Nach 22 Jahren an der Spitze der Erste Group geben Sie Ende des Jahres die operative Führung ab. Andreas Treichl im Ruhestand? Das ist schwer vorstellbar.
ANDREAS TREICHL: Ich stelle mich schon jetzt auf die größere Ruhe ein. Aber ich werde nicht vollkommen arbeitsfrei sein, da ich mich in Zukunft um die Erste Stiftung kümmern werde.
Überwiegt bei Ihnen nun die Freude oder die Wehmut?
Wehmut habe ich eigentlich gar keine. Denn ich freue mich schon, mich im Rahmen der Stiftung verstärkt um das Thema Finanzbildung und um jene Menschen zu kümmern, um die sich die Bank nicht profitabel kümmern kann. An das neue Management gab es nur eine Vorgabe. Sie müssen die Erste Group so positionieren, dass wir uns in einigen Jahren nicht mehr als Bank bezeichnen, sondern als Financial Health Group.
Was heißt das?
Wir müssen dafür sorgen, dass möglichst viele Menschen und Betriebe ein gesundes Finanzleben führen können. Denn finanzielle Gesundheit ist nach der physischen Gesundheit das Zweitwichtigste. Wir werden dadurch auch anders ausgebildete Mitarbeiter haben als jetzt. Viel weniger, aber sicher keine mehr, die uns – wie heute in Tschechien oder der Slowakei – mit zehn Prozent höheren Gehältern vom Lidl abgeworben werden. Denn es ist etwas anderes, Bankprodukte zu verkaufen, als zu sagen: Du kümmerst dich um das Zweitwichtigste im Leben der Menschen. Das ist die einzige Chance, wie wir einen Wert erzeugen können, den Fintechs oder Konzerne wie Amazon oder Google sicherlich nie liefern werden können.
Wird es Bankfilialen dann noch geben?
Ja. Natürlich wird es immer mehr digitale Angebote geben. Und zusammen mit der Hilfe von Künstlicher Intelligenz werden 80 bis 90 Prozent aller Themen eines Finanzlebens ohne fremde Hilfe geschafft werden. Wenn ich aber einmal ein Problem habe, dann möchte ich zu jemandem, dem ich vertraue. Die erste Wohnung wird auch in 20 Jahren nicht online gekauft werden.
Das heißt, die Filialbank ist nicht tot?
Nein, sicherlich nicht. Denn die persönliche Beratung wird wichtiger werden. Der althergebrachte Schalter ist tot oder wird sterben. Darauf stellen wir uns mit dem neuen Filialkonzept schon ein.
Müssten Sie dann nicht auch ihr Angebot erweitern, etwa in Richtung Steuerberatung?
Ja, das ist richtig. Nehmen wir nur das Beispiel eines Immobilienkaufs. Hier braucht es jemanden, der Kontakte zu den Notaren hat, der sich um die Steuern kümmert, um das Grundbuch. Wenn wir eine solche Transaktion vollständig betreuen können, dann erzeugt das einen Mehrwert.
Was machen Sie heute, was sie in so einer Zukunft nicht mehr machen würden?
Beispielsweise umsatzgetriebene Verkaufsaktionen von Bausparverträgen. Das wird es künftig nicht mehr geben.
Was wird dieser Wandel für Ihre Rendite und Ihre Aktionäre bedeuten?
Ich würde die Frage umdrehen: Wenn wir es nicht schaffen, damit eine gute Rendite zu erwirtschaften, dann werden uns die Investoren kein Geld mehr geben. Und dann werden wir Scheitern.
Wie werden sich diese Änderungen auf den gesamten Bankensektor auswirken?
Ich glaube fest daran, dass wir massiv zulegen werden. Derzeit sind wir Frontrunner, sowohl im Digitalbereich als auch bei unserer gesellschaftlichen Funktion. Und wenn die anderen nicht aufwachen, dann werden wir einmal 100 Prozent Marktanteil haben.
Ein Blick zurück: Damals bei der Finanzkrise, wie knapp ist man am Abgrund gestanden?
Es war eigentlich gar nicht so dramatisch, wie es rübergekommen ist. Wir hatten 2009 ein sehr gutes Ergebnis. Zwischen Frühjahr 2008 und Anfang 2009 wurde wegen der Verunsicherung halt der gesamte Marktwert, den wir in den zwölf Jahren zuvor aufgebaut haben, ausradiert. Das hat zwar nur zwei Monate gedauert, war aber ein extremer Schock. Wenn wir gewusst hätten, dass diese Stimmung nur so kurz dauert, hätten wir uns auch das Partizipationskapital sparen können.
Wie schlimm war es, Hilfe vom Staat annehmen zu müssen?
Ich habe zwei andere Angebote für privates Kapital gehabt. Insofern hätte ich auch darauf verzichten können. Die Politik hat damals aber darauf bestanden. Denn es gab auch Banken, denen es wesentlich schlechter ging und die kein privates Kapital erhalten hätten. Und das Argument war, wenn wir es nicht nehmen, dann nehmen es die anderen auch nicht.
Wie war allgemein die Stimmung in dieser Zeit – auch rund um das Thema Hypo?
