Die Vermögensverteilung ist in Österreich besonders ungleich, konstatiert Arbeiterkammer-Experte Matthias Schnetzer im APA-Gespräch. Die von der Oesterreichischen Nationalbank (OeNB) dazu seit 2010 erhobenen Zahlen zeigen in den letzten Jahren keine wesentliche Verbesserung. "Österreich ist im Spitzenfeld der ungleichsten Länder der Eurozone", so der Ökonom.
Das sieht man an der Verteilung der Nettovermögen: Alleine das reichste Prozent der Bevölkerung besitzt 22,6 Prozent des gesamten Nettovermögens. Die reichsten 5 Prozent verfügen über 43,1 Prozent des Gesamtvermögens, die reichsten 10 Prozent haben 56,4 Prozent in ihrem Eigentum. Die reichsten 20 Prozent, also das reichste Fünftel, zählt 72,8 Prozent des Gesamtvermögens zu ihrem Besitz. Hingegen hat die ärmere Hälfte der Bevölkerung praktisch kein Vermögen: Auf die ärmeren 50 Prozent entfällt nur 3,6 Prozent des Gesamtvermögens.
Dabei ergaben sich in allen drei bisher von der OeNB durchgeführten Befragungsrunden (2010, 2014, 2017) kaum Veränderungen. Das reichste eine Prozent hat seit dem Jahr 2010, wo es über 22,9 Prozent des gesamten Nettovermögens verfügte, nur minimal auf 22,6 Prozent verloren. Der Anteil der ärmeren Hälfte der Bevölkerung stieg leicht von 2,8 auf 3,6 Prozent. Auf die reichsten 20 Prozent entfielen im Jahr 2010 noch 76,6 Prozent, im Jahr 2017 waren es 72,8 Prozent. Weil die Veränderungen nur sehr klein sind liegen diese laut Experten im Rahmen der statistischen Unsicherheit. Die Verteilung ist also recht konstant.
Der sogenannte Gini-Koeffizient, der den Grad der Ungleichheit misst, lag bei der Erhebung im Jahr 2017 bei 0,73. Bei einem Wert von 1 hat ein einziger Superreicher alles Vermögen, beim Wert von 0 hat jeder genau das gleiche. Je näher der Wert also bei 1, desto ungleicher ist das Vermögen verteilt.
Dabei sind in den Daten der Nationalbank, die durch stichprobenartige Befragungen bei Haushalten gebildet werden, die Superreichen noch gar nicht enthalten, gibt der Verteilungsexperte Schnetzer zu bedenken. Denn die Daten beruhen auf exakt 3.072 Interviews mit Haushalten. Die Wahrscheinlichkeit, die wenigen Milliardäre bei einer Stichprobe zu erwischen, sei schon extrem niedrig. Noch niedriger sei die Wahrscheinlichkeit, dass ein zufällig gezogener Milliardär auch tatsächlich seine Vermögensverhältnisse offenlege.
Im Gegensatz zur ungleichen Vermögensverteilung sei die Einkommensverteilung ausgewogener, so Schnetzer: Während der Anteil der reichsten 10 Prozent am Gesamtvermögen bei über 56 Prozent liegt, ist ihr Anteil am Gesamteinkommen "nur" 22 Prozent.
"Beim Vermögen ist Österreich keine Mittelschichtsgesellschaft", so Schnetzer. Auch wenn das allgemeine Bewusstsein so sei, dass sich kaum jemand selber als "arm" oder "reich" betrachte. Bei einer Selbsteinschätzung würden sich die Österreicher mehrheitlich falsch, nämlich in die Mittelschicht, zuordnen. "Die Ärmeren reden es sich schöner, die Reichen verorten sich in der Mittelschicht", meint der Ökonom.
