"Der langjährige Aufschwung der deutschen Wirtschaft ist zu Ende", heißt es im Frühjahrsgutachten. Und sollte es zu einem harten Brexit kommen, würde sich die Lage noch weiter verschlechtern - auch im kommenden Jahr.

Das niedrige Wachstum heuer führen die Wirtschaftsforscher vor allem darauf zurück, dass sich die weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen wegen politischer Risiken weiter eingetrübt hätten. Der Konjunktureinbruch in der zweiten Jahreshälfte 2018 dagegen sei vor allem auf Produktionshemmnisse in der Industrie zurückzuführen - die Autoindustrie etwa kam mit der Zertifizierung ihrer Autos für den neuen Abgastest WLTP nicht hinterher, die Chemieindustrie litt unter Lieferengpässen wegen des Niedrigwassers in vielen Flüssen.

Keine wesentliche Verbesserung zu Jahresbeginn

Auch zu Jahresbeginn besserte sich die Lage zunächst nicht wesentlich: Der Auftragseingang der Industrie ging laut Statistischem Bundesamt im Jänner um 2,1 Prozent gegenüber dem Vormonat zurück, im Februar sogar um 4,2 Prozent. Auf dem Arbeitsmarkt wirkt sich dies zunächst nur geringfügig aus. Die Zahl der Erwerbstätigen werde weiter steigen, heißt es im Frühjahrsgutachten: von 45,3 Millionen heuer auf 45,5 Millionen im kommenden Jahr. Die Zahl der Arbeitslosen wird demnach auf 2,2 und dann auf 2,1 Millionen sinken.

Im kommenden Jahr erwarten die Forscher eine Rückkehr zu einem kräftigeren Wachstum: 2020 dürfte das Bruttoinlandsprodukt (BIP) um 1,8 Prozent steigen, heißt es in ihrer Prognose. Die Risiken für Deutschland hätten sich allerdings seit der letzten Prognose im Herbst vergrößert: National belasten demnach Fachkräftemangel, Lieferengpässe und Schwierigkeiten der Autoindustrie die Konjunktur, international der nach wie vor ungelöste Handelsstreit zwischen den USA und China - sowie das weiterhin ungeklärte Brexit-Verfahren.

Brexit-Sorgen

Ein Ausscheiden Großbritanniens aus der EU ohne Abkommen sei seit Abschluss der Prognose Ende März "zwar weniger wahrscheinlich geworden, aber noch nicht ausgeschlossen", erklärten die Wirtschaftsforschungsinstitute. Bei einem No-Deal-Brexit dürfte das Wirtschaftswachstum heuer und im kommenden Jahr "deutlich niedriger ausfallen" als in der Prognose ausgewiesen.

Im vergangenen Jahr war die deutsche Wirtschaft um 1,4 Prozent gewachsen. 2017 hatte das BIP um 2,2 Prozent zugelegt.

Seit Beginn des Jahres hat eine Reihe von Institutionen die Wachstumsprognose für Deutschland kräftig nach unten revidiert. Erst Mitte März senkten die fünf Wirtschaftsweisen ihre Prognose für 2019 von 1,5 auf 0,8 Prozent. Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) geht aktuell nur noch von 0,7 Prozent Wachstum für Deutschland aus.

"Auftriebskräfte gewinnen wieder die Oberhand"

Das Frühjahrsgutachten ist eine Gemeinschaftsdiagnose. Beteiligt sind das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin, das Institut für Wirtschaftsforschung (Ifo) in München, das Institut für Weltwirtschaft (IfW) in Kiel, das Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) sowie das RWI in Essen.

Das Gutachten ist die Basis für die Frühjahrsprojektion der deutschen Regierung, die der deutsche Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) am 17. April vorstellen wird. Er betonte, die Abkühlung werde "im Verlauf dieses Jahres allmählich überwunden und die Auftriebskräfte gewinnen wieder die Oberhand". Erfreulich sei, dass die positive Entwicklung am Arbeitsmarkt anhalte. Die Binnenwirtschaft bleibe die tragende Säule der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung.

Die deutschen Experten raten der Politik zu Korrekturen. "Auch die deutsche Wirtschaftspolitik schafft Risiken, etwa indem sie die langfristige Stabilität der gesetzlichen Rentenversicherung durch erhebliche Leistungsausweitungen belastet, die aus dem Beitragsaufkommen nicht zu finanzieren sein werden", kritisieren die Institute. "Dies lässt Steuererhöhungen erwarten, die Deutschland als Investitionsstandort weniger attraktiv machen." Die Politik sollte stärker darauf ausgerichtet werden, die Rahmenbedingungen für Investitionen zu verbessern.

Weitere Staatsüberschüsse erwartet

In ihrem Gutachten plädieren die Wissenschafter außerdem dafür, nicht um der "Schwarzen Null" im deutschen Haushalt willen der Konjunktur hinterherzusparen. "Konjunkturbedingte Defizite lassen die deutsche Schuldenbremse und das europäische fiskalpolitische Regelwerk ausdrücklich zu", so die Wissenschafter. Für Holtemöller gibt es "aus ökonomischer Sicht keinen Grund", das Konzept einer schwarzen Null zu pflegen.

Trotz der trüberen Konjunktur rechnen die Experten mit anhaltend kräftigen Staatsüberschüssen. Im laufenden Jahr soll das Plus bei 41,8 und 2020 bei 35,6 Milliarden Euro liegen.