Gemächlich durch die Nacht ruckeln, ausgestreckt auf einer Pritsche Bahnhöfe vorbeiziehen lassen, morgens ausgeschlafen am Zielort ankommen: Eine Fahrt mit dem Schlaf- oder Liegewagen der Bahn verbinden viele Menschen mit alten Zeiten. Doch angesichts von Klimawandel und "Flugscham" ist das Thema Nachtzüge wieder brandaktuell.
Greta Thunberg lässt grüßen. Die junge schwedische Umwelt-Aktivistin fuhr im Jänner 65 Stunden mit dem Zug ins schweizerische Davos und zurück, um den beim Weltwirtschaftsforum versammelten Bankbossen und Industriemanagern in puncto Klima die Leviten zu lesen. Seither vermittelt gerade auch die "Fridays for Future"-Bewegung vielen das Gefühl, sich wegen klimaschädlicher Effekte fürs Fliegen schämen zu müssen.
Auch in der Schweiz Wiederbelebung des Angebots
Sollte das Angebot mit Schlaf- und Liegewagen als Alternative zum Fliegen also nicht ausgebaut werden? "Das Nachtzuggeschäft hat Zukunft", sagt der Sprecher der Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB), Bernhard Rieder. Auch die Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) denken daran, das 2009 eingestellte Geschäft mit klassischen Nachtzügen wiederzubeleben.
Bei Deutscher Bahn keine Liege- und Schlafwagen
Anders die Deutsche Bahn: Sie bietet aus wirtschaftlichen Gründen seit 2016 keine eigenen Schlaf- und Liegewagen mehr an. "Ein eigenes Angebot mit klassischen Schlaf- und Liegewagen ist aktuell nicht geplant", sagt eine Sprecherin in Berlin. Die Bahn wolle nachts aber mehr ICE- und Intercity-Züge mit Sitzwagen auf die Schiene bringen. Und sie unterstütze die ÖBB, die Schlaf- und Liegewagen in Deutschland anbieten, etwa mit Triebfahrzeugführern und teils mit Loks.
"Wir sehen uns ganz klar als Umweltvorreiter und grüner Mobilitätsdienstleister", so die Sprecherin. Ökologische Kriterien spielten eine immer größere Rolle bei der Auswahl des Verkehrsträgers.
Auf kürzeren Strecken Konkurrenz zum Fliegen
Auf kürzeren Strecken sieht die Bahn sich als klare Konkurrenz zum Fliegen: "Wir sind auf vielen internationalen Verbindungen genauso schnell wie das Flugzeug, vor allem, wenn man die An- und Abreise zum Flughafen und die dortigen Abfertigungsprozesse und Sicherheitskontrollen einrechnet", sagte die Sprecherin und nannte etwa die Verbindungen zwischen München und Wien, Hamburg und Kopenhagen oder Frankfurt/Main und Paris.
Die Österreicher haben vorgemacht, wie das Geschäft funktioniert: Die ÖBB haben als einzige ihr Nachtzugangebot nicht nur beibehalten, sondern ausgebaut, und bedienen heute die Verbindungen in die Schweiz und nach Deutschland. Hamburg-Wien, Berlin-Zürich - auf diesen Strecken können sich Bahnreisende heute im österreichischen Nightjet ausstrecken. "Wir haben jetzt 18 eigene Linien und insgesamt 26 zusammen mit Partnern", sagt Rieder.
ÖBB wollen mehr in das Nachtzuggeschäft investieren
Die ÖBB seien auch bereit, stärker in das Nachtzuggeschäft zu investieren. 13 neue Züge wurden bei Siemens schon bestellt und werden ab Frühjahr 2022 geliefert. Dreh- und Angelpunkt, damit das Geschäft knapp kostendeckend kalkuliert werden könne: dass die Züge einheitlich in Österreich gewartet werden. Die Strecken müssen dementsprechend konzipiert sein. Verbindung fernab von Österreich anzubieten, etwa Barcelona-Amsterdam, wäre deshalb schwierig.
Auch die ÖBB stellen in Fahrgastbefragungen mehr Umweltbewusstsein fest. Weil sie zu 100 Prozent mit grünem Bahnstrom fahren, verbrauche der Fahrgast im Nightjet 31 mal weniger klimaschädliches CO2 als beim Fliegen auf der gleichen Strecke, betont Rieder.
Billig-Airlines als Konkurrenz zur Bahn
Aber: "Der Umweltgedanke ist bei vielen noch eher theoretisch da und zeigt sich nicht ganz im Buchungsverhalten." Während die teuersten Plätze im Schlafwagen stets schnell ausverkauft seien, merke man im günstigen Segment der Sitzwagen sofort, wenn auf einer Strecke zwischen zwei Metropolen eine Billig-Airline fliegt. "Sofort gehen die Buchungen runter", sagt Rieder.
Die Organisation "Objectiv Train de nuit" in Frankreich will Schlaf- und Liegewagen an Güterzügen durch die Nacht rauschen lassen. "Absurd", winkt Rieder ab. "Güterzüge fahren meist nicht durch Personenbahnhöfe."