Kopf oder Zahl, Schwarz oder Weiß, Arm oder Reich – Dualitäten wie diese sind ebenso einfach wie verlockend. Kompliziertes wird plötzlich simpel. Und genau diese Ja-Nein-Logik ist bis heute die Basis des Computer-Zeitalters. Egal ob Smartphone, Laptop, Internet-Server oder moderne Autos mit Fahrassistenz-Systemen, die Basis sind immer sogenannte Transistoren, die lediglich zwei Zustände kennen: Strom und kein Strom, ausgedrückt in 0 und 1, das Fachwort dafür ist „Bit“.
Doch diese Dualität hat ihre Grenzen. Auch das Leben besteht nicht nur aus zwei Zuständen. Jedem Menschen ist das klar, doch in der Informatik brauchte es erst die Entwicklung des Quanten-Computers, um diese Fülle an Möglichkeiten auch darstellen zu können. Statt des Bit gibt es inzwischen das „Qubit“, das Quanten-Bit.
Superposition
Was ist der Unterschied? Ein Qubit kann gleichzeitig beide Zustände, 0 und 1, annehmen, die sogenannte Superposition von Zuständen. Um im Kopf-Zahl-Bild zu bleiben: Wirft man die Münze, gibt ein Bit nur das Ergebnis wieder, entweder Kopf oder Zahl. Das Qubit funktioniert anders. Wird die Münze in die Luft geschnippt, ist sie in dieser Zeit sowohl Kopf als auch Zahl. Erst wenn man sie auffängt, entsteht eine Messung, erst dann gibt auch das Qubit entweder 0 oder 1 wieder.
Bei der Entwicklung von Quantencomputern sind inzwischen zwei Konzerne führend: Google und IBM. Während der Suchmaschinen-Konzern die Grenzen der Technologie ausloten will, konzentriert sich IBM auch auf Anwendungen. Seit 2015 bietet IBM einen offenen Online-Zugriff auf die inzwischen 14 firmeneigenen Quantencomputer, der leistungsstärkste hat 53 Qubits. Forschern und allen interessierten Menschen stehen ein 5- und ein 14-Qubit-System kostenlos zur Verfügung.
Eines dieser Geräte steht in einem kleinen Vorort von Zürich, in einem Forschungszentrum von IBM. Unter einem rund ein Meter großem Stahltank versteckt sich ein filigranes Gebilde, das an einen Apparat aus dem 19. Jahrhundert erinnert, goldene Plattformen verbunden mit goldenen Drähten. Der eigentliche Quanten-Chip ist dabei nicht größer als ein klassischer Computer-Chip. Doch um zu funktionieren, muss er extrem abgekühlt werden. Im Inneren des Stahltanks ist es kälter als im Weltall. Möglich ist das nur unter extremen Druckverhältnissen.
Komplexe Simulationen
Da stellt sich die Frage: Wozu der Aufwand? Und tatsächlich geht es in den 19 Forschungszentren der IBM nicht nur um Grundlagenforschung zu Quantencomputern, gesucht werden auch Anwendungen für Wirtschaft und angewandte Forschung. Denn die Stärke des Quantencomputers sind komplexe Simulationen. Wofür Supercomputer Tage oder Wochen brauchen, schafft der Quantenprozessor in wenigen Minuten oder Stunden.
Interessant ist das unter anderem für die Finanzwirtschaft. Vor allem große Finanzinstitute haben oft Millionen unterschiedlicher Kapitalanlagen. Deren Ausfall-Risiko wird derzeit großteils mit der sogenannten „Monte Carlo Simulation“ ermittelt. Ein Vorgang, der mehrere Stunden dauern kann – mit herkömmlichen Großrechnern. Der Quantencomputer sollte das deutlich schneller erledigen können. Auch das Settlement, also die Bestätigung von internationalen Transaktionen, ließe sich mit der neuen Technologie massiv beschleunigen.
In der Chemie und Pharma-Industrie gibt ebenfalls es interessante Anwendungen. Dank künstlicher Intelligenz wird Verhalten und Struktur von Molekülen längst mittels Simulationen untersucht, bevor es wirklich hergestellt wird. Das funktioniert gut mit kleineren Teilchen, einfachen Wirkstoffen. Bei großen Strukturen und Proteinen sind die Vorhersagen bisher viel zu ungenau. Ein Umstand, den der Quantencomputer ändern kann. So kann das Entwerfen komplett neuer Medikamente deutlich vereinfacht werden.
Dass das keine Zukunftsmusik ist, zeigen die Zugriffe auf die Quantencomputer von IBM. Mehr als 175.000 Nutzer, haben bisher rund 110 Milliarden Rechnungen ausgeführt, 200 wissenschaftliche Arbeiten auf Basis von Quanten-Computern wurden veröffentlicht. Das Zeitalter der 0-1-Logik in der Computerwissenschaft geht also langsam zu Ende.
Die Teilnahme erfolgte auf Einladung von IBM
Roman Vilgut