Die gute Nachricht für die Weltluftfahrt hat aus Expertensicht eine zwiespältige Note. Die annähernde Halbierung der Zahl der Unfalltoten gegenüber dem Vorjahr ist nach Ansicht des Flugsicherheitsexperten Jan-Arwed Richter auch der Tatsache geschuldet, dass der US-Hersteller Boeing seine Unglücksflieger vom Typ B737 Max ab März am Boden lassen musste.
"Nach allem, was bisher durch Dokumente und die Anhörung vor dem US-Kongress ans Licht kam, hätte ein weiterer Betrieb mit großer Wahrscheinlichkeit zu einem weiteren Unglück geführt, das uns zum Glück erspart geblieben ist", meint der Gründer des Hamburger Flugsicherheitsbüros JACDEC.
Er bringt auf den Punkt, was viele Luftfahrtanalysten denken. "Die Luftfahrt weltweit ist auf einem konstant hohen Niveau angekommen", sagt etwa der Hamburger Luftfahrtexperte Cord Schellenberg. Doch er mahnt: "Das Motto 'Sicherheit um jeden Preis' muss immer gelten: Das ist eine Erkenntnis, die auch Boeing jetzt erreicht." Schellenberg spricht daher von einem guten Signal für alle Passagiere - und einer wichtigen Botschaft für alle Flugzeughersteller. Denn bewährte Flugzeugmodelle auf Kosten der Sicherheit bis an die Grenzen des Machbaren auszureizen und weiterzuentwickeln ist riskant; teure Neuentwicklungen von Flugzeugmodellen dürften daher nun Trumpf sein.
Obwohl eine Neuauflage des bisher sichersten Jahres in der Geschichte der gewerblichen Zivilluftfahrt - 2017 - mit 40 Unfalltoten in weiter Ferne scheint: Die Zahl an schwarzen Schafen bei Airlines oder Aufsichtsbehörden wird Jahr für Jahr geringer. "Im Jahr 2019 setzt sich der seit Jahrzehnten erkennbare Trend fort, dass es bei stark steigendem Passagier-Luftverkehr immer weniger Tote bei Unfällen gibt; die Flugsicherheit wird also weltweit immer besser", meint Thomas Borchert vom Luftfahrtmagazin "Aero International", das jährlich die JACDEC-Flugsicherheitsstudie in Auftrag gibt.
Der Weltluftfahrtverband IATA hatte schon angedeutet, dass 2019 nach vorläufigen Zahlen die Unfallzahlen in der Zivilluftfahrt gegenüber dem Vorjahr sinken dürften. Sowohl die JACDEC-Unfallforscher wie die des Aviation Safety Network (ASN) bestätigen nun diesen Trend, auch wenn ihre Zahlen aufgrund anderer Zählweisen im Detail abweichen.
Fakt ist in der Tat: 2019 beförderten die der IATA angeschlossenen Airlines rund 4,5 Milliarden Passagiere - das sind 14 Mal so viele wie noch 1970. Die statistische Wahrscheinlichkeit, bei einem Flugzeugabsturz zu sterben, sank seit 1970 im Schnitt von einem Verhältnis von 1 zu 264.000 auf 1 zu 15,874.000. "Fliegen war 2019 also 60 mal sicherer als in den 1970ern", rechnete der BDL (Bundesverband der Deutschen Luftverkehrswirtschaft) vor.
Fakt ist zudem: Seit Jahren sind die Sicherheitsstandards weltweit gestiegen. Verbesserte Ausbildungen der Crews und die weltweite Vernetzung der Luftfahrtindustrie tragen dazu bei, aus Unfällen zu lernen und das Fliegen insgesamt sicherer zu machen. Der genaue Blick auf die Zahlen verdeutlicht aber auch, dass es nach wie vor ein Sicherheitsgefälle zwischen kommerzieller Linienfliegerei und regionalen Flügen gibt.
Zudem spiegeln Unfallzahlen nicht unbedingt das gesamte Sicherheitsniveau einer Branche wider.