Es droht ein harter Brexit, der Handelskonflikt scheint auch wieder aufzuflammen und die Konjunktur trübt sich ein - KTM verbuchte dennoch gerade sein 8. Rekordjahr in Folge. Ist das Unternehmen resistent gegen diese äußeren Einflüsse?

Stefan PIERER: Es wird sicher herausfordernder. Aber ich erwarte auch eine spannende Zeit, weil jetzt setzen sich die Guten von den Schlechten ab. Wenn alles gleichmäßig nach oben zeigt, dann fahren alle - wie in einem Lift - mit hinauf. Aber wenn's richtig schwierig, wenn's zugig wird, dann lassen sich Marktanteile gewinnen. Dahin gehend schaue ich optimistisch in die härter werdende Umgebung.

Die KTM-Gruppe hat 2018 rund 262.000 Motorräder abgesetzt, bis 2022 sollen es 400.000 sein. Wie soll das gelingen?

Wir wollen in den nächsten fünf Jahren auf einen Absatz von einer halben Million kommen. In Europa liegt unser Marktanteil bei gut zehn Prozent, in Deutschland sind wir Nummer zwei mit 15 Prozent, vor Honda. Und in Österreich sind wir besonders stolz auf den Anteil von fast 30 Prozent, hier sind wir Marktführer. Das Wachstum in den nächsten fünf Jahren wird überwiegend aus den Emerging Markets kommen, Asien, speziell Indien und Lateinamerika.

Der Absatzanteil von KTM liegt schon zu mehr als 50 Prozent außerhalb Europas. Wird Europa etwas an Bedeutung verlieren?

Europa ist in den letzten Jahren enorm stark gewesen, wird aber - allein schon aus demografischen Gründen - künftig eher stagnieren. Der Motorradmarkt in entwickelten Ländern spiegelt den Zustand einer Volkswirtschaft wider, es geht um Faktoren wie das Konsumklima, die Jobsicherheit, freie Liquidität bei Konsumenten. Wenn Menschen beispielsweise um ihren Job bangen, dann kaufen sie kein Motorrad. Wenn ich mich an die Situation 2008/09 zurückerinnere, da ist der Markt über Nacht um 40 Prozent eingebrochen.

KTM hat auch Harley-Davidson überholt, ist KTM damit schon die Nummer vier der Welt?

Ja, das kann man so sagen. Honda, Yamaha und Kawasaki liegen vor uns. Wenn Sie mich fragen, was ich in den nächsten fünf Jahre vorhabe, dann sage ich, wir wollen Kawasaki überholen. Wir wollen aufs Stockerl.

Denken Sie auch an Übernahmen, was wäre, wenn Volkswagen Ducati doch irgendwann einmal verkaufen würde?

Bis vor ein, zwei Jahren habe ich schon darüber nachgedacht. Es ist ja auch kein Geheimnis: Ich liebe Ducati, das ist der Ferrari unserer Branche. Wenn da der Preis gepasst hätte, hätte ich mir das vielleicht schon ernsthaft überlegt. Aber mittlerweile ist das anders. Wir sind mit den Marken KTM und Husqvarna sehr gut aufgestellt. Wir haben da selbst so viele Möglichkeiten.

Welche Rolle spielt bei KTM die E-Mobilität?

Sie spielt für uns eine immens wichtige Rolle, wir wissen, was funktioniert und was nicht. Wir sind im Zweirad-Elektro-Bereich ein Pionier, haben bereits 2008 mit der Entwicklung begonnen, haben jetzt die fünfte Saison ein gutes Elektrogeländesportmotorrad im Markt.

Was funktioniert, was nicht?

Elektromobilität findet auf der kurzen Strecke mit einem leichten Fahrzeug statt. Was heißt das für das Zweirad? Beim Fahrrad sind E-Bikes schon ein riesiger Markt, da sind wir vor einem Jahr eingestiegen, werden heuer schon 70.000 E-Bikes mit unserem deutschen Joint-Venture-Partner verkaufen. Jetzt bewegt sich die Elektromobilität hinauf, also vom E-Bike in die Roller und Motorräder mit kleinen Hubraumklassen. Aber bei elf Kilowatt hört es sich auf. Denn bis dahin kann ich 48-Volt-Konzepte umsetzen. Alles andere ist dann schon der Hochvoltbereich, hochgefährlich und mit unheimlichen Vorschriften für Produktion, Logistik und Werkstätten verbunden.

Für die Autoindustrie ist die E-Mobilität nur eine von vielen Herausforderungen - wird es da in den nächsten Jahren Opfer geben?

Nachdem wir in den letzten eineinhalb Jahrzehnten eine Globalisierung der Lieferketten erlebt haben, sind Handelskriege nicht hilfreich für die Autoindustrie. Da bist du mitten im Strudel. Der Brexit ist da natürlich auch nicht hilfreich. Hinzu kommen eben der Hype rund um die Elektromobilität, der den Autoherstellern auch hineingeprügelt wird, und die Zunahme der Abgasvorschriften. Das ist eine Challenge, die alle bis aufs Letzte fordert. Das werden wohl auch nicht alle überstehen.

Ist das Gesamtthema E-Mobilität politisch gut gemanagt?

