Was unterscheidet künstliche von natürlicher Intelligenz?
MARTIN GEBSER: Das „künstlich“ ist ja nicht ohne Grund vorangestellt, KI unterscheidet sich deutlich von menschlicher Intelligenz. Als ich zu studieren begann, lautete eine Frage: Was unterscheidet Vögel von Flugzeugen? Genauso ist das mit der künstlichen Intelligenz: Sie kommt uns oft nur schlau vor.
Und was differenziert KI von klassischen Computern?
Technik und Mechanik unterscheiden sich nicht großartig. Aber die unglaublichen Datenmengen im Internet heute werden aufgezeichnet und analysiert und beeinflussen so, was wir sehen und was uns vorgeschlagen wird. Wir Menschen könnten diese Daten gar nicht sichten. Niemand möchte da wirklich reinschauen – das macht die Maschine.
Mit klar konturierten Grenzen?
Nehmen Sie die Bilderkennung, einen großen Erfolg des maschinellen Lernens: Dafür muss ein Algorithmus Tausende Bilder sammeln und Datenbanken erstellen. Etwa, um zu lernen, wie Katzen aussehen. Würde ein Kind das machen, zeigt man ihm vielleicht zehn Katzen, die Maschine braucht Tausende.
KI-Systeme wissen nach Analyse einiger weniger Facebookeinträge angeblich sogar mehr über die Person als deren Partner. Das klingt bedrohlich.
Ich stimme Ihnen zu. Wir geben das alles von uns preis. Man kann sehr viel herauslesen aus Milliarden von Nutzerdaten. Wir geben das alles freiwillig her und verlassen uns darauf, dass damit kein Unfug betrieben wird. Wir haben hier ein Transparenzproblem, das gelöst gehört.
Ist die KI Herr oder Diener des Menschen?
Vieles, was man an Klischees über KI im Kopf hat, ist Hollywood-getrieben und Science-Fiction. So weit sind wir nicht, dass ein Supercomputer bestimmt, wie die Mission zu Planeten gemacht werden muss. Kein Computer oder Smartphone hat einen eingebauten Willen. Wenn uns KI nicht nutzen würde, würde die Technologie über kurz oder lang sterben. KI ist wie jedes andere Werkzeug – man kann damit Gutes und Schlechtes machen und Schaden anrichten.
Allein die technische Möglichkeit, dass hier etwas entsteht, das einmal mächtiger als Menschen sein könnte, macht Angst – ist ein solches Szenario denkbar?
Man muss sich bewusst sein, was KI leisten kann. Es sind Computerprogramme, die Ergebnisse liefern. Ein Bankmitarbeiter kann die Entscheidung von KI, ob ein Kredit gewährt wird oder nicht, überstimmen.
Moralisch-ethisch wäre es auch ein Problem, sollte allein die KI aufgrund irgendwelcher Vorurteile über Kredite entscheiden.
Was in die intelligenten Maschinen gefüttert wird, bestimmt den Ausgang, was als Ergebnis möglich ist. Zu den rein mathematisch programmierten Vorgängen eine Art Reflektiertheit einzubauen, steht noch vor uns. Bei einem Menschen würde es auch niemand akzeptieren, wenn Entscheidungen nicht begründet werden. Bei Maschinen müssen wir auch den Prozess aufbrechen und ihn gläsern machen.
Kann man Computern Ethik beibringen?
Computer machen das, worauf sie programmiert sind. Man kann natürlich versuchen, ihnen Ethik zu programmieren. Die Frage wird sein: In welchen Bereichen kann ich meine Verantwortung an die Maschine guten Gewissens abgeben, in welchen Bereichen wird die Maschine nur Hilfestellungen leisten und muss der Mensch die finale Entscheidung auf sich nehmen?
Etwa beim autonomen Fahren: Wäre es vorstellbar, dass wir jetzt schon alle Entscheidungen an den Rechner abgeben?
