Das in Österreich nach wie vor beliebte Bargeld wird sich nicht so schnell abschaffen lassen. Nicht nur erfüllt es Funktionen, die kein anderes Zahlungsmittel erfüllen kann, auch ein Alleingang eines einzelnen Landes wäre bei einem solchen Schritt kaum möglich, sagte Guido Schäfer, Professor für Quantitative Volkswirtschaft an der Wirtschaftsuniversität Wien im Gespräch mit der APA.
In den nächsten zehn Jahren hält Schäfer eine Abschaffung des Bargelds nicht für möglich. Generell geht der Experte nicht davon aus, dass Bargeld abgeschafft wird, sondern eher davon, dass es mit digitalen Alternativen koexistieren wird. Für eine formelle Abschaffung von Bargeld bräuchte es eine gesamteuropäische Entscheidung. Wie ein solcher Entscheidungsfindungsprozess juristisch aber aussehen könnte, sei höchst unklar, so Schäfer.
Zwar gebe es durchaus Länder, in denen Bargeld als Zahlungsmittel zunehmend an Bedeutung verliere und durch digitale Zahlungsmethoden ersetzt werde - beispielsweise in Schweden. Allerdings bleibe auch dort die Bedeutung von Bargeld als Wertaufbewahrungsmittel weiterhin hoch. "Die Funktion der Wertaufbewahrung ist relativ unabhängig von der fortschreitenden Digitalisierung der Zahlungsmethoden", sagte Schäfer.
Bestimmte Transaktionen ohne Bargeld "schwierig"
Die Annahme einer kürzlich veröffentlichten IWF-Studie, dass Menschen weniger Bargeld halten würden, wenn es eine Art "Strafzins" auf die Bargeldhaltung gäbe, hält Schäfer nicht für haltbar. "Es stimmt meiner Meinung nach empirisch nicht, dass die Leute kein Bargeld halten, wenn sie einen negativen Ertrag darauf erwirtschaften," so Schäfer. Denn ohne Bargeld sei es nach wie vor sehr schwierig, bestimmte Transaktionen durchzuführen. Es brauche schon eine sehr starke Hyperinflation oder einen sehr stark negativen Zinssatz, um die Menschen davon abzuhalten Bargeld zu verwenden.
Der Internationale Währungsfonds (IWF) hatte Anfang Februar in einer Studie die Einführung eines Wechselkurses zwischen Bargeld und anderen liquiden Zahlungsformen vorgeschlagen um die Bargeldhaltung weniger attraktiv zu machen. Dies würde es der Europäischen Zentralbank (EZB) in Folge ermöglichen, im Falle einer Krise den Leitzins weit in den negativen Bereich zu drücken, ohne Gefahr zu laufen, dass die Bevölkerung ihre liquiden Mittel abzieht und in bar hält, so die Theorie der Autorinnen der IWF-Studie.
"Unkonventionelle Maßnahmen"
Darüber hinaus überschätze die IWF-Studie die reale Bedeutung des Leitzinses als Steuerungsinstrument der Notenbanken. "Der Zinssatz ist wichtig, aber er ist sicher nicht das einzige Instrument, um eine in Schieflage geratene Wirtschaft wieder in Balance zu bringen," sagte Schäfer. Nicht nur der niedrige Leitzins, sondern auch die "unkonventionellen Notenbank-Maßnahmen" wie das Anleihen-Kaufprogramm oder die Langzeitkredite (TLTRO) an Banken hätten nach der Finanzkrise für mehr Stabilität im europäischen Finanzsektor gesorgt.
Um der Zinswirkung solcher Maßnahmen Ausdruck zu verleihen, lässt sich eine "shadow rate", also einen Schattenzinssatz, schätzen. Dieser war in den vergangenen Jahren zeitweise auch stark negativ. Auch ohne den Zinssatz stark abzusenken, können also stark expansive geldpolitische Maßnahmen gesetzt werden, so Schäfer.
Wie geht es mit der Geldpolitik der EZB weiter?
Bei der am kommenden Mittwoch anstehenden Zinssitzung dürfte die Europäische Zentralbank (EZB) wohl zunächst noch mit weiteren geldpolitischen Maßnahmen abwarten und nicht sofort "ihre ganze Munition verschießen", schätzt Schäfer.
Bei der vergangenen Zinssitzung im März hatte die EZB angekündigt, angesichts der jüngsten Konjunktureintrübung neue Langzeitkredite an Banken (TLTRO) vergeben zu wollen. Zudem wurde die Staffelung des Negativzinssatzes auf Bankeinlagen bei der EZB (derzeit minus 0,4 Prozent) diskutiert, um die Bankenbranche zu entlasten. Die Kreditinstitute beklagen bereits seit Längerem, dass die Zinsen an ihren Erträgen nagen würden. Seitdem kursieren an den Finanzmärkten wieder verstärkt Spekulationen rund um eine weitere geldpolitische Expansion.
Zinserwartungenhaben sich gedreht
So wurden am Markt jüngst sogar wieder Chancen auf eine Zinssenkung seitens der EZB eingeräumt. Auch wenn die Wahrscheinlichkeit dafür noch bei sehr geringen zehn Prozent liegt, werden hier dennoch die stark gewandelten Zinserwartungen der Anleger deutlich. Zum Ende des vergangenen Jahres war der Markt noch weitgehend mit einer Erhöhung der Zinsen im zweiten Halbjahr 2019 ausgegangen.
Fakt ist, dass sich die weltweiten Konjunkturaussichten derzeit etwas eintrüben, so Schäfer im Gespräch mit der APA. Ob es aber eine Wachstumsdelle bleibt oder es zu einer Rezession kommt, sei abzuwarten. Der laufende Konjunkturzyklus sei jedenfalls sehr untypisch gewesen, daher sei es nicht leicht, etwas Konkretes vorherzusagen. Zudem bleiben Risiken wie der Brexit weiterhin sehr unberechenbare Faktoren, die es zu beobachten gelte. Insgesamt dürfte die EZB daher vorerst noch mit weiteren Maßnahmen abwarten.
Spielraum der Notenbank stark begrenzt
Den Spielraum der Notenbank für weitere geldpolitische Maßnahmen sei derzeit außerdem stark begrenzt. "Das Modell ist ja bereits sehr expansiv", sagte Schäfer. Der EZB-Leitzinssatz liegt bereits seit März 2016 auf dem Rekordtief von 0,0 Prozent. Allerdings habe die Zentralbank bisher immer bewiesen, dass sie "wenn sie will, sehr viel machen kann" - auch außerhalb der konventionellen zur Verfügung stehenden Mittel. Zudem sei das Commitment der Zentralbank, eine Destabilisierung oder einen Zerfall der Eurozone zu verhindern, bisher immer sehr hoch gewesen.