge aber auch mit diplomatischer Hilfe die Kontrollen umgangen haben.
Das Büro des libanesischen Präsidenten Michel Aoun bestritt am Donnerstag Medienberichte, wonach Ghosn vom Präsidenten empfangen worden sein soll.
Frankreichs Regierung erklärte am Donnerstag, sie würde Ghosn nicht ausliefern, sollte er dorthin einreisen. "Wenn Monsieur Ghosn in Frankreich ankommt, werden wir ihn nicht ausliefern, weil Frankreich niemals seine Staatsbürger ausliefert", sagte Wirtschafts-Staatssekretärin Agnes Pannier-Runacher im Sender BFM. Für Ghosn gälten die gleichen Regeln wie für alle anderen französischen Staatsbürger, sagte Pannier-Runacher. "Das hindert uns aber nicht daran zu denken, dass Herr Ghosn sich der japanischen Justiz nicht entziehen sollte."
Eine sogenannte Rote Notiz von Interpol ist kein Haftbefehl, sondern ein Fahndungsaufruf zur Festnahme eines gesuchten Verdächtigen. Das libanesische Außenministerium hatte allerdings kürzlich erklärt, Ghosn sei "legal" ins Land eingereist. Es gebe kein Auslieferungsabkommen mit Japan und auch keine juristische Zusammenarbeit.