Sie sagen: „Wir Menschen werden nicht ausrangiert, sondern auch in Zukunft noch gebraucht.“ Gerade die Generation 50+ macht sich oft Sorgen vor der Digitalisierung – zu Recht?
PETER BRANDL: Die Sorgen sind berechtigt, weil sich vieles verändert – die Frage ist nur: Sieht man eher die Chancen oder die Gefahren?
KATJA PORSCH: Viele haben Angst. Instinktiv sind wir automatisch in einem Schmerzvermeidungsmodus und rennen weg. Das, was in Zukunft kommt, ist aber cool – wenn wir unser Mindset ändern: Es muss für uns so normal werden, mit Veränderung umzugehen, so wie es bisher normal ist, mit Sicherheit umzugehen.
Eine breite Grätsche, die sie uns da abverlangen.
PORSCH: Wir leben in einer Welt, in der es wenig Sinn macht, auf Sicherheit zu bauen, sondern wir uns anpassen müssen. Schon in der Schule müssen wir Leute darauf vorbereiten, was da jetzt kommt. Da sind andere Länder viel weiter als wir. In den USA studieren die Leute Sachen, von denen haben wir noch gar nicht gehört.
Warum ticken wir anders?
BRANDL: Das ist in der Schule begründet. Wir treiben Kindern systematisch die Bereitschaft, Fehler zu machen, aus. Bevor ein Kind in die Schule geht, probiert es einfach etwas aus. In der Schule merkt es dann, dass Fehler sanktioniert werden. Was wir aber brauchen, ist Mut. Wir können nur mithalten, wenn wir auch Fehler riskieren. Das ist aber kein Plädoyer für Leichtsinnigkeit.
Wir bekommen also etwas Falsches beigebracht?
BRANDL: Ja, es kommt noch schlimmer: Wir lernen, dass das, was wir nicht können, wertvoller ist. Wenn Sie gut in Deutsch und schlecht in Mathematik sind, geht es nur um die Fünf in Mathematik. Das bringt uns Richtung Mittelmaß.
Mit welchen Auswirkungen der Digitalisierung müssen wir jetzt umzugehen lernen?
PORSCH: Wir müssen nicht versuchen, die besseren Maschinen zu werden, sondern der bessere Mensch. Es macht wenig Sinn, mit Künstlicher Intelligenz mithalten zu wollen. Klassisches Know-how können heute Maschinen schneller und vor allem fehlerfreier als wir.
Und was können wir besser?
PORSCH: Wir müssen unsere Persönlichkeit und zwischenmenschlichen Beziehungen in den Ring werfen. Alles, was standardisiert werden kann, wird standardisiert. Die Gefahr, ist, dass wir in die falsche Richtung gehen: Wenn Mitarbeiter in den Kampf gegen die Maschine geschickt werden, ist das Blödsinn – und die Menschen bleiben auf der Strecke.
Mit enormen Veränderungen auch für die Berufsbilder?
BRANDL: Mit Sicherheit. Mein Beruf des Piloten ist ein aussterbender, auch viele medizinische Berufe sind aussterbend. Wenn KI heute in der Lage ist, in 15 Sekunden die Daten von einer Million Krebspatienten zu vergleichen, dann kann kein Arzt mehr mithalten. Für die Juristerei gilt das gleiche.
Wie muss sich Erziehung und Schulbildung ändern, um uns bestmöglich vorzubereiten?
PORSCH: Unser Schulsystem ist auf faktisches Gleichmachen ausgerichtet, wer ausbricht, muss zurück in die Reihe. Es geht um Wissenserwerb, nicht um Spaß und Talenteförderung.
BRANDL: Deutschland und Österreich sind schon im Hintertreffen. Keines der Länder ist bei digitaler Kompetenz nur ansatzweise im oberen Drittel, auch nicht bei der Internetabdeckung. Wir sind schon abgehängt.
PORSCH: Wenn die ganzen Strukturen um mich herum wegbrechen, bleibt als einziger, den ich habe: ich selbst. Das haben Kinder auch nicht gelernt – auf sich selbst zu bauen, wenn rundherum alles rüttelt und schüttelt. Wer seine Kompetenzen, Potenziale und Talente kennt, hat immer eine andere Option.
Zurück zu den Älteren, die Angst vor der Digitalisierung haben. Wie sollten diese auf diese sich schnell ändernde Zeit reagieren?
BRANDL: Sich dem stellen.
Und einen Coding-Kurs belegen?
BRANDL: Das müssen sie nicht machen. Aber sie sollten wissen, was Coding ist. Wir Ältere haben früher aus der Erfahrung unsere Sicherheit bezogen, das waren unsere Waffen. Und jetzt haben wir Waffengleichheit.
Ist das Waffenarsenal Jüngerer nicht sogar deutlich besser?
BRANDL: Nein. Ein Vorteil, den Ältere gegenüber Jüngeren haben: Wir haben im Durchschnitt eine höhere Fehlertoleranz und mehr Ausdauer.
PORSCH: Die ältere Generation über 50 muss erkennen, mehr Eigeninitiative zu ergreifen und nicht zu warten, bis sie aussortiert wird und dann klagt, Watson sei daran schuld. Sondern sich das Wissen, aneignen, das man braucht – eine Holschuld.
Sehen Sie schon ein Umdenken?
BRANDL: Ich erlebe bei vielen Menschen, dass die sich eine digitale Kompetenz bereits angeschafft haben.
Wie ertragen wir die Komplexität, mit der wir es zu tun haben?
PORSCH: Wir versuchen, alles völlig in den Griff zu bekommen – das kriegen wir aber nicht mehr hin. Wichtig ist es, den Fokus nicht zu verlieren: Ich entscheide jeden Tag in der Früh aufs Neue, in welche Richtung ich laufe. Wir sind in eine Zeit groß geworden, in der wir aufgrund unserer Erfahrung ganz schnell bewerten. Das ist jetzt vorbei: Ehe ich sage, etwas geht nicht, muss ich es zuerst einmal versuchen.
Ist das nicht ein Plädoyer für Beliebigkeit – ich lasse alles offen und probier‘ einfach drauflos?
PORSCH: Nein. Während wir es uns hier überlegen, ob es sich auszahlt, sich mit einem Produkt zu beschäftigen, haben es die Amerikaner schon dreimal auf den Markt geworfen. Die sagen, es gibt so viele Möglichkeiten, lass uns weitergehen.
Alexa, Siri und Co – sind digitale Assistenten eine Hilfe oder Fluch?
BRANDL: Künstliche Intelligenz wird zu unserem Begleiter, einige Entwicklungen werden sich verlaufen wie früher einmal das Tamagotchi. Ich persönlich möchte in meinem privatesten Bereich keine Technologie haben, die mich belauscht.
Welche Entwicklungen hin zum Digitalen lehnen Sie ab?
BRANDL: Wenn ich mir das soziale Bewertungssystem mit Vollüberwachung in chinesischen Städten anschaue, ist das eine Welt, in der ich mir nicht vorstellen kann, zu leben.
PORSCH: Die Entwicklung unseres Gesundheitssystems – wo soll das hinführen? Werde ich von den Kassen nicht genommen, weil sie mich komplett scannen? Da könnten einige auf der Strecke bleiben, da sehe ich eine große Gefahr.
Was wäre für Sie ein Worst Case-Szenario der Digitalisierung?
BRANDL: Dass ein großer Prozentsatz der Menschen abgehängt wird.
PORSCH: Ein Cyberghetto von Menschen, die nicht mehr gebraucht werden und von Menschen, die in ein Leben in Scheinwelten wie Soziale Netzwerke führen.