Paukenschlag: Die deutsche Pkw-Maut ist nicht mit EU-Recht vereinbar. Die Abgabe sei gegenüber Fahrzeughaltern aus dem Ausland diskriminierend, entschied der Europäische Gerichtshof (EuGH) am Dienstag in Luxemburg. "Diese Abgabe ist diskriminierend, da ihre wirtschaftliche Last praktisch ausschließlich auf den Haltern und Fahrern von in anderen Mitgliedstaaten zugelassenen Fahrzeugen liegt", stellten die EU-Richter fest.
Österreich hat damit einen Sieg vor dem EU-Gerichtshof errungen. Österreich hatte vor dem Gerichtshof eine Vertragsverletzungsklage gegen Deutschland erhoben. Dabei wurde Österreich von den Niederlanden unterstützt, während Deutschland von Dänemark unterstützt wurde. Die deutsche Bild-Zeitung titelt in Reaktion auf das Urteil in ihrer Online-Ausgabe: "Ösis kippen deutsche Pkw-Maut".
Zum Hintergrund: Alle Besitzer von in Deutschland zugelassenen Autos sollen dann eine Jahresmaut zahlen. Die Infrastrukturabgabe, wie die Maut offiziell heißt, wird für die Nutzung von Autobahnen und Bundesstraßen erhoben. Die Preise hängen von der Größe des Motors und der Umweltfreundlichkeit des Fahrzeugs ab. Maximal sind 130 Euro fällig. Deutsche Autofahrer sollen aber zugleich bei der Kfz-Steuer entlastet werden.
Reichhardt: "Signal Richtung Fairness"
In der Pressekonferenz nach dem Urteil des EuGH betonte Verkehrsminister Andreas Reichhardt, es sei "für Europa ein deutliches Signal Richtung Fairness". Die Maut hätte, so Reichhardt, einen Verstoß gegen den freien Waren- und Dienstleistungsverkehr" bedeutet. Er geht weiters davon aus, dass die Pläne für eine Maut kurzfristig vom Tisch sind, beziehungsweise überarbeitet werden.
Merkel lässt weiteres Vorgehen offen
Deutschlands Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) lässt das weitere Vorgehen nach dem Stopp der Pkw-Maut durch den Europäischen Gerichtshof (EuGH) vorerst offen. Das Urteil sei zu akzeptieren und zur Kenntnis zu nehmen, sagte sie am Dienstag in Berlin. Natürlich werde Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) nun die Situation analysieren. "Und dann werden wir sagen, wie wir weiter vorgehen."
Für ausländische Autofahrer keine Entlastung
Ausländische Autofahrer müssen den Plänen zufolge zahlen, wenn sie auf deutschen Autobahnen unterwegs sind. Sie können dabei zwischen Vignetten für zehn Tage, zwei Monate oder einem Jahr wählen. Für sie ist keine Entlastung jedoch vorgesehen.
Beschlossen wurde das Gesetz bereits 2017. Vorausgegangen war ein jahrelanger politischer Streit. Die Pkw-Maut gilt als Herzensprojekt der bayrischen CSU.
Österreich erhob vor dem EuGH in Luxemburg 2017 eine Vertragsverletzungsklage, weil es die Regelung aufgrund der Entlastung deutscher Fahrzeughalter für diskriminierend hält. In dem Verfahren wird Österreich von den Niederlanden unterstützt.
EU-Gerichtshof: "Mittelbare Diskriminierung"
Und so begründet der EuGH seine Entscheidung: Eine Infrastrukturabgabe in Verbindung mit der Steuerentlastung bei der Kraftfahrzeugsteuer, die den in Deutschland zugelassenen Fahrzeugbesitzern zugutekommt, stelle eine mittelbare Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit dar und verstoße gegen die Grundsätze des freien Warenverkehrs und des freien Dienstleistungsverkehrs.
