Das Oberlandesgericht Wien hat im Diesel-Skandal ein Urteil mit einiger Sprengkraft gefällt. Die Richter entschieden, dass das auch nach dem Software-Update programmierte "Thermofenster", das die Abgasreinigung auf einen bestimmten Temperaturbereich einschränkt, ein grundsätzlicher Mangel ist und dazu führt, dass bei den betroffenen Fahrzeugen die Eignung für die gewöhnliche Verwendung fehlt.

VW wird gegen das Urteil Rechtsmittel einlegen, wie das Unternehmen auf APA-Anfrage mitteilte. "Nachdem das Fahrzeug weiterhin verkehrs- und betriebssicher und auch die Zulassung in keiner Weise gefährdet ist, besteht keine Grundlage für die Klagsstattgebung", so die Rechtsmeinung des Unternehmens. Außerdem stelle das Urteil eine Einzelmeinung dar, selbst das Oberlandesgericht Wien habe "in einem gleichgelagerten Verfahren mit Entscheidung vom 17.10.2019 den Einsatz eines Thermofensters ausdrücklich für zulässig und rechtskonform erklärt". Auch die Oberlandesgerichte Linz und Innsbruck seien zu einem gegenteiligen Schluss gekommen. Das OLG Wien hatte die Revision beim Obersten Gerichtshof (OGH) zugelassen.

Thermofenster

Diesel-Motoren dieser Generation schalten die Abgasreinigung ab, wenn die Außentemperatur unter 15 Grad oder über 33 Grad liegt. Das gilt aber in Österreich mehr als die Hälfte des Jahres. Dieses "Thermofenster" wurde von der deutschen Prüfbehörde (Kraftfahrtbundesamt/KBA) zwar genehmigt. Diese Genehmigung sei aber nur ein "Verwaltungsakt zwischen den Beteiligten des dortigen Verfahrens", Gerichte müssten die Rechtsfrage klären, ob diese Abschalteinrichtung zulässig ist, meint das OLG Wien in seinem Urteil (4 R 62/19w).

Argument der Richter: Behörden könnten jederzeit den Betrieb dieser Fahrzeuge verbieten. Und schon "die latent bestehende Gefahr einer Betriebsuntersagung oder -beschränkung durch die Zulassungsbehörde hat aus kaufrechtlicher Sicht zur Folge, dass bei den betroffenen Fahrzeugen die Eignung für die gewöhnliche Verwendung fehlt".

Außerdem hat VW aus Sicht der Richter nicht bewiesen, dass der Motor nur durch diese Abschaltung geschützt werden kann. Damit fehle der Nachweis, dass die Abschaltung nötig ist. Das OLG sieht auch keinen Grund, den EuGH im Rahmen einer Vorabentscheidung zu seiner Meinung zu fragen.

Andere Autos betroffen

Anwalt Michael Poduschka, der für seine Mandantin die Klage eingebracht hat, spricht von einem "Sensationsurteil in mehrfacher Hinsicht". In Österreich sei es seines Wissens das erste Urteil, das das "Thermofenster" grundsätzlich als Mangel bewertet. In Deutschland gebe es erstinstanzliche Urteile dieser Art, aber auch noch kein Urteil eines Oberlandesgerichts. "Wir sind damit wahrscheinlich europaweit die ersten", so Poduschka.

Außerdem gebe es so ein "Thermofenster" laut Sachverständigen praktisch bei allen Fahrzeugherstellern. Daher könnten aus Sicht Poduschkas Besitzer sämtlicher betroffenen Marken auf Rückabwicklung ihres Kaufs klagen.

Die von Poduschka vertretene Klägerin kann laut OLG Wien ihren 2014 gekauften Audi Q3 zurückgeben und den Kaufpreis abzüglich einer Nutzungsgebühr zurückverlangen. Das Gericht regt aber noch ein Grundsatzurteil zur Berechnung der Nutzungsgebühr an. Auch in dieser Frage ließen die Richter ausdrücklich den Gang zum OGH zu.