Herr Generaldirektor Wurzer, gibt’s in der Republik momentan eine komplexere Aufgabe als Ihre?
BERNHARD WURZER: Bundeskanzler (lacht). Nein, aber es ist wahrscheinlich einer der spannendsten, kompliziertesten und möglicherweise auch schwierigsten Jobs in der Republik. Jeden Tag lösche ich ein Feuer.

Wo brennt’s?
Der Unterschied zwischen den Kassen ist größer, als man vermutet hat.

In den Prozessen oder in den Leistungen?
In den Leistungen an sich nicht. Die wirklichen Unterschiede liegen in den Prozessen. Wir sind uns nicht einmal einig, was ein Tag oder ein Jahr ist. Das Jahr wird einmal ab dem Verordnungsdatum gerechnet, ein anderes Mal als Kalenderjahr.

Das sollte einfach zu harmonisieren sein.
Der Teufel liegt im Detail. Egal wie Sie es machen, es wird für die Leute eine Veränderung bedeuten.

Wirkt sich die Zusammenlegung auf die Versicherten aus?
Davon bin ich felsenfest überzeugt – in der Service-Qualität, auch für die Vertragspartner. Wir haben jährlich 120 Millionen Verordnungen, die über die pharmazeutische Gehaltskasse abgerechnet werden. Das heißt, die Apotheken müssen alle Rezepte nach Kassen sortieren. Das wird jetzt wegfallen.

Warum hat man das nicht früher gemacht?
In meiner alten Welt war es so: Wir haben sieben Sitzungen abgehalten, bei denen immer ein Kassenvertreter erklärt hat, warum das bei ihnen nicht geht. Irgendwann verständigte man sich dann auf eine einheitliche Vorgangsweise. Ein Jahr später stellten wir fest, die Kasse hat es trotzdem nicht umgesetzt. Jetzt kann es der Fachbereichsleiter anordnen.

Bis 1. Jänner soll die Vorbereitung der Zusammenlegung fertig sein. Wird sich das ausgehen?
Die groben Dinge werden sich ausgehen, etwa ein genormtes Erscheinungsbild bei den Standardprodukten. Mit dem Hauptthema der Leistungsvereinheitlichung wollen wir spätestens mit Ende meiner Funktionsperiode fertig sein, also in fünf Jahren.

Kann man jetzt schon sagen, was für den Versicherten anders ist ab 1. Jänner 2020?
Wir werden harmonisieren, was keine massiven Verwerfungen im System herbeiführt. Mein Lieblingsbeispiel ist die Bewilligungspflicht bei CT/MRT, die mit 1. Jänner österreichweit abgeschafft sein wird.

Was ist der Grund für den Kassenärztemangel?
Am Geld liegt es nicht, denn dann müssten alle Landarztstellen besetzt sein und alle Stadtarzt-Ordinationen leer stehen.

Warum?
Weil die Umsätze am Land höher sind, auch ohne Hausapotheken. Es gibt weniger Konkurrenz in der Umgebung und die Allgemeinmediziner am Land müssen viel mehr machen, weil es in der Nähe keine Fachärzte gibt.

Warum sind Stellen am Land dann so oft verwaist?
Einer der Hauptgründe ist die Infrastruktur. Ärzte wollen ein gewisses Umfeld haben, Kultur, Schulen, Freizeitangebot. Manche sagen, ich will nicht rund um die Uhr Arzt sein. Die Ärzte glauben manchmal, draußen kommen die Leute in der Nacht samt Kuh und Schwein und wollen eine Behandlung für alle drei. Das passiert zwar eh nicht mehr, ist aber das Klischee. Das Dritte ist die Angst, bald allein zu sein, wegen der Altersstruktur der Landärzte.

Was tun?
Wir brauchen Zusammenschlüsse und auch die Möglichkeit, dass Ärzte Ärzte anstellen dürfen, hilft. Ärzte sollten auch nur einen oder zwei Tage in der Land-Ordination sein können und die restliche Zeit in einem Krankenhaus. Aber das gibt das sehr starre System nicht her.

Sie wollen es aufbrechen?
Unbedingt. Das Gesamtvertragssystem der 50er-Jahre ist nicht mehr geeignet, die Probleme der 2000er Jahre zu lösen. Wir müssen uns überlegen, ob man etwa einem Arzt im Waldviertel einen Firmenwagen für Visiten zur Verfügung stellt.

Das können Sie derzeit nicht?
Nein, weil ich fixe Honorare habe, und wenn ich diese erhöhe, was die Ärztekammer fordert, dann erhöhe ich auch das Honorar des Arztes in Klosterneuburg. Damit wird aber auch die Klosterneuburger Ordination interessanter und warum soll er dann ins Waldviertel gehen?

Die Fusion soll bis 2023 eine Milliarde einsparen – realistisch?
Einsparungen sind immer eine Frage der Darstellung. Ich bin überzeugt davon, dass die Politik die Milliarde am Ende des Tages darstellen wird können. In den Prozessen lassen sich jedenfalls viele Synergien heben.

Personaleinsparungen?
Sie werden verstehen, dass ich Ihnen keine Ziffer nennen kann und will.

Wofür würden Sie die Milliarde einsetzten?
Wir müssen in die Primärversorgung investieren. Es ist kein Herzchirurg notwendig, um einen Schnupfen zu heilen. Viele Menschen rennen aber sofort in die Spitalsambulanz.

Gibt es Überlegungen, mehr in die Vorsorge zu investieren?
Ja, aber wir müssen die Couch-Potatoes erwischen, nicht jene, die sowieso gesundheitsbewusst sind.