Siemens-Chef Joe Kaeser ist dafür bekannt, sich nicht nur zu den Geschicken seines Unternehmens zu äußern, sondern gerne auch zu den globalen und gesellschaftspolitischen Herausforderungen dieser Zeit. So wollte er auch eine Twitter-Mitteilung verstanden wissen, die im Ringen um die geplante Fusion der Siemens-Zugsparte mit dem französischen Konkurrenten Alstom am Vortag für Wirbel gesorgt hatte.
"Wer Europa liebt, der sollte seine Zukunft gestalten und sich nicht in rückwärts gerichteten Formeln verlieren", schrieb der Konzernleiter unter einen Tweet von EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager. "Es muss bitter sein, wenn man technisch recht hat, aber für Europa doch alles falsch macht", fuhr er fort.
Die Nachricht war weithin als direkte Kritik an Vestagers Haltung verstanden worden: Die Kommissarin steht dem geplanten Zusammengehen der ICE- und TGV-Produzenten äußerst skeptisch gegenüber, weil sie um die Wettbewerbsfähigkeit des EU-Binnenmarkts fürchtet. Jüngst hatte Siemens bei den Zugeständnissen noch einmal nachgelegt.
Politik steht hinter Siemens
Dennoch droht die Fusion zu scheitern. Die Politik macht daher Druck und fordert eine Änderung des EU-Wettbewerbsrechts. Die Regierungen fürchten langfristig um die europäische Wirtschaft angesichts staatsgelenkter Konzerne aus China wie der weltgrößte Zughersteller CRRC, die zunehmend global agieren. Kein Wunder also, dass der Ton rauer wird.
Doch am Mittwoch relativierte Kaeser den Tweet - und gab sich entspannt. "Ich könnte mich gar nicht erinnern, dass ich an die Kommissarin geschrieben habe", sagte er bei der Vorlage der Zahlen für das erste Quartal. "Zweitens habe ich nicht über Siemens-Alstom gesprochen." Es sei ihm allgemein um einen viel größeren Sachbezug gegangen.
Mit Blick auf die Fusion sagte Kaeser: "Es wäre für alle Beteiligten gut, wenn sie gelänge. Aber wir werden sie nicht um jeden Preis suchen." Die Teams hätten ein "sehr ausgewogenes Konzept" vorgelegt, nun liege der Ball bei der EU-Kommission. Hinter den Kulissen konnte man vernehmen, dass die Nerven zumindest angespannt sind.
Ausgliederungen
Die geplante Siemens-Alstom-Fusion ist indes nicht die einzige Baustelle, die die Verantwortlichen sowie die Aktionäre derzeit beschäftigt. Der Konzern steckt im Umbau und soll schlanker werden. Im Rahmen der Strategie Vision 2020+ erhalten einzelne Geschäftsbereiche mehr Eigenständigkeit. Drei operative Gesellschaften bleiben im Unternehmen: Die angeschlagene Kraftwerkssparte, das Geschäft mit digitalen Industrie-Prozessen sowie mit Lösungen für eine künftige smarte Infrastruktur.
Die Windenergie sowie die Medizintechnik hat Siemens hingegen schon an die Börse gebracht. Siemens-Alstom soll nun folgen. "Die Vision 2020+ ist, was die organisatorische Umsetzung angeht, voll im Plan", sagte Kaeser auf der Hauptversammlung. Die Fusionspläne wurden von den Anteilseignern weitgehend positiv aufgenommen.
Sie teilen auch die langfristigen Marktargumente bezüglich der Fusion mit Blick auf China. Doch das drohende Scheitern macht ihnen Sorgen: "Wie sieht Ihr Plan B im Falle eines Scheiterns des Zugdeals mit Alstom aus?", frage etwa Aktionärsvertreter Andreas Keller von Union Investment. Alle Optionen stünden offen, betonte Kaeser erneut.
Kriselnde Kraftwerksparte
Auch die Zukunft der kriselnden Kraftwerksparte interessierte die Aktionäre. Überkapazitäten bei Gasturbinen und der Wandel weg von der fossilen Energieerzeugung machen der Branche schwer zu schaffen. Siemens konnte zwar im neuen Geschäftsjahr den Auftragseingang steigern - Umsatz und Ergebnis der Sparte gingen jedoch erneut deutlich zurück.
Mit Blick auf den Gesamtkonzern konnte Siemens allenfalls durchschnittliche Zahlen vorweisen. Unterm Strich verdiente der Konzern wegen wegfallender Sondereffekte im ersten Quartal 1,1 Milliarden Euro - um knapp 50 Prozent weniger als im Vorjahreszeitraum.
Das bereinigte Ergebnis (Ebita) der Industriegeschäfte sank in den drei Monaten per Ende Dezember um 6 Prozent auf knapp 2,2 Milliarden Euro. Der Umsatz legte im ersten Quartal im Vergleich zum Vorjahr hingegen zu - um 1 Prozent auf 20,1 Milliarden Euro. Deutlich zulegen konnte Siemens zudem im Neugeschäft. Vor allem dank einer starken Entwicklung in der Zugsparte stiegen die Auftragseingänge um 12 Prozent auf 25,2 Milliarden Euro.
"Aus Sicht des Kapitalmarkts ist in einem großen Industriekonglomerat wie Siemens leider immer irgendwo Krise", sagte Keller von Union Investment. Von einer solchen ist Siemens weit entfernt - selbst im Falle einer Ablehnung der Fusion mit Alstom durch die EU-Kommission. Mit Blick auf die chinesische Konkurrenz müsste sich indes langfristig nicht nur Siemens dann etwas einfallen lassen.