Die von deutschen Fahrzeugbesitzern entrichtete Infrastrukturabgabe würde vollständig kompensiert, sodass die wirtschaftliche Last dieser Abgabe tatsächlich allein auf den Besitzern und Fahrern von in anderen EU-Staaten zugelassenen Fahrzeugen liege.
Hinsichtlich des freien Warenverkehrs stellte der Gerichtshof fest, dass die deutsche Pkw-Maut geeignet sei, den Zugang von Erzeugnissen aus anderen Mitgliedstaaten zum deutschen Markt zu behindern. Auch stellt der Gerichtshof fest, dass die strittigen Maßnahmen geeignet seien, den Zugang von aus einem anderen EU-Staat stammenden Dienstleistungserbringern und -empfängern zum deutschen Markt zu behindern.
Was aus Sicht der Richter nicht diskriminierend ist
Dagegen entschieden die EU-Richter, dass die Modalitäten der Ausgestaltung und des Vollzugs der Infrastrukturabgabe entgegen dem Vorbringen Österreichs nicht diskriminierend seien. Dabei handelt es sich um die stichprobenartige Überwachung, die etwaige Untersagung der Weiterfahrt mit dem betreffenden Fahrzeug, die nachträgliche Erhebung der Infrastrukturabgabe, die mögliche Verhängung eines Bußgelds sowie die Zahlung einer Sicherheitsleistung.
Österreich hatte im Jahr 2017 beim EuGH geklagt. Im Februar 2019 hatte der Generalanwalt des Gerichtshofs vorgeschlagen, Österreichs Klage abzuweisen. Der Vorschlag des Generalanwalts ist für die Richter nicht bindend, in rund 80 Prozent der Fälle folgen die Richter allerdings seiner Rechtsansicht.
Kapsch: Kein Verlust durch Urteil
Georg Kapsch, Chef von Kapsch TrafficCom sagte Dienstagvormittag zu Beginn der Jahrespressekonferenz des börsenotierten Wiener Unternehmens, er könne zu dem EuGH-Urteil zur deutschen Pkw-Maut "im Moment gar nichts sagen". Verluste würden dem Mautspezialisten, der gemeinsam mit der deutschen oeticket-Mutter CTS Eventim den Zuschlag für die Einhebung erhalten hatte, nicht entstehen.
"Wir müssen uns das Urteil anschauen, es können Auflagen drinnen sein, die wir noch nicht kennen. Wir haben vertragliche Schutzbestimmungen. Es braucht niemand glauben, dass wir da einen Verlust einfahren", so der Kapsch-TrafficCom-Chef vor Journalisten.
Vertragsverletzungsverfahren wurde wieder eingestellt
Die EU-Kommission hatte Mitte 2015 zunächst auch ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland eingeleitet, dies aber nach Änderungen der Maut-Regelungen wieder eingestellt.
Das aktuelle Urteil kommt eher überraschend, denn der für das Verfahren am EuGH zuständige Generalanwalt Nils Wahl sprach sich im Februar dafür aus, die Klage abzuweisen. Er hält die Regelung anders als Österreich nicht für diskriminierend.
Generalanwälte stützten zuvor deutsche Position
Generalanwalt Nils Wahl stützte in seinem Schlussantrag die deutsche Auffassung, dass die Kosten des Autobahnnetzes gleichmäßig auf alle Nutzer aufgeteilt werden müssten. Die deutschen Behörden hätten auch zu Recht angenommen, dass deutsche Fahrzeughalter "einer unverhältnismäßig hohen Besteuerung unterworfen würden, wenn sie sowohl der Infrastrukturabgabe als auch der Kraftfahrzeugsteuer unterlägen".
Der Schlussantrag im Februar bedeutete daher vorerst einen kräftigen Dämpfer für die Maut-Gegner. Denn das Wort der Generalanwälte hat in den Luxemburger Verfahren Gewicht: Die Richter sind an deren Schlussanträge zwar nicht gebunden, folgen ihnen aber in vielen Fällen. Diesmal aber nicht.