Spätestens seit das „BilligSchnitzel“ nicht nur heimische Tische und Stammtischdebatten, sondern auch den Nationalratswahlkampf erobert hat, ist das Thema Herkunftskennzeichnung wieder in aller Munde. Was bisher in der Öffentlichkeit kein Thema war, aber Veränderungen für Konsumenten und Lebensmittelproduzenten bringt, sind neue Kennzeichnungsvorschriften, die fix ab 1. April 2020 europaweit gelten werden.
1 Bei welchen Produkten muss die Herkunft jetzt schon angegeben werden – und wo nicht?
Auf EU-Ebene schreibt die „Lebensmittelinformationsverordnung“ (LMIV) vor, dass beim Verkauf von Frischfleisch, Honig, Fisch, Olivenöl, frischem Obst und Gemüse, bei Frischeiern und sämtlichen Bio-Lebensmitteln schon jetzt die Herkunft angegeben werden muss. Keine Deklarationspflicht gab es bis dato in der Gastronomie sowie beim Verkauf von verarbeiteten Lebensmitteln wie Saft, Brot, Käse oder Wurst (außer bio).
2 Welche Regeln werden jetzt verschärft?
Eine EU-weite Verschärfung der LMIV sieht vor, dass ab 1. April 2020 auch bei verarbeiteten Lebensmitteln die Herkunft der Primärzutat angegeben werden muss – und zwar dann, wenn sie von der augenscheinlichen Herkunft des Produkts abweicht. Beispiel: Bringt ein Wursthersteller eine „Steirer-Wurst“ auf den Markt, muss er die Herkunft der Hauptzutat angeben, wenn sie nicht ausschließlich aus Österreich kommt. Dann könnte es z. B. heißen: „Steirer-Wurst“ mit Schweinefleisch aus Österreich und Deutschland.
3 Kann diese Herkunftsangabe auch im Kleingedruckten auf der Hinterseite stehen?
Nein. Die Herkunftsinfo muss im Falle der angesprochenen „Steirer-Wurst“ im gleichen Sichtfeld wie der Produktname stehen und darf höchstens 25 Prozent kleiner gedruckt sein.
4 Ist die Herkunft also nur in Ausnahmefällen anzugeben?
Nein. Denn die neuen Vorschriften werten auch optische Elemente wie eine rot-weiß-rote Fahne oder Symbole wie Wahrzeichen als geografischen Hinweis. Hintergrund: Wie zuletzt u. a. ein Apfelsafttest gezeigt hat, wurde auf Verpackungen bisher oft durch Fahnen und den Zusatz „Hergestellt in Österreich“ suggeriert, dass es sich um ein rein heimisches Produkt handelt, selbst wenn die Äpfel dafür aus dem Ausland kamen und nur der Saft hierzulande produziert wurde (siehe Bilder oben). Ähnliches galt häufig bei Wurstprodukten. Werden solche Logos künftig verwendet, obwohl die Hauptzutat nicht aus Österreich stammt, könnte es z. B. heißen: Apfelsaft, hergestellt in Österreich mit Äpfeln aus Polen. In diesem Punkt nimmt die EU nun also auch den Kampf gegen (bisher häufig tolerierten) Etikettenschwindel auf.
5 Was ist eine Primärzutat?
Als Primärzutat gilt die Hauptzutat, die den größten Anteil eines Produkts ausmacht. Darüber hinaus sieht die Verordnung aber vor, dass auch produktbestimmende, weitere Zutaten als Primärzutat gelten. Beispiel: Bei einem „Kärntner Erdbeerjoghurt“ könnte es künftig heißen: „Kärntner Erdbeerjoghurt mit Milch aus Südtirol und Erdbeeren aus Österreich“. Nennt man es nur „Erdbeerjoghurt“ ist keine Herkunftsangabe nötig.
