Trotz Drohungen aus Washington hat das EU-Parlament dem deutsch-französischen Kompromiss im Streit um die Pipeline Nord Stream 2 zugestimmt. Am Dienstagabend sei eine Einigung auf eine entsprechende Reform der Gas-Richtlinie erzielt worden, erklärte das EU-Parlament in Straßburg. Die USA bekräftigten ihre kompromisslose Haltung gegenüber der deutsch-russischen Pipeline.
Nord Stream 2 soll Gas von Russland durch die Ostsee nach Deutschland transportieren. Insbesondere östliche EU-Staaten sowie US-Präsident Donald Trump sehen das Projekt äußerst kritisch: Deutschlands Abhängigkeit von Moskau würde wachsen, Polen und die Ukraine als bisherige Transitländer für Gaslieferungen würden geschwächt.
Deutschland war an vorderster Front, die Einigung heute ausdrücklich zu begrüßen. Der deutsche Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) hat den EU-Kompromiss als "wichtige Entscheidung" bezeichnet. Die Einigung auf EU-Ebene ermögliche den Fortgang der Arbeiten und mache die Realisierung des Projekts möglich, sagte Altmaier am Mittwoch im Deutschen Bundestag. "Das Ergebnis ist, dass diese Leitung trotz ungeklärter Rechtsfragen europäisch reguliert wird - aber nicht in einer Tiefe, wie es ursprünglich von der Kommission geplant war und so, dass Deutschland in erheblicher Weise an diesen Entscheidungen mitwirken kann."
Mit OMV-Beteiligung
Altmaier verteidigte das Projekt erneut gegen Kritik. In Deutschland werde in einer Übergangszeit mehr Gas benötigt. Das seit Jahren umstrittene Pipelineprojekt Nord Stream 2 muss sich auf neue EU-Vorschriften einstellen, kann aber voraussichtlich weiter gebaut und betrieben werden. An der Finanzierung des Pipelineprojekts ist auch die österreichische OMV beteiligt.
Die neue EU-Gas-Richtlinie werde sich auch auf die Eigentumsverhältnisse bei der deutsch-russischen Gas-Pipeline Nord Stream 2 auswirken, da sie auch für im Bau befindliche Leitungen gelte, wurde heute in Berlin bestätigt. Erzeugung und Vertrieb des Gases dürften nicht aus einer Hand kommen. Derzeit sind die Leitung und die Förderung in der Hand des russischen Staatskonzerns Gazprom. Experten erwarten, dass die Entscheidung den Bau von Nord Stream 2 vielleicht verzögert, aber nicht stoppen wird.
Die EU-Kommission hatte bereits 2017 unter anderem wegen der Bedenken bezüglich Nord Stream 2 neue Regeln für Gas-Pipelines vorgeschlagen. Im März 2018 schloss sich das EU-Parlament dem mit breiter Mehrheit an. Bis vergangene Woche konnte Deutschland mit der Unterstützung von Frankreich und weiterer Staaten jedoch eine Mehrheit unter den Mitgliedstaaten für diese Reform verhindern.
Kompromiss zwischen Deutschland und Frankreich
Die jetzige Einigung fußt auf dem vergangene Woche erzielten Kompromiss zwischen Deutschland und Frankreich. Sie sieht vor, dass "alle künftigen Gaspipelines aus Drittstaaten, einschließlich Nord Stream 2, den EU-Vorschriften entsprechen", erklärte der Berichterstatter des EU-Parlaments, Jerzy Buzek.
Allerdings muss künftig das Land, in dem die Leitung erstmals auf das europäische Netz trifft, das Projekt auf seine Vereinbarkeit mit EU-Regeln prüfen. Im Falle von Nord Stream 2 wäre das Deutschland. In letzter Instanz soll die EU-Kommission entscheiden.
Die Grünen-Europaabgeordnete Rebecca Harms erklärte am Mittwoch, die Einigung auf die Gas-Richtlinie sei "ein wichtiger Schritt hin zu einer gemeinsamen europäischen Energiepolitik". Die Erdgas-Produktion und der Betrieb von neuen Pipelines dürfen demnach nicht in einer Hand sein. "Diese Entflechtung soll die Macht der Gasriesen begrenzen und die Energiesicherheit in der Europäischen Union verbessern."
Ausnahmen möglich
Nach Angaben der EU-Kommission ist es Ziel des Vorhabens, das EU-Energierecht auf Gaspipelines aus und in Drittstaaten auszuweiten. Ausnahmen seien nur nach einem strengen Verfahren möglich, in dem die Kommission eine entscheidende Rolle spiele. Dies sei ein großer Schritt in Richtung eines gut funktionierenden, transparenten und wettbewerbsfähigen EU-Gasbinnenmarktes, teilte die Kommission mit. "Die neuen Vorschriften stellen sicher, dass das EU-Recht auf Pipelines angewendet wird, die Gas nach Europa transportieren, und dass alle, die daran interessiert sind, Gas nach Europa zu verkaufen, das europäische Energierecht einhalten müssen", erklärte Energiekommissar Miguel Arias Canete. Mindestens 10 Prozent der Pipeline-Kapazität muss für Wettbewerber offen gehalten werden.
US-Außenminister Mike Pompeo bekräftigte am Dienstagabend in Warschau erneut die Ablehnung aus Washington gegenüber der deutsch-russischen Pipeline. Trump habe "sehr deutlich" gemacht, "dass Amerika alles in seiner Macht Stehende tun wird, dass Europas Sicherheit bei Energieentscheidungen an erster Stelle steht", antwortete Pompeo bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit seinem polnischen Kollegen Jacek Czaputowicz auf die Frage, ob die USA Sanktionen erwögen.
Die Pipeline "leitet Geld" auf einem Weg nach Russland, der Europa letztendlich wehtun werde, sagte Pompeo weiter. Zudem sei das Projekt mit "enormen Sicherheitsrisiken" verbunden.
In Berlin hatte am Dienstag der deutsche Wirtschaftsminister Altmaier auf einer Konferenz mit dem US-Vize-Energieminister Dan Brouillette angekündigt, Deutschland werde künftig sehr viel mehr Flüssiggas aus dem Ausland kaufen, auch aus den USA, einem der mittlerweile größten Produzenten. Einen "Deal" - Deutschland kauft LNG aus den USA, die dafür ihre Kritik und Sanktionsdrohungen gegen die deutsch-russische Pipeline Nord Stream 2 fallen lassen - wiesen Altmaier und Brouillette zurück.