Nein. Man glaubte ja auch, dass 2050 Roboter im Fußball gegen Menschen wie Cristiano Ronaldo gewinnen werden, jetzt musste man das Ziel auf 2100 revidieren. Und da sind nur elf Spieler auf dem Platz. Wenn ich mir eine Großstadt anschaue, was da durch die Gegend fährt … Es wird dauern, bis ich einem Auto selbst alle Entscheidungen überlassen kann.
Was könnte „dauern“ konkret heißen? Es gibt ja die Prognose, dass alle, die jetzt zur Welt kommen, gar keinen Führerschein mehr machen müssen.
Da bin ich skeptisch. Die Leute werden ja auch weiterhin Sprachen lernen – denn das Übersetzungstool ersetzt das Lernen nicht: Menschen verstehen Metaphern, Redewendungen. Dolmetscher übersetzen so, dass der Sinn erhalten bleibt. Computer müssen die Bedeutung erraten. Die Versprechungen der Forscher sind natürlich da. Man darf das Ganze aber nicht wörtlich nehmen.
Besonders überlegen ist KI bei der Analyse von Daten. Was bedeutet es für Berufsbilder wie Ärzte und Juristen?
Kein einzelner Mensch kann die Unmengen an Literatur etwa zu Symptomen von Krankheiten erfassen. Da ist KI sehr wichtig und trägt zur Qualitätssteigerung bei. Aber wir können nicht zu KI gehen, die Körperdaten erfassen und die Therapie wird für uns errechnet.
Sie sind Inhaber eines Lehrstuhls für Industrie 4.0. Viele fürchten, in vollautomatischen Fabriken keine Arbeit mehr zu haben. Verlieren wir unsere Jobs?
Das ist durchaus real. Was sich automatisieren lässt, wo keine Kreativität erforderlich ist, wird wegfallen. Mit KI lässt sich vieles machen, wovon Menschen heute überfordert sind – denken Sie an ein großes Lagerhaus für einen Versandhändler.
Damit gehen Hunderttausende Jobs in Industrien verloren, die heute noch auf Mitarbeiter angewiesen sind.
Was an einer Stelle wegfällt, kommt woanders dazu. Durch die Digitalisierung sucht jeder händeringend nach Arbeitskräften in diesen Bereichen.
Aber nicht jeder kann zum KI-Experten umgeschult werden.
Da ist definitiv ein Ungleichgewicht. Je nachdem, was sich technisch realisieren lässt, muss man eine neue Balance finden: Brauchen wir irgendein Grundeinkommen? Momentan ist ja noch die gesellschaftliche Idee, jeder Mensch müsse acht Stunden pro Tag arbeiten. Wenn man viele Bereiche automatisiert, muss man auch darauf neue Antworten geben.
Kommen Pflegeroboter?
Unsere Hand zum Beispiel ist dermaßen komplex, dass die Robotik davon noch weit weg ist. Ja, grobmotorische Aufgaben der Robotik zu überlassen, ist vielleicht möglich, aber da gibt es definitiv Grenzen.
Wie wäre es mit einem Haarschnitt vom Roboter?
Jeder Kopf ist anders. Einmal glatt rüber, das würde passen – aber ob man mit dem Ergebnis zufrieden ist? Eher nicht.
Wie gut sind heimische Unternehmen auf neue Technologien wie KI vorbereitet?
Ich bin mit Firmen im Gespräch und wir überlegen, wo wir bei komplexen Planungsaufgaben auf technischer Basis ansetzen können. Vieles passiert da heute noch aus dem Bauch heraus mit Erfahrungswerten.
Wie weit ist China Europa in der KI-Forschung überlegen?
Die USA und China sind uns bei den Daten voraus, nicht in der Technik. Die haben diese Daten und können damit operieren. Wir sollten nicht zu pessimistisch sein, es gibt Gebiete, auf denen wir führend sind.
Schaut man als KI-Experte neidisch nach China?
Wir haben andere Stärken: industrielle Anwendungen, wo wir nicht auf Massenanwender, über einen Kamm geschert, fokussieren, sondern spezifische KI-Lösungen für ein mittelständisches Umfeld bieten. Da können wir die Vorreiter sein.