Da war die Stimmung sehr düster. Der Unterschied war ja auch, dass wir zuerst noch mit der Regierung Gusenbauer-Molterer verhandelt haben. Da hatte man den Eindruck, die Beteiligten verstehen die Thematik. Das hat sich mit der nächsten Regierung anfangs dann drastisch geändert. Das war eine Zeit lang wirklich beklemmend.
War für Sie ersichtlich, dass die Hypo so ein Problem wird?
Ich hätte es anders gelöst. Man hätte die Bayern nicht aus der Verantwortung lassen dürfen. Das war ein absehbarer Bluff von ihnen.
Die Krise ist nun zehn Jahre her. Wurde aus den Fehlern gelernt?
Ich glaube es gibt eine massive Verschiebung aus der regulierten Finanzwelt in die unregulierte Finanzwelt. Da braut sich etwas zusammen, was die nächste Krise hervorrufen wird. Bei der regulierten Finanzwelt in Europa würde es mich extrem wundern, wenn da in den nächsten 20 Jahren ein Problem entstehen würde. Außer ein Ertragsproblem. Natürlich gibt es Firmen, die bei normalen Zinsen nicht überlebensfähig wären. Entscheidender ist aber die Frage, wie dann die Staatsfinanzen aussehen würden, denn die niedrigen Zinsen wurden bisher nicht genützt.
Angesichts dieser Tatsache: Werden wir auf absehbare Zeit wieder einen realen Zins sehen?
Nein, ich kann mir keine Entwicklung vorstellen, die in den nächsten Jahren dazu führt, dass wir wieder reale Zinsen sehen. Die einzige Möglichkeit wie es zu einer starken Inflation kommen könnte ist, dass durch die Klimaerwärmung eine massive Verteuerung entsteht – etwa beim Transport. Und die Probleme dieser Nullzinsen – wie etwa das Ende jeglicher privaten Pensionsvorsorge - sind leider sehr schlecht für die Politik tauglich, da sie erst langfristig auftreten werden. Für die Umwelt kann sich die Jugend dank Greta Thunberg begeistern. Für Zinsen geht aber niemand auf die Straße demonstrieren.
Anderes Thema: Wie erklären Sie sich eigentlich die Liebe der Österreicher zum Bargeld?
Der Österreicher hat eine größere Abneigung gegenüber Transparenz als beispielsweise Skandinavier. Bargeld bedeutet, ich kann mir etwas kaufen, ohne dass jeder weiß, dass ich es besitze. Dafür habe ich auch großes Verständnis. Aber es wird sich in Zukunft nicht mehr spielen.
Die Befürworter des Bargelds argumentieren auch, dass Negativzinsen leichter durchzusetzen sind, wenn es nur mehr elektronische Guthaben gibt. Eine übertriebene Angst oder eine berechtigte Sorge?
Das ist absolut berechtigt. Auch wir haben relativ große, eigentlich riesige, Barbestände als Erste. Die Versicherungsprämie, die wir dafür bezahlen liegt bei 25 Basispunkten. Damit sparen wir uns 25 Basispunkte gegenüber dem negativen Einlagenzinssatz bei der EZB. Insofern ist es natürlich auch ärgerlich, dass der 500-Euro-Schein abgeschafft wird. Zwei Milliarden in 500ern lagern ist billiger als zwei Milliarden in Hundertern.
Offiziell ist das eine Maßnahme im Kampf gegen Schwarzarbeit. Ist es in Wirklichkeit der Kampf gegen jene, die ins Bargeld flüchten wollen?
Beides stimmt. Wobei ich grundsätzlich schon für mehr Transparenz bin, weil so Korruption eliminiert wird.
Zum Abschluss: Was sind abseits der Stiftung ihre Pläne für die Zukunft. Wie wird sich Ihr Leben verändern?
Ich glaube nicht, dass sich so wahnsinnig viel verändern wird. Ich wollte eigentlich drei Monate verschwinden. Irgendwo mit dem Rucksack hinfliegen, zum Beispiel nach Nepal. Aber das geht nicht, weil meine Frau nicht mitkommen kann und ich auch das Thema Finanzbildung vorbereiten muss. Es wird gerade der Lehrplan für 2022/23 erstellt und ich möchte alles tun was möglich ist, damit Wirtschaft und Finanzkunde als Pflichtfach ab der ersten Klasse der Sekundärstufe eingeführt wird. Das soll auch völlig ideologiefrei geschehen, sondern nur mit Fakten. Was ist der Unterschied, wenn ich auf 30 Jahre ein halbes Prozent Zinsen bekomme oder vier Prozent? Wie funktioniert ein Unternehmen? Wie finanziert sich ein Staat? Das sollten die jungen Leute lernen.
Eventuell müssten Sie da mit einem grünen Bildungsminister verhandeln.
Ich habe mit den Grünen, mit denen ich beruflich Kontakt hatte, immer sehr gut zusammengearbeitet. Vor allem mit Vertretern der grünen Wirtschaft. Es gibt viele gute Leute bei den Grünen. Und ich glaube auch, dass eine türkis-grüne Regierung – anders als Türkis-Blau – bei manchen Zukunftsthemen wie Klimawandel, aber auch der Unmöglichkeit der privaten Pensionsvorsorge, wesentlich langfristiger Denken wird.
Das Gespräch mit Andreas Treichl fand am Rande eines Treffens der Bundesländerzeitungen in Wien statt. Für die Kleine Zeitung nahm Hubert Patterer teil.