Diese falsche Selbsteinschätzung mache die Debatte über Vermögenssteuern bzw. vermögensbezogene Steuern problematisch - weil alle steuerlichen Maßnahmen auf Vermögen fälschlicherweise als Steuern für die Mittelschicht gesehen werden. Dabei zähle man ab einer Million Euro Nettovermögen - also Vermögen ohne Schulden - schon zu den reichsten 5 Prozent der Bevölkerung. "Die Leute fühlen sich von einer Vermögenssteuer betroffen - obwohl sie es zum größten Teil gar nicht sind".
Armut und Reichtum wird oft vererbt
Erbschaften spielen eine sehr große Rolle bei der Vermögensungleichheit: Bei den 50 reichsten Österreicherinnen und Österreichern haben in 38 Fällen Erbschaften zumindest eine Rolle gespielt, verweist der AK-Experte Matthias Schnetzer etwa auf die Milliardärinnen Heidi Horten oder Ingrid Flick, die Familien Esterhazy oder Swarovski.
Die Rolle von Erbschaften werde in den nächsten Jahrzehnten noch weiter zunehmen: Die Babyboomergeneration wird sterben, damit gibt es mehr Erbfälle - die auf weniger Kinder als in vorigen Generationen verteilt werden. Während die Generation des Nachkriegskapitalismus noch aus eigener Arbeit Vermögen aufbauen und etwa ein Eigenheim erwerben konnte, spiele künftig die eigene Arbeit eine immer geringere Rolle beim Vermögensaufbau, gibt Schnetzer zu bedenken: "Die Vermögensungleichheit wird auf die nächste Generation übertragen".
Dazu komme der in Österreich im internationalen Vergleich sehr geringe Anteil an vermögensbezogenen Steuern: Mit 1,3 Prozent Anteil der Vermögensteuern am Gesamtsteueraufkommen belegt Österreich innerhalb der gesamten Industriestaatengemeinschaft OECD den drittletzten Platz. Hier wirke sich in Österreich praktisch nur die Grundsteuer aus. Anders die Lage in den wirtschaftsliberalen Ländern: In Großbritannien liegt der Anteil der Vermögenssteuern am Gesamtsteueraufkommen zehn mal höher bei 13 Prozent. Bei den Briten gebe es auch eine Erbschaftssteuer - während Österreich in dieser Hinsicht eine "Steueroase" sei. In den USA liegt der Vermögenssteueranteil bei 11 Prozent, in der Schweiz bei 7 Prozent, und in Deutschland bei 3 Prozent und damit immer noch mehr als doppelt so hoch wie hierzulande. Der OECD-Schnitt liegt bei 5,7 Prozent. "Wenn wir die Abgabenlast auf Arbeit senken wollen, aber den Wohlfahrtsstaat nicht aushöhlen wollen, brauchen wir eine Gegenfinanzierung aus vermögensbezogenen Steuern", so Schnetzer.
Der AK-Ökonom verweist auch auf die Rolle des Wohlfahrtsstaats: Das fehlende Privatvermögen bei der ärmeren Hälfte der Bevölkerung werde durch das öffentliche Vermögen ergänzt. So brauche jemand, der im Gemeindebau oder in der Genossenschaftswohnung lebt, kein Eigenheim. Das öffentliche Gesundheits- und Bildungswesen spare dem Einzelnen Geld, zur Erholung kann man öffentliche Schwimmbäder und Parks besuchen - statt im eigenen Garten im Swimmingpool abzukühlen. Wer sich auf ein gut funktionierendes öffentliches Bildungswesen verlassen kann, braucht keine Schulgelder und Studiengebühren für private Schulen oder Universitäten zahlen.
Kürzungen bei öffentlich finanzierten Leistungen treffen daher direkt die Lebensqualität jener, die das nicht durch private Möglichkeiten ersetzen könnten. Hingegen würde das Geld der Reichsten auch eingesetzt für Lobbying - mittels Parteispenden, Finanzierung von Thinktanks oder Kampagnen - um ein vorteilhaftes Umfeld für Vermögen und gegen Umverteilung zu schaffen.