Es war ein Jahr, das Österreich in mehrfacher Hinsicht prägen sollte: Im Juni 1978 gewinnt die Fußballnationalmannschaft bei der Weltmeisterschaft in Cordoba gegen Deutschland 3:2; im November entscheidet sich eine knappe Mehrheit der Österreicher gegen die Inbetriebnahme des Atomkraftwerks Zwentendorf. Dazwischen, im August, hat ein 26-jähriger Gesellschaftsrechtsexperte namens Wolfgang Eder nach kurzer Berufspraxis in einem Linzer Marktforschungsinstitut seinen ersten Arbeitstag bei der damaligen Voest-Alpine AG.
Es ist der Beginn einer konzerninternen Bilderbuchkarriere, die am kommenden Mittwoch zu Ende geht.Nach 41 Jahren, 24 davon im Vorstand, 15 als dessen Vorsitzender, tritt Eder am 3. Juli ab. Es ist keine radikale Trennung. Eder wird in den Aufsichtsrat wechseln und nach einer zweijährigen „Cooling-off-Periode“ wohl dessen Vorsitz übernehmen.
„Flucht war nie eine Option“, verneint er launig die Frage, ob er jemals an einen Wechsel zu einem anderen Arbeitgeber gedacht habe. Es scheint eine mehrdimensionale Faszination gewesen zu sein, die das Herz des jungen Juristen damals an den altehrwürdigen Stahlkonzern fesselte. Einerseits die Erfahrung schamloser politischer Macht und Einflussnahme in den ersten Jahren, die in einem betriebswirtschaftlichen Fiasko endeten. „Der 29. November 1985 hat mein Berufsleben stark geprägt“, erinnert sich Eder. Damals musste der gesamte Vorstand zurücktreten, in weiterer Folge verloren 70.000 der 85.000 Voest-Mitarbeiter ihren Job. „Wir waren pleite“, blickt Eder bei einem Kleine-Zeitung-Salon Donnerstagabend in Graz zurück in dieses düstere Kapitel der damals verstaatlichten Industrie.
Welche Gefühle dominierten damals? „Ein hohes Maß an Bitterkeit, was die Politik angerichtet hat“, spricht Eder heute von „durchaus Wut auf die politischen Entscheidungsträger“, gepaart mit der Frage, ob dieses „An-die-Wand-Fahren“ notwendig gewesen sei. Eders Erkenntnis „mit Blick auf andere Katastrophen in der Geschichte“: ja, als Fundament einer Katharsis.
„Wir haben den Gegenwind in Rückenwind verwandelt"
An dieser Selbstreinigung und Neuaufstellung des Konzerns war der damals 33-Jährige dann maßgeblich beteiligt. 1995 zieht er schließlich in den Vorstand der Voest Alpine Stahl AG ein. Es bleiben turbulente Zeiten. Der etappenweise Rückzug des Staates aus dem industriellen Leitbetrieb des Landes – 1995 zunächst von 100 auf 40 Prozent – macht den Konzern auch für Investoren attraktiv. 2003 kommt es dann zu einer prägenden „Krisensituation“ (Eder), als im Rahmen des Projekts „Minerva“ der Magna-Konzern versucht, die Voest zu übernehmen. In der strategischen Abwehrschlacht drängt man in der Linzer Zentrale daraufhin auf einen Totalausstieg des Staates – und bekommt die Zusage. „Wir haben den Gegenwind in Rückenwind verwandelt“, erinnert sich Eder. Umgesetzt wird der Exit allerdings erst zwei Jahre später: „Das war ungemein befreiend.“
Sozialpartnerschaf? „Warum gibt es sie eigentlich noch?"
Dem eigenen Abschied aus der Führungsverantwortung für 52.000 Mitarbeiter blickt der zweifache Vater und begeisterte Segler gelassen entgegen: „Ich werde die Freiheit in Maßen genießen, geübt habe ich das noch nicht.“ Das Loslassen der Macht werde ihm aber nicht schwerfallen, auch weil er diese „nie bewusst gelebt“ habe. Vielmehr habe er „immer versucht, durch Überzeugung und Sachkenntnis nicht beliebt, aber als Fachmann, Führungskraft und Mensch akzeptiert zu werden“. Sein Fazit: „Das ist mir ganz gut gelungen.“ Ein Führungsstil, der geprägt ist von einem toleranten Umgang mit Fehlern (sofern sie nicht wiederholt werden) und der aus den Wirrnissen der streng proporzkontrollierten Verstaatlichten-Ära abgeleiteten Überzeugung, dass man ein Unternehmen nicht mittels Misstrauenskultur leiten könne.
Das Vertrauen in die Sozialpartnerschaft scheint Eder dagegen mittlerweile verloren zu haben: „Sie war einmal wichtig, hat mit dem EU-Beitritt Österreichs aber ihre Aktivitäten, was langfristige Perspektiven angeht, eingestellt“, kritisiert er und fragt giftig: „Warum gibt es sie eigentlich noch? Nur um sich selbst zu verwalten?“
„Wir sind keine Ja-Sager-Organisation"
Man kann davon ausgehen, dass Eder diese Sticheleien als jene Art konstruktiver Kritik versteht, die er auch in seiner Voestalpine als Form des Widerspruchs akzeptiere. „Wir sind keine Ja-Sager-Organisation“, beschreibt der überzeugte Verfechter des einen selbst im Umgang mit anderen disziplinierenden „Sie“: „Das ,Du‘ vereinfacht eine Beziehung zu schnell, schafft zu große Vertraulichkeit.“Entsprechend distanziert bleibt Eders Verhältnis zur Politik. Immer wieder fiel er mit harscher Standortkritik, drohenden Abwanderungsfantasien und leidenschaftlichen Plädoyers für mehr Reformen auf. Im Kleine-Zeitung-Salon reicht er an diesem Sommerabend noch eine vernichtende Analyse der nachhaltig toxischen Folgen des Ibiza-Videos nach. Auch in solchen Momenten bleibt Eder seinem Führungscredo treu: „Man muss schauen, dass man ein Leben lang derselbe bleibt, sich nicht verbiegt und verleugnet.“