Arbeitgeber in der EU sollen verpflichtet werden, die ganze Arbeitszeit ihrer Beschäftigten systematisch zu erfassen. Das hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) gestern entschieden. Das Urteil könnte auch Auswirkungen auf Österreich bringen, sagt Arbeits- und Sozialrechtler Martin Risak von der Universität Wien zur APA. Schönherr-Partner Stefan Kühteubl sieht die Thematik weniger eng.
Risak sieht zwei Punkte, in denen auch die verhältnismäßig strengen österreichischen Regeln womöglich nicht mehr gänzlich europarechtskonform sein könnten, auch wenn diese sinnvoll oder praktikabel seien. Freilich bleibe die genaue Auslegung des EuGH-Spruchs nach entsprechenden Konsultationen noch abzuwarten, so der Universitätsprofessor. "Es fragt sich, ob das heimische System den Ansprüchen entspricht", so Risak. Er verwies auf die von Arbeitsministerin Beate Hartinger-Klein (FPÖ) gegenüber der APA am Dienstag angekündigte dahingehende Prüfung.
Arbeitsaufzeichnung
Ein Punkt, der angeschaut gehört, ist laut Risak, dass der EuGH sage, dass die Arbeitgeber die Arbeitszeit aufzeichnen müssten. In Österreich machen das oft die Arbeitnehmer selbst. Das etwaige Problem daran laut dem Arbeitsrechtler: Er liest aus dem EuGH die Tendenz heraus, dass der Arbeitnehmer die schwächere Partei im Arbeitsverhältnis ist und womöglich unter Druck geraten könnte, doch nicht die ganze Arbeitszeit zu schreiben, um nicht Probleme mit dem Arbeitgeber zu bekommen. "Es gilt zu verhindern, dass der Arbeitgeber indirekt die Rechte beschränkt." Durch die schwächere Position könne der Arbeitnehmer abgeschreckt werden, seine Rechte gegenüber dem Chef geltend zu machen, da sich das nachteilig aufs Arbeitsverhältnis auswirken könne.
"Das sehe ich nicht", sagte hingegen Rechtsanwalt und Arbeitsrechtsfachmann Kühteubl zum von Risak aufgebrachten Punkt. Er verwies im Gespräch mit der APA darauf, dass der EuGH sage, der Arbeitgeber müsse lediglich für ein objektives, verlässliches und zugängliches System sorgen, indem die Arbeitszeiten aufgezeichnet werden. Gebe es das nicht, oder fehlten Aufzeichnungen von Mitarbeitern, werde der Arbeitgeber in Österreich bereits zur Verantwortung gezogen. Kühteubl verwies hierbei aufs Lohn- und Sozialdumpinggesetz.
Risak sieht durch den EuGH in Österreich die Frage aufziehen, "ob es tatsächlich objektiv und verlässlich und zugänglich (das verlangt der EuGH, Anm.) ist, wenn Arbeitnehmer ihre Arbeitszeiten selbst aufzeichnen". Es gehe auch um die Frage, wie sich etwa das Bearbeiten von E-Mails in der Straßenbahn oder das Durchlesen von Unterlagen abends für den nächsten Tag auf die Arbeitszeitaufzeichnung auswirkt.
Home-Office und Ruhezeiten
"Interessant" werde es in Österreich auch in jenen Bereichen, wo nur Saldenaufzeichnungen durchgeführt werden, also nicht der Arbeitsbeginn und das Ende vermerkt werden, so Risak. Das betrifft etwa Außendienstler und die Home-Office-Regelung. "Sinn und Zweck sind einleuchtend und sinnvoll. Aber es ist möglich zu schauen, ob Ruhezeiten zwischen den Tagen eingehalten werden. In diesem Punkt wird man wohl etwas finden müssen." Im Beamtendienstrecht gebe es Sonderregelungen, "aber für 'Normale' ist das echt ein Problem."
Zu Außendienst- und Home-Office-Arbeitern sagte Kühteubl ebenso, dass man dabei schauen müsse, ob der Arbeitgeber womöglich die Arbeitszeiten aufzeichnen müsse. "Hier gibt es mögliche Auswirkungen. Aber der EuGH scheint mir relativ offen."
"Die Themen stellen sich sowieso. Sie sind teils gelöst, teils nicht. Der EuGH legt hier den Finger auf die Wunde drauf", sagte Kühteubl. Er sieht die Sache grundsätzlich nicht so streng. "Wenn, dann gibt es sehr beschränkte Auswirkungen auf Österreich."
Absolut einig waren sich die beiden Fachleute, dass es etwa auf Deutschland (wie auch Spanien, wo der Anlassfall herkommt) immense Auswirkungen gibt. In beiden Ländern müssen derzeit nur die Überstunden aufgezeichnet werden. Reicht nicht, sagte der EuGH. "Wenn man nur die Überstunden aufzeichnet, dann sieht man nicht, ob die Wochenhöchstarbeitszeit von 48 Stunden, und die Ruhezeit von elf Stunden plus einmal pro Woche von 24 Stunden eingehalten wird", so Risak.