Auch wenn in den USA und in Europa derzeit keine Rezession droht, schwenken die Notenbanken im Gleichschritt auf eine lockerere Geldpolitik ein. Nachdem EZB-Chef Mario Draghi diese Woche eine Zinssenkung ins Gespräch brachte, signalisierte kurz darauf auch die US-Notenbank Fed Bereitschaft zur Umkehr. Gespannt warten Anleger auf den Juli, wenn die beiden Zentralbanken die Wende vollziehen dürften.
"Fed-Chef Jerome Powell hat den Zug aufs Gleis gesetzt", sagt Ökonom Stefan Kipar von der BayernLB. "Ein Zinsschritt auf einer der nächsten Sitzungen scheint nahezu ausgemachte Sache zu sein." Doch das Manöver birgt Risiken: Wenn Fed und EZB ihr Pulver bereits in konjunkturell eher guten Zeiten verfeuern, könnten sie bei einer Rezession mit keine Optionen mehr haben.
Weltweiter Währungskrieg als Szenario
Für zusätzliches Störfeuer sorgen die Zwischenrufe des US-Präsidenten Donald Trump, dem das US-Zinsniveau zu hoch und die Stärke des Dollar ein Dorn im Auge ist. Er hält die Fed-Banker für "ahnungslos". Zudem machen Berichte die Runde, er denke über eine Ablösung Powells nach. Der Europäischen Zentralbank (EZB) wirft Trump vor, mit ihrem lockeren Kurs den Euro schwächen und der Exportwirtschaft unfaire Vorteile verschaffen zu wollen.
Der angedachte Kurs der geldpolitischen Lockerung bei der Fed wird laut Peter Chatwell, Zinsexperte bei der Bank Mizuho, einen Abwärtswettlauf der Währungskurse einläuten: "Dieses Fed-Treffen bringt einen weltweiten Währungskrieg in unser zentrales Szenario." Commerzbank-Volkswirt Bernd Weidensteiner warnt vor einer Zinssenkungsspirale. "Viele andere Zentralbanken werden der Fed alleine deshalb erneut folgen, um eine Aufwertung ihrer Währungen gegenüber dem Dollar zu verhindern." Ein Aufwertung des Euro käme der EZB bei der momentan unsicheren Konjunkturlage nicht gelegen.
Trumps Scherbenhaufen
Auslöser der Fed-Zinssenkungspläne ist die drohende Abkühlung der US-Konjunktur. "Die harten Daten enttäuschten und Trump geht auf Konfrontationskurs mit wichtigen Handelspartnern, scheinbar ohne Rücksicht auf eigene Verluste", so BayernLB-Expertin Charlotte Heck-Parsch. Gleichzeitig setze der Präsident die eigene Notenbank unter Druck, weil ihm eine Zinssenkung sehr gelegen käme, sagt Postbank-Chefvolkswirt Marco Bargel. Diese würde die Wettbewerbsfähigkeit der US-Firmen auf dem Weltmarkt verbessern und damit die Folgen von Trumps eigener Politik abfedern. "Der Ruf nach Zinssenkungen bedeutet, dass die Fed den Scherbenhaufen zusammenkehren soll, den er hinterlassen hat."
Spannung vor dem G-20-Treffen
Konjunktursorgen könnten auch die EZB zu Zinssenkungen bewegen. "Wir glauben, die geldpolitischen Schritte werden entscheidend vom Ergebnis des G-20-Treffens am 27./28. Juni, den Handelsgesprächen zwischen den USA und China sowie der geldpolitischen Reaktion der Fed abhängen," sagt UBS-Volkswirt Reinhard Cluse. Dabei würde eine Eskalation des Konflikts USA/China den Druck auf die EZB erhöhen, die Geldpolitik zu lockern.
Allerdings hat Draghi weniger Spielraum als Powell. Zwar hatten die EZB ihre insgesamt 2,6 Billionen Euro schweren Anleihekäufe im Dezember eingestellt. Die Zinswende ist aber frühestens im Sommer 2020 zu erwarten. Der Leitzins liegt bereits seit mehr als drei Jahren bei null Prozent. Zudem müssen Banken Strafzinsen von 0,4 Prozent zahlen, um bei der Notenbank Gelder zu parken.
Was die EZB noch tun kann
Da die Währungshüter aber ihre Handlungsbereitschaft unter Beweis stellen wollten, rechne er im Juli mit einer Senkung des Einlagenzinses auf minus 0,5 Prozent, sagt Commerzbank-Volkswirt Michael Schubert. "Auf diese Weise würde sie sich die Option offen halten, dass möglicherweise da noch etwas nachkommen könnte." Viel Zeit bleibe Draghi aber nicht, warnt DZ-Bank-Analystin Birgit Henseler. "Reicht diese Maßnahme nicht aus, werden die Marktteilnehmer die von Draghi in Aussicht gestellten weiteren geldpolitischen Maßnahmen relativ schnell einfordern." Daher werde er voraussichtlich schon im Juli die Wiederaufnahme der Bond-Käufe signalisieren.
In diesem Fall müsse die EZB aber nach einem Ausweg suchen, um nicht an die selbstgesteckten Kaufobergrenzen zu stoßen, fügt Henseler hinzu. "Eine Variante wäre, im Rahmen des Kaufprogramms keine feste monatliche Summe bekannt zu gegeben, sondern vielmehr ein Gesamtvolumen, das die EZB bereit ist zu kaufen."