Es klingt paradox, aber die Pleite des zweitgrößten Airlinekunden hat dem Flughafen Wien in den vergangenen zwei Jahren das größte Wachstum in der Unternehmensgeschichte beschert. Die Zahl der Passagiere stieg von rund 24 Millionen Fluggästen 2017 auf 27 Millionen 2018 und heuer auf über 31 Millionen. Das ist ein Wachstum um fast ein Drittel.

In der Nacht auf den 14. Dezember 2017 stellte die österreichische Air-Berlin-Tochter Niki ihren Flugbetrieb ein und folgte ihrem Mutterkonzern in die Insolvenz. Der IATA-Code "HG" war Geschichte. Tausend Mitarbeiter verloren ihre Jobs, mehr als zehnmal so viele Passagiere strandeten. Auf dem Wiener Flughafen herrschte Krisenstimmung.

Überraschend starkes Wachstum

"Wenn mir jemand gesagt hätte, die Air Berlin geht pleite und ein oder zwei Jahre später habt ihr ein höheres Ergebnis als im Jahr mit Air Berlin, dann hätte das jeder unterschrieben", sagte der Flughafen-Vorstand Julian Jäger im Gespräch mit der APA zwei Jahre später.

Die schwierige finanzielle Situation der Air Berlin sei schon in den Jahren vor der Pleite als eine der wesentlichen Risiken eingestuft worden, sagte Jäger. "Ein Kapazitätsverlust von 15 oder 20 Prozent wäre nicht nur für uns, sondern auch für den Standort eine Katastrophe gewesen."

Beim Aus für Niki ahnte noch niemand, dass sich einige Monate später eine Handvoll Billigairlines den Marktanteil streitig machen und so für das rasante Wachstum sorgen werden. "Wenn ich es mir aussuchen könnte, hätte ich gesagt, das Wachstum der letzten zwei Jahre hätten wir auf die nächsten fünf, sechs Jahre auch verteilen können und wir wären froh gewesen", gestand Jäger.

Rabattsystem

Der Wiener Airport hat in der zweiten Jahreshälfte 2017 nach der Pleite von Air Berlin ein neues Rabattsystem erarbeitet, um Airlines anzulocken und sie zu Wachstum zu motivieren - "wo die Intention natürlich war, zu verhindern, dass es zu Kapazitätsverlusten kommt", so Jäger. Seit 1. Jänner 2018 ist dieses sogenannte Incentiveprogramm in Kraft. Auf Deutsch übersetzt ist ein Incentive ein Anreiz. Der Durchschnittsumsatz pro Passagier sank dadurch leicht.

Dass solche Anreize - zum Beispiel bis zu 100 Prozent im ersten Jahr auf das Landeentgelt für neue Strecken - das Wachstum aber alleine beflügelt haben, glaubt Jäger nicht. "Aus meiner Sicht spielen die Incentives eine komplett untergeordnete Rolle bei diesem Konkurrenzkampf, der da entstanden ist." Der Landetarif macht rund ein Fünftel der gesamten Flughafengebühren aus.

Wizz Air gegen Ryan Air

Für den Preiskampf und das Wachstum verantwortlich macht Jäger die Dynamik. So sei den beiden Billigfliegern Wizz Air und Level zu ihrem Start in Wien noch nicht bekannt gewesen, dass mit der Übernahme der Niki-Nachfolgeairline Laudamotion mit Ryanair "einer der aggressivsten und erfolgreichsten Low-Cost-Carrier" in Wien landet.

Seither rittern Wizz Air aus Ungarn und Ryanair aus Irland um die Vorherrschaft im Low-Cost-Sektor. "Es sagen dir alle in der Branche, du musst solider Zweiter sein, um in einem Markt wirklich Geld zu verdienen", erklärte Jäger. "Der zweite Grund, warum sich das so verschärft hat, ist, dass wir nächstes Jahr Slot-technisch schon sehr eingeschränkt sind und deshalb die Airlines versuchen, die wichtigsten Slots in der Früh und am Abend zu besetzen", erklärte der Airport-Vorstand.

Goldgräberstimmung

Bei den Billigairlines sind die Rabatte des Airports gut angekommen. "Dass das Incentiveprogramm so einen Anklang findet, damit haben sie selber nicht gerechnet" meinte ein Airlinevertreter. Nach der Niki-Pleite habe "Goldgräberstimmung" geherrscht, schilderte er der APA.

Der Laudamotion-Chef Andreas Gruber sagt, die Incentives haben "sicherlich begünstigt, dass wir so rasant wachsen". Der Wiener Flughafen sei aber noch immer teurer als andere Airports.

Der Wizz-Air-Manager Stephen Jones findet, der Flughafen Wien habe sehr erfolgreich auf die Pleiten von Air Berlin und Niki reagiert. Die Flughafen-Gebühren seien früher sehr hoch gewesen, mit der Reduktion sei man attraktiver für Billigfluglinien geworden.

AUA auf Sparkurs

Auch die AUA profitiert von den Rabatten, allerdings sind die Ticketpreise infolge des Preiskampfes in Wien stark gesunken. Wegen des niedrigen Preisniveaus fliegt die Lufthansa-Tochter heuer wohl wieder in die Verlustzone und baut bis Ende 2021 bis zu 800 Mitarbeiter ab. "Dass Billigflieger verstärkt nach Wien drängen werden, war zu erwarten. Allerdings war das extreme Ausmaß dieser Billigfliegerschwemme so nicht vorhersehbar. Die Billigflieger nehmen irrational hohe eigene Verluste in Kauf, um in Wien einen Verdrängungswettbewerb zu führen, der beispiellos in Europa ist", erklärte AUA-Sprecher Peter Thier gegenüber der APA.

Mit dem Rabattsystem ist die AUA aber nicht ganz einverstanden. "Der Flughafen Wien incentiviert derzeit unter anderem relatives Passagierwachstum. Das motiviert naturgemäß alle, aber insbesondere die Billigflieger rasch zu wachsen. Als kleiner Anbieter kann man leicht sehr hohe Wachstumsraten erreichen", so Thier. "Wir sind als Heimat-Carrier jedenfalls an nachhaltigem Wachstum statt an einem Strohfeuer interessiert."