Sony verlegt aus Sorge um den künftigen Weg Großbritanniens seinen Europasitz von London nach Amsterdam. Klar: Man will seinen Europasitz in Europa haben!
Sony ist nicht der Erste und wird nicht der Letzte sein. Das gegenwärtige unwürdige Schauspiel rund um den Brexit samt all seinen parteitaktischen Hintergründen ermutigt niemanden, schon gar nicht in der Wirtschaft. Dort sind Sicherheit, Vertrauen und Verlässlichkeit gefragt. Jüngst hat auch Airbus angekündigt, sich bei einem Hard Brexit aus Großbritannien zurückziehen zu wollen. Tausende Arbeitsplätze wären weg, der Standort auch in seinem Renommee schwer geschädigt. Ich habe noch nie so viele junge Menschen für Europa demonstrieren gesehen, wie in diesen Wochen und Monaten in London. Auch sie bringen ihre Wut und Enttäuschung über den Umgang mit ihrer Zukunft zum Ausdruck. Sie fühlen sich für sie wichtiger Lebensperspektiven beraubt.
"Politisch könnte Großbritannien die EU verlassen"
Ein vernünftiger Ausweg aus diesem Schlamassel wäre relativ einfach und würde den Wünschen aller Beteiligten entsprechen: Politisch könnte Großbritannien die EU verlassen, im europäischen Wirtschaftsraum aber verbleiben. Natürlich mit den damit verbundenen Kosten. Aber wo regiert derzeit die Vernunft
Österreich liefert Waren und Dienstleistungen im Ausmaß von sechs Milliarden Euro nach Großbritannien. Erfreulich, dass es sich bei diesen Lieferungen um qualitativ hervorragende Produkte mit einem guten Preis-Leistungs-Verhältnis handelt. Dadurch halten sie auch Zölle und andere Hemmnisse, die da kommen mögen, leichter aus.
Aber es geht nicht nur um die Exporteure, es geht nicht nur um die 250 Niederlassungen, die österreichische Unternehmen in Großbritannien haben, es geht auch um die indirekten Folgewirkungen für Österreich, wenn andere Länder wie Deutschland oder die Niederlande massiv von den Folgen eines ungeordneten Brexit betroffen wären.
"Hauptgeschädigte wären die Briten selbst"
Aus meiner Sicht ist ein „Hard Brexit“, ein ungeregelter Austritt, jedoch unwahrscheinlich. Denn mehr als 50 Prozent der Exporte von Großbritannien gehen in die Europäische Union! Diese sind lebenswichtig für die Engländer. Damit wären die Hauptgeschädigten die Engländer selbst. Und es gibt noch ein zweites wichtiges Argument, das gegen einen Hard Brexit spricht: Mit Nordirland würde es nicht nur eine wiedererrichtete Grenze geben, sondern der Friedensprozess zwischen der Republik Irland und der britischen Provinz Nordirland würde beendet werden und der alte Konflikt neu aufflammen. Wie real die Gefahr ist, zeigte jüngst ein Anschlag in Nordirland. Europa und der gemeinsame Markt hatten das Friedensabkommen 1998 ermöglicht. Mit dem Austritt Großbritanniens wäre der alte Konflikt wieder akut.
Daher gehe ich davon aus, dass es nicht zum Hard Brexit kommt, sondern es eine andere Lösung geben wird. Diese Lösung muss Großbritannien finden. Das Abkommen mit der EU liegt auf dem Tisch und es ist erfreulich, dass die EU in seltener Einigkeit dazu steht.
Rein wirtschaftlich gesehen wäre selbst der Worst Case, ein Hard Brexit, für Österreich zwar unangenehm, aber nicht bedrohlich. Was demgegenüber schwerer wiegt, ist eine mit einem Brexit verbundene Stimmung.
"Habt das Bild der jungen Menschen vor Augen"
In Zeiten abflauender Konjunktur, einer täglich zunehmenden Herausforderung durch China und angesichts nationalistischer und protektionistischer Strömungen in der Welt würde das Vertrauen in eine gute Wirtschaftsentwicklung und damit die Bereitschaft zu Investitionen vermindert werden. Und das ist genau das Gegenteil dessen, was wir in Österreich und Europa jetzt brauchen!
Daher der Appell der Wirtschaft an die verantwortlichen britischen Politiker: Habt das Bild der jungen Menschen vor eurem Parlament in London vor Augen, für deren Zukunft ihr verantwortlich seid!
Christoph Leitl ist Präsident der Europäischen Wirtschaftskammer „Eurochambres“