Europa ist bei Raumfahrtthemen nicht erste Adresse. Ist den Europäern die Bedeutung des Themas bewusst?
FRANK SALZGEBER: Es kann immer mehr sein. 90 Prozent des Geldes der ESA gehen in die Industrie. Es gibt einen geografischen Return. Das heißt: Wenn Österreich zwei, drei Prozent einzahlt, kriegt es auch zwei, drei Prozent zurück. Wird dieser Bereich gekürzt, und darüber wird im November bei Verhandlungen entschieden, kriegen Industrie und Forschung in Österreich weniger Geld.
Mit welchen Folgen?
Wenn wir am Budget für die Weltraumforschung sparen, sparen wir an der Zukunft. Wir pflanzen weniger Setzlinge ein – das merkt man nicht gleich. Aber irgendwann merkt man, wenn nichts mehr wächst.
Welche Rolle haben Sie bei der ESA als Innovationsmanager?
Ich bin der Chef der Recyclingabteilung der ESA. Jede Technik kann man mehr als einmal verwenden. Wie das BIC-Feuerzeug – ich kann damit was anzünden, aber auch eine Bierflasche öffnen. Die Ruag, die frühere Austrian Aerospace, erzeugt beispielsweise eine Goldfolie, die aus der Raumfahrt kommt, erwirtschaftet aber mehr Umsatz und Gewinn mit der Folie im industriellen Einsatz. Ich sehe mich als der Resteverwerter der Raumfahrt.
Ist die Raumfahrt weiter Technologietreiber?
Ja, das funktioniert über Know-how-Transfer, Patente oder Start-ups. Wir unterstützen europaweit im Jahr 200 Start-ups, die Technologie aus der Raumfahrt verwenden und denen wir helfen. Das kann die Wirtschaft alleine nicht machen, wir aber gehen ins Risiko. Wir sind der nette Onkel mit etwas Geld und dem richtigen Adressbuch.
Was geschieht mit dem Geld, das Sie einsetzen?
Man muss immer die zwei Seiten der Raumfahrt sehen – das, was hochgeschickt wird, und das, was runtergeschickt wird. Jeder, der daheim eine Satellitenschüssel hat, bezieht sein Fernsehen über Raumfahrttechnologie, ohne dass er es weiß. Das überträgt ein Satellit. Ihre Wetterdaten, Ihre Navigation – das kommt alles aus der Raumfahrt und ist heute alltäglich. Wir unterstützen beides: Technologie, die für den Weltraum gebaut wird, und jene, die auf der Erde eingesetzt wird.
Welche Daten aus dem All werden uns in Zukunft helfen?
Es gibt ein Projekt mit den ÖBB, in dem Daten aus dem Weltall ausgewertet werden, um vorhersagen zu können, wo Muren oder Lawinen große Schäden verursachen können. Ich kann auch berechnen, wie viele Kubikmeter ich danach abtransportieren muss.
In welchem Business will sich die ESA in Zukunft etablieren?
Wir brauchen Konnektivität aus dem Weltraum. 5G aus dem Weltraum wird kommen – durch eine Neukonstellation von Satelliten, die näher an der Erde sind – 800 Kilometer entfernt und nicht 36.000 Kilometer. Wir brauchen das im ländlichen Raum, aber auch als Back-up, sobald etwas ausfällt.
Was wird aus Galileo? Mein Handy etwa nutzt noch immer das amerikanische GPS-System.
Wahrscheinlich haben Sie ein Multichip-System, das mehrere Systeme nutzen kann. Meine persönliche Ansicht dazu: Wenn Sie in einem autonom fahrenden Auto sitzen und mehrere Satellitensignale haben – eines davon Galileo, ein anderes gestört, welches nutzen Sie? Welches Signal könnte für politische Ziele manipuliert werden? Das russische, das chinesische, das amerikanische, das europäische? Wenn meine Sicherheit dranhängt, dann vertraue ich den Europäern mehr.
Galileo wird beim autonomen Fahren eine Hauptrolle spielen?
Galileo wird nächstes Jahr voll operativ zum Einsatz kommen. Die Geschichte hat uns gelehrt, es ist schwierig, sich auf andere zu verlassen. Lieber verlasse ich mich auf die 22 und in Zukunft 27 Mitgliedsstaaten der ESA. Wir machen das besser.
Es gibt aber auch viel Kritik.
Die Global Navigation Satellite Systems Agency (GSA) mit Sitz in Prag ist für Galileo, ein Programm der Europäischen Kommission, zuständig. Auch wenn man manchmal hört, dass es anders wäre: Galileo läuft gut.
Beim Klimawandel wird die Erdbeobachtung durch Satelliten auch eine wichtige Rolle spielen?
Das Wichtigste ist: Die Leute können nicht mehr bescheißen. Aus dem Weltall sieht man, wenn etwas abgeholzt wird, etwas ausläuft oder jemand illegal fischt. Ich kann damit vom Weltall aus auch den Reispreis prognostizieren oder ich sehe, wie viele Autos vor einem Supermarkt stehen und leite daraus den Umsatz ab.
Das ist ja auch beängstigend – Stichwort Datenschutz.
Früher hat man das eben anders ermittelt, heute holt man sich die Daten gleich. Die sind ja da. Lieber habe ich, dass andere sich nicht verstecken können.
Zu Ihren Zukunftsvisionen: Sie glauben, dass Robotertechnik den Menschen künftig in vielfacher Weise helfen wird?
Was mache ich mit einer Bevölkerung, die länger arbeiten muss? Ein externes Gelenk, das mich bei der Bewegung unterstützt, kann helfen. Im Agrarbereich werden wir in einigen Jahren Roboter zum Unkrautzupfen über das Feld jagen. Auch bei der Ernte: Wo kriegen Sie die Leute noch her? Ob beim Spargelstechen oder der Weinernte: Uns werden Roboter die körperliche Arbeit erleichtern.
Sind wir Europäer eigentlich zu skeptisch, zu abwartend, gegenüber all diesen technologischen Entwicklungen?
Wir sind alle bequem. Irgendwann kommt aber der Punkt, wo wir uns damit beschäftigen müssen. Der Baum, der aufhört zu wachsen, beginnt zu sterben. Wenn wir uns nicht bewegen, entstehen Osteoporose und Muskelabbau. Das Gleiche gilt für die Wirtschaft.
Sie skizzieren auch die Idee, Raum- und Mondstationen aus dem 3D-Drucker zu produzieren. Bloß Zukunftsmusik?
Jedes Kilogramm, das ich ins All schicke, kostet Geld. Es kostet bis zu 30.000 Euro, um ein Kilogramm in den erdnahen Orbit zu bringen. Alles, was mir dort Gramm sparen hilft, senkt Kosten. Daher: Lass uns nur mehr das Nötigste mitbringen und alles andere 3D-drucken. Aber ja, noch ist das eine Zukunftsvision. Aber wenn wir aufhören zu entdecken, sind wir nur noch Verwalter. Ein russischer Wissenschaftler sagte einmal: Die Erde ist die Wiege der Menschheit – und keiner bleibt gerne ewig in seiner Wiege liegen.
SpaceX- und Tesla-Gründer Elon Musk begeistert Sie?
Ich bewundere jeden, der solches Risiko eingeht und sich nichts scheißt und weitermacht und das durchzieht. Wenn man etwas Neues macht, gibt es Reibung – wenn man nichts Neues macht, gibt es keine Reibung. Er beweist Zielstrebigkeit beim Durchziehen seiner Visionen.