Michael Atug, der „Rockstar des E-Commerce“, wie er sich selbst nennt, spricht Klartext. „Ich liebe Amazon“, sagt er, „denn es hat mich reich gemacht.“ Der Deutsche war im Onlinehandel früh dran, begann 2001 damit, Werkzeug über Ebay zu verkaufen. „Damals haben wir das Geld mit dem Schubkarren nach Hause gefahren“, sagt der Mann aus Nordrhein-Westfalen. Das sei heute vorbei, Amazon mache hauptsächlich sich selbst reich, stimmt Atug nun in die allgemeine Klage der Handelsbranche ein.
Der Handelsverband in Österreich hat bekanntlich Beschwerde gegen den US-Riesen bei der Bundeswettbewerbsbehörde eingelegt. Amazon missbrauche, so der Vorwurf, seine Marktmacht und diktiere Händlern nachteilige Bestimmungen. Die BWB hat ein Verfahren eingeleitet. Und um Amazon drehte sich auch das vom Handelsverband veranstaltete Treffen der Branche. „Amazon schafft Fakten“, sagt Atug. „Händler machen 70 bis 80 Prozent ihres Umsatzes auf der Plattform, aber sie haben keine Planungssicherheit mehr.“ Einerseits sperre Amazon Händlerkonten ohne Ankündigung und ohne Angabe von Gründen, andererseits übernehme Amazon Bestseller von Händlern in das eigene Verkaufsprogramm. „Warum tun wir uns das an? Es ist nichts anderes da.“
Grenzen zwischen offline und online verschwimmen
Wird es so bleiben? Namhafte Experten sind davon überzeugt, dass die Branche vor weiteren radikalen Umbrüchen steht. Der Niederländer Wijnand Jongen, Autor des Buches „Das Ende des Online-Shoppings“, sieht die Grenzen zwischen offline und online verschwimmen. In einer vernetzten Welt müssen Händler „in das Leben der Konsumenten eingebunden sein“, um erfolgreich zu sein.
„Würden wir denken, gegen Amazon keine Chance zu haben, würden wir nicht antreten“, sagt Mario Peter, Chef von Repay.me, ein Cashback-Marktplatz, der sich im Aufbau befindet und im Herbst 2019 starten will. „Der Kuchen wächst, das ist die positive Nachricht im E-Commerce. Es gibt genug Platz für neue Spieler“, pflichtet Stefan Krawczyk von Ebay bei.
10.000 Geschäfte weniger
„Ich glaube an viele digitale Geschäftsmodelle in den nächsten Jahren“, sagt Martin Unger, Berater bei Contrast EY. Auch neuen Plattformen und „digitalen Ökosystemen“ wie Amazon oder Alibaba gibt Unger Chancen. Sieben der zehn wertvollsten Unternehmen der Welt beruhen aktuell auf plattformbasierten Geschäftsmodellen, nur 14 der 100 größten Digitalkonzerne aber sind aus Europa. „Die Handels- und Konsumgüterbranche wird von den digitalen Riesen massiv geprägt.“
Bei den stationären Verkaufsflächen dürfte die große Bereinigung in Österreich - 10.000 Geschäfte verschwanden binnen zehn Jahren von der Bildfläche - vorbei sein, erklärt Martin Ofner von CBRE. Die Entwicklung in den nächsten fünf Jahren bleibe stabil - 90 Prozent aller Einkäufe werden noch in stationären Geschäften getätigt. Die Flächen werden sich aber verändern: Der bereits bekannte Trend des „Click & Collect“ soll sich laut Ofner verstärken, Shops werden (wie bei Amazon Go) kassenfrei, durch Automation werden Jobs verschwinden. Und Shopping-Center, so Ofner, könnten sich zu „Destinationen“ entwickeln - mit Büros, Bildungsangeboten, Büchereien, Sportanlagen.