6 Was ist an den neuen Regeln fix, was nicht?
Da es sich um eine Durchführungsverordnung handelt, sind keine Beschlüsse mehr notwendig, die Mitgliedsstaaten müssen sie bis spätestens 1. 4. 2020 umsetzen. Was juristische Feinheiten betrifft, wann welche Herkunft angegeben werden muss, arbeitet derzeit eine Codex-Gruppe aus Experten an einem nationalen „Auslegungsdokument“ (Beispiel Brot: Hier ist die Hauptzutat Mehl – reicht es, die Herkunft des Mehls anzugeben oder muss auch angegeben werden, woher das Getreide fürs Mehl stammt?). Auch wartet die Lebensmittelbranche noch auf ein endgültiges „Guideline“-Papier der EU-Kommission.
7 Wer kontrolliert? Wie hoch sind die Strafen?
In Österreich ist die Lebensmittelkontrolle bei den jeweiligen Bundesländern angesiedelt. 2018 wurden bundesweit 25.743 Lebensmittelproben genommen und von der Agentur für Ernährungssicherheit (Ages) analysiert. Davon wurden 10,4 Prozent wegen Problemen bei Kennzeichnung bzw. wegen Irreführung beanstandet. Nach Skandalen (wie falsch deklariertem Pferdefleisch) wurde hierzulande der Strafrahmen im Lebensmittelgesetz drastisch auf bis zu 50.000 Euro (im Wiederholungsfall bis zu 100.000 Euro) erhöht. Strafen in dieser Höhe wurden bis dato aber noch nie ausgesprochen. Für die Strafhöhe ist der Strafreferent der jeweiligen Bezirksverwaltungsbehörde zuständig.
8 Was passiert bei Eigennamen wie „Frankfurter Würstel“ oder „Linzer Torte“?
Hier gelten die vorhin genannten Regeln nicht.
9 Wie fallen die Reaktionen aus?
In Brüssel gehen die Meinungen wenig auseinander. Für SPÖ-EU-Abgeordneten Günther Sidl geht die Regelung noch nicht weit genug: „Das ist ein Schritt in die richtige Richtung. Aber wir sind noch nicht da, wo wir hinwollen, denn zu viele Produktionsabläufe entlang der Nahrungsmittelkette liegen noch im Dunkeln“, so Sidl, Mitglied im Ausschuss für Umwelt, Gesundheit und Lebensmittelsicherheit. „Wenn die Konsumenten steirischen Apfelsaft oder südsteirischen Wein kaufen, müssen auch die Äpfel und die Weintrauben aus der Steiermark kommen. Alles andere wäre ein Etikettenschwindel.“ Ähnlich sieht das ÖVP-Abgeordneter Alexander Bernhuber, der im selben Ausschuss vertreten ist. „Eine klare Kennzeichnung der Herkunft bringt Vorteile für die Konsumenten und stärkt die bäuerlichen Betriebe in Österreich und in Europa. Am Weg dorthin ist die neue EU-Regelung ein Fortschritt, aber wir sind noch nicht am Ziel.“ Die Menschen würden Transparenz wollen und keine Täuschung. Auch Sarah Wiener von den Grünen meint: „Das ist erst der Anfang“, und nennt ein Beispiel, was nach wie vor nicht gelöst sei: „Chinesisches Tomatenmark wird nach Italien geschifft, um es dort mit Wasser und Salz anzureichern, um es zu italienischem zu machen. Das ist für mich eine Irreführung der Verbraucher.“ Im Übrigen sollte nicht nur die Herkunft, sondern auch Tierhaltungsstandards nachvollziehbar sein.
10 Wird’s darüber hinaus strengere Regeln in Österreich geben?
Die letzte türkis-blaue Regierung kündigte mehrmals an, dass vor allem in der Außer-Haus-Verköstigung wie Betriebskantinen, Krankenhäusern, Schulen exaktere Herkunftsangaben kommen würden (55 Prozent des Fleisches werden außer Haus verzehrt). Durch das Platzen der Koalition liegt dies derzeit auf Eis. Ein erster ausgearbeiteter Vorschlag wurde laut Insidern von den Behörden als zu kompliziert und nicht umsetzbar zurückgewiesen.