Wie verändert der Klimawandel Agrarproduktion und Welternährung?
PETER BRABECK-LETMATHE: Als Optimist kann man einen Zuwachs der Agrarproduktion erwarten, weil man im Norden in Kanada, Europa, Russland große neue Gebiete gewinnt. Die Sahelzone ist bereits versteppt. Es gibt Verschiebungen bis hin zum Weinanbau in England.
Britensekt ist nicht relevant für die 17 UN-Nachhaltigkeitsziele.
Das SDG-Ziel, den Hunger auf der Welt zu besiegen, ist nur erreichbar, wenn wir die Landwirtschaft neu aufstellen. Wir brauchen eine regenerative Landwirtschaft. Die berg bäuerliche Landwirtschaft war immer ökologisch. Aber die industrielle Landwirtschaft ist heute nicht nur der größte Ressourcenverwender mit 70 Prozent des Wasserabzugs und 90 Prozent des Wasserverbrauchs. Sie ist auch für fast ein Drittel des Treibhausgasausstoßes verantwortlich. In den Böden waren früher drei bis sechs Prozent CO2 gebunden. Durch die intensive Landwirtschaft entweichen zwei bis fünf Prozent in die Luft. Heute bindet ein landwirtschaftlicher Boden höchstes ein Prozent CO2. Wenn wir zu regenerativer Landwirtschaft zurückkehren und die Böden würden nur drei Prozent CO2 aufnehmen, würde es bei global 3,3 Milliarden Acres (rund 1,5 Milliarden Hektar) eine Billion Tonnen CO2 aufnehmen. Das entspräche aller CO2-Ausstöße seit Beginn der ersten industriellen Revolution.
Das klingt revolutionär und spektakulär. Aber wie kann das erreicht werden?
Das ist spektakulär. Dazu braucht man eine neue alte Landwirtschaft. Der erste Punkt: nicht mehr pflügen. Pflügen ist das Schlimmste. Beim Pflügen verliert der Boden 30 Prozent Wassergehalt und dabei entweicht auch das CO2. Man muss die Bedeckung belassen, doch das Pflügen nimmt die Pflanzen von der Oberfläche zur CO2-Absorbtion weg.
Als Bauernsohn stelle ich mir wirtschaftlichen Getreideanbau ohne Pflügen nur sehr schwer vor.
Das funktioniert durch direktes Setzen des Saatgutes mit Injektion mit Nadeln in den Boden.
Precision Farming – Präzisions-Landwirtschaft im Impfstil?
Das ist Precision Farming, also Landwirtschaft mit Nutzung bestehender Technologien, von Drohen und Laser bis Sensoren, um mit geringeren Ressourcen gleiche Resultaten zu erzielen. Mit diesen Technologien kann man viel an Pestiziden und Fertilisern einsparen oder Ernteverluste verringern. Via Satellit und Laser kann man Anbauflächen so terrassieren, dass man Minimalaufwand für Bewässerung erreicht.
CO2 im Boden
Wie rasch lässt sich der Moloch der Agrarindustrie umstellen?
In den USA bin ich persönlich in eine Firma investiert, die seit dem Vorjahr diese regenerierte Landwirtschaft bereits auf mehreren Millionen Hektar umgestellt hat. Es ist klar, dass man ohne Pflügen auch zur Rotationslandwirtschaft zurückkommen muss. Ein Jahr Weizen, ein Jahr Mais, ein Jahr Brache mit extensiver Tierhaltung. Natürlich senkt das den wirtschaftlichen Ertrag des Bauern. Aber wenn CO2 einen Preis hat zwischen 15 und 20 Dollar pro Tonne und der Bauer im Jahr pro Acre 1,5 Tonnen CO2 wegnimmt und er dafür Geld bekommt, dann ist das für ihn ein gutes Geschäft. Der Käufer des Produktes zahlt quasi ein CO2-Zertifikat. Das ist keine Subvention, sondern Geld für einen echten Wert. Dieses Modell einer neuen Landwirtschaft hilft Wasserverbrauch stark zu verringern und CO2-Absorbtion zu fördern.
Das erübrigt nicht, den CO2-Ausstoß massiv zu drosseln.
Nein, aber viele glauben, wenn man den CO2-Ausstoß unter Kontrolle bekommt, dass man damit die Gesundheit des Planeten Erde gerettet hat. Damit ist aber nicht viel gerettet. Der Klimawandel beschleunigt die Ressourcenbenützung. Mit Biodiesel aus Getreide wird das Wasserproblem drei Mal verschärft.
10 Milliarden Menschen ernähren
Mit Urbanisierung und Megacities boomt Vertical Farming in Hochhäusern. Sinnvoll?
Der vielstöckige stadtnahe Anbau kommt. Man braucht viel weniger Grund und Wasser, bewahrt Feuchtigkeit und verringert viel Verkehr. Ich bin überzeugt, dass wir zehn Milliarden Menschen gut und besser ernähren können, als heute.
Auch mit Hilfe von Gentechnik?
40 Prozent der Lebensmittel werden weggeworfen. Schon dieses Problem zu lösen hilft. Die Gentechnik wird in Europa weiter nicht hoffähig werden. Der technologische Fortschritt kommt vom Mikrobiom. Wir haben zwei bis drei Kilo davon im Verdauungssystem, sowie auf der Haut. So ähnlich haben das auch Pflanzen. In Firmen, wo ich investiert bin, haben wir herausgefunden, dass das Mikrobiom einer Pflanze, die durch Hitze oder Wasserverlust gestresst wurde, auf ein neues Saatgut übertragen werden kann und dieses Saatgut widerstandsfähiger ist. Das ist natürlich und keine Gentechnik.
"Vegan ist gefährlich"
Fleischkomsum steht im Visier.
Für eine Kalorie, die von der Pflanze kommt, brauche ich einen Liter Wasser, beim Fleisch zehn Liter. Fleisch ist in Maßen vernünftig. Vegan ist gefährlich. Einer 60-jährigen Dame sage ich: Jeder hat das Recht zu einer Religion. Für Kinder ist Eisenmangel langfristig negativ.
Zur Person
Peter Brabeck-Letmathe, feiert am 13. November seinen 75. Geburtstag. Der gebürtige Villacher absolvierte Peraugymnasium, studierte Welthandel in Wien und machte ab 1968 Karriere bei Nestlé – ab 1997 als Konzernchef, von 2005 bis 2017 als Präsident des Verwaltungsrates. Nun ´ist er Privatier.
Adolf Winkler