Das läuft völlig unüberlegt. Da ist ein Hype entstanden, der auch von NGOs massiv beschleunigt wurde. Aber wo kommt die Energie für Elektromobilität denn her? Bis zu 70 Prozent aus fossilen Brennstoffen. Wenn man nur Deutschland hernimmt, da reden wir derzeit auch noch von Braunkohle. Eine Katastrophe. Mit Zunahme der E-Mobilität können wir aus heutiger Sicht die Klimaziele nicht erreichen. Auch die Netzinfrastruktur ist längst nicht so weit, es gibt offene Fragen bei der Batterieentsorgung und man muss sich anschauen, wo die Rohstoffe herkommen und unter welchen Bedingungen beispielsweise Kobalt im Kongo abgebaut wird. Das ist erschütternd. Wir zerstören da unsere Erde, weil wir sagen, wir retten die Welt mit Elektromobilität.

Spüren Sie den Handelsstreit?

Das Motorrad ist nicht betroffen. Indirekt macht sich das bemerkbar, wenn dadurch Sand ins konjunkturelle Getriebe kommt.

Wie bewerten Sie die protektionistischen Strömungen?

Die Globalisierung erfährt starke Gegenbewegungen, nationale Strömungen, Handelsbarrieren. Die Globalisierung hat dazu beigetragen, dass die Mittelschicht unter Druck kommt. Andererseits haben viele Emerging Markets profitiert. Aber bei uns gibt es unten prekäre Arbeitsverhältnisse, die Mittelschicht gerät unter Druck und oben gibt es ein paar, die abkassieren. Das kann nicht aufgehen, das führt zu Strömungen, wie man sie am rechten und linken Rand oder bei den Gelbwesten sieht. Die Mitte wird vergessen. Und das ist auch meine Botschaft an Politiker: Schauts auf die Mitte, die das System trägt. Steuern auf Arbeit gehören nach unten, als solider Arbeiter musst du dir noch Wohlstand schaffen können. Das geht aber kaum noch.

Verschärft sich diese Entwicklung in globaler Dimension noch?

Ja, da kann man als nationale Regierung oft gar nicht mehr viel ausrichten. Beispiel Finanztransaktionssteuer, die wäre sinnvoll, ich bin ein Verfechter davon. Aber wenn das nicht alle gleichzeitig einführen oder zumindest eine Region wie Europa, kannst du das vergessen.

Hat sich der österreichische Wirtschaftsstandort verbessert?

Das aus meiner Sicht Wichtigste ist 2018 mit der Arbeitszeitflexibilisierung geschehen.

Für die es, Stichwort 12-Stunden-Tag, aber auch viel Kritik gab.

Leider wurde das in der Öffentlichkeit zum Teil völlig verdreht dargestellt. Dieser Schritt war sehr bedeutend für den Standort Österreich, er hat uns wieder in die erste Startreihe gebracht.

Ärgert es Sie, dass Sie aufgrund Ihrer erklärten Unterstützung von Sebastian Kurz im Wahlkampf als 'Besteller' dieses Arbeitszeitgesetzes bezeichnet wurden?

Na ja, manche Dinge wird man gewohnt, aber komplett spurlos geht das natürlich nicht vorüber. Diese Flexibilisierung hat uns Beweglichkeit zurückgebracht. Davor geschah vieles illegal. Diejenigen, die freiwillig mehr arbeiten wollen, haben jetzt auch die Möglichkeit dazu.

Rund um die Steuerreform wird darüber debattiert, wie stark die Körperschaftssteuer, derzeit 25 Prozent, gesenkt werden sollte.

Ich weiß, dass ich dafür jetzt von vielen meiner Kollegen geprügelt werde, aber ich bin der Meinung, dass wir eine Absenkung nicht brauchen. Anstatt für Unternehmen die Steuer zu senken, möchte ich viel lieber, dass das Volumen der Absenkung direkt meinen Mitarbeitern zugutekommt. Etwa, indem Mehrarbeit oder Gewinnprämien von Unternehmen für Beschäftigte nicht zu versteuern sind. Ich habe letztes Jahr jedem Mitarbeiter 2700 Euro Gewinnprämie gegeben, netto sind davon, nach allen Abzügen, gerade einmal 1300 Euro bei jedem angekommen. Hier sollte man ansetzen.

Mit Gerald Kiska betreiben Sie auch die KTM Technologies. Ist das eine Art Versuchslabor?

Ja. Zu rund 60 Prozent arbeiten wir dort für Dritte und zu rund 40 Prozent für hauseigene Entwicklungen. Das ist unser Kreativ-, Denk- und Vorausentwicklungszentrum, damit sind wir weltweit führend. Wir beschäftigen dort bald 400 Mitarbeiter.

Welche Rolle wird das China-Joint-Venture „CF Moto“ spielen, an dem KTM 49 Prozent hält?

Das ist ein vorbereitendes Projekt. Wir sehen in China erste Tendenzen, wie bei uns in den 1970er- und 1980er-Jahren, dass das Motorrad ein Freizeit- und Sportartikel wird. Und dafür muss man in ein, zwei Jahren präsent sein, mit lokaler Fertigung und den Zulieferketten.

Wie wichtig ist der Motorsport?

Das ist unsere Kern-DNA, der Treiber. Ohne Rennsport wäre das alles nicht möglich, der Wettbewerb ist das Einzige, was dich immer frisch hält. Es gibt nichts Motivierenderes.