„Die deutsche Wirtschaft schrumpft, die Gefahr einer Rezession steigt“ – dieser Befund dominiert seit gestern endgültig die Wirtschaftsberichterstattung in unserem Nachbarland. Tatsächlich wurde vom Statistischen Bundesamt in Wiesbaden für das zweite Quartal, also zwischen April und Juni, ein Rückgang der Gesamtwirtschaftsleistung (Bruttoinlandprodukt; BIP) von 0,1 Prozent errechnet. Per Definition ist eine sogenannte „technische Rezession“ dann gegeben, wenn das BIP einer Volkswirtschaft in zwei aufeinanderfolgenden Quartalen sinkt.
Wenn es also auch im laufenden Sommerquartal zu einem Minus kommt, wäre dies der Fall. Die Gefahr einer Rezession beziffert das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) derzeit auf 43 Prozent. „Deutschlands Konjunktur steht auf der Kippe“, so der wissenschaftliche Direktor des IMK, Sebastian Dullien. Während in Deutschland nun bereits eine Debatte über staatliche Konjunkturprogramme entbrannt ist, wächst auch hierzulande die Verunsicherung. Deutschland ist schließlich der mit Abstand wichtigste Handelspartner Österreichs.
Deutschland als wichtigster Handelspartner
Im Vorjahr exportierten österreichische Firmen Waren im Wert von 45,235 Milliarden Euro nach Deutschland, das entspricht fast einem Drittel aller heimischen Ausfuhren. Zum Vergleich: Österreichs zweitwichtigster Auslandsmarkt sind – mit gehörigem Abstand – die USA mit einem Exportvolumen von 10,6 Milliarden Euro.
Kann sich Österreichs Wirtschaft, die zuletzt zwei Jahre in Folge stärker gewachsen ist als jene Deutschlands, weiterhin von der Entwicklung im Nachbarland abkoppeln? Ökonomen zeigen sich in dieser Frage vorsichtig optimistisch. Trotz der zuletzt auch für Österreich gesenkten BIP-Erwartungen, sie schwanken derzeit je nach Institut zwischen 1,3 und 1,7 Prozent, liegen die Prognosen weiterhin deutlich höher als die für Deutschland, wo heuer für das Gesamtjahr von einem BIP-Plus von maximal 0,5 Prozent ausgegangen wird. Auch im zweiten Quartal, in dem Deutschland ins Minus rutschte, konnte Österreich zum Quartal davor, zwar gebremst, aber laut Wifo-Schnellschätzung dennoch um 0,3 Prozent zulegen. Die Gründe, warum es zu dieser rot-weiß-roten „Trotzreaktion“ kommt, sind vielschichtig.
Hanno Lorenz, Ökonom bei Agenda Austria, verweist etwa darauf, dass Österreichs konjunkturelle „Aufholjagd“ nach der Krise deutlich später eingesetzt hat als die in Deutschland. Tatsächlich ist das deutsche BIP zwischen 2010 und 2014 im Schnitt um 2,2 Prozent gewachsen, jenes in Österreich lediglich um 1,2 Prozent. 2014 und 2015 erreichte Österreich nur ein mageres BIP-Plus von 0,7 bzw. 1,1 Prozent. Die spürbare Erholung setzte also erst 2016 ein. Neben diesem Aufholprozess hebt Lorenz auch das durch die Steuerreform beschleunigte Binnenwachstum in Österreich hervor. Heimischen Unternehmen gelinge es zudem gut, die deutsche Wachstumsschwäche „zumindest temporär“ durch andere Zielmärkte abzudämpfen. Klar sei aber auch: „Wenn sich die Weltwirtschaft insgesamt eintrübt, geht das an einem stark vom Export abhängigen Land wie Österreich auch nicht spurlos vorüber.“
Der Volkswirtschaftsprofessor Michael Steiner relativiert die direkte Abhängigkeit von Deutschland etwas. „Viele Produkte, die von Österreich nach Deutschland gehen und dort verarbeitet werden, gehen ja dann direkt in alle Teile der Welt, etwa in die USA oder nach Asien.“ Entscheidend sei hier also die globale Konjunkturentwicklung.
Ökonom warnt vor „mentalen Reaktionen“
Zudem sei es in den vergangenen zehn Jahren zu einer weiteren Diversifizierung von Österreichs Außenhandel gekommen, Stichwort Ost- und Südosteuropa, „diese strategische Erweiterung sichert uns auch ab“, so Steiner.
Auch Raiffeisen-Chefanalyst Peter Brezinschek betont: „Durch die Exporte nach Tschechien, Ungarn, Polen und andere osteuropäische Länder sei Österreichs Außenhandel breit genug aufgestellt, um die deutsche Industrieschwäche zu kompensieren.“
Steiner gibt jedoch auch zu bedenken, dass eine anhaltende Schwäche Deutschlands „mentale Reaktionen“ auch in Österreich auslösen könnte. „Es geht dann schon auch um die Frage, wie Unternehmer angesichts von Negativnachrichten aus dem Nachbarland hierzulande die Zukunft einschätzen. Und das könnte schon zu einer Investitionszurückhaltung führen“, nimmt Steiner auf mögliche psychologische Effekte Bezug. Die Entwicklungen nach dem Prinzip „Das geht uns nichts an“ zu betrachten, wäre daher fahrlässig. Schließlich belasten die Handelskonflikte, die für globale wirtschaftliche Bremsspuren sorgen, auch Österreich.