Mitten in der größten Krise seiner Geschichte forciert der Volkswagen-Konzern den Wandel zu einem Anbieter von Elektroautos. Der Aufsichtsrat soll Unternehmenskreisen zufolge am kommenden Freitag (16. November) grünes Licht für den Plan von Konzernchef Herbert Diess geben, in den nächsten Jahren drei Werke auf die Produktion von rein batteriegetriebenen Fahrzeugen umzustellen - zwei mehr als bisher geplant.
Der wenig gefragte Mittelklassewagen Passat soll aus Emden in ein Skoda-Werk in Tschechien verlagert werden. Dadurch soll in der Fabrik in Ostfriesland mit 9.000 Beschäftigten Platz geschaffen werden, um dort in großem Stil E-Autos zu bauen. Auch das VW-Transporterwerk in Hannover soll umgepolt werden. In Zwickau in Sachsen laufen solche Vorbereitungen bereits. "Mit dieser Strategie wollen wir in einem hochpreisigen Land die Beschäftigung sichern", sagte ein Spitzenmanager.
Geld aus Sparprogrammen
Der weltgrößte Autobauer steht wegen der von ihm verursachten Dieselkrise und schärferer Klimavorgaben unter Druck und geht nun in die Offensive. "Wir wollen nicht nur Gesetze erfüllen, sondern darüber hinausgehen", sagte der Insider. Ziel sei, die Vorgaben des Pariser Klimaabkommens einzuhalten. Luft für die damit verbundenen Investitionen will sich der Konzern durch Sparprogramme in Milliardenhöhe bei mehreren Marken verschaffen. "Wir müssen das selbst erbringen." Die bis Ende 2022 beschlossenen Investitionen von 34 Mrd. Euro in die Elektromobilität, autonomes Fahren, Digitalisierung und neue Mobilitätsdienste sollen nicht wesentlich steigen.
Um bei der geplanten Steigerung der Zahl an Elektroautos die nötigen Menge an Energiespeichern zur Verfügung zu haben, verhandeln die Niedersachsen mehreren Eingeweihten zufolge über eine Partnerschaft mit dem koreanischen Batteriezellenhersteller SK Innovation. Ziel ist der Bau einer Batteriezellenfabrik in Europa, wie es in Konzernkreisen hieß. In Deutschland sei das aktuell ökonomisch ohne massive Hilfe der Politik nicht machbar. "Politik und Wirtschaft sollen die Zukunft gemeinsam gestalten", sagte ein Spitzenmanager. Davon unabhängig sind einem Unternehmensinsider zufolge die Pläne von Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU), der eine Anschubfinanzierung für ein Industriekonsortium zur Fertigung von Batteriezellen in Aussicht gestellt hat. Details werden kommende Woche erwartet, wenn Altmaier auf einem Kongress in Berlin über Elektromobilität sprechen soll.
200.000 Einheiten pro Jahr
Die Pläne von Volkswagen für das Werk in Emden sehen vor, dort ein besonders günstiges Elektromodell mit einer Stückzahl von 200.000 Einheiten im Jahr zu bauen. Das intern "MEB entry" genannte Fahrzeug soll für unter 20.000 Euro zu haben sein. Daneben soll dort der Elektro-Passat I.D. Aero mit einer Stückzahl von 100.000 Einheiten vom Band rollen, womit Emden auf eine Kapazität von rund 300.000 Fahrzeuge käme.
In Hannover soll der elektrische Bulli-Nachfolger I.D. Buzz mit einer Stückzahl von mehr als 100.000 Einheiten gebaut werden. Das Werk, in dem unter anderem der Transporter T6 vom Band rollt, soll in den nächsten Jahren weitere Elektrofahrzeuge bekommen, darunter Insidern zufolge auch den Lounge SUV und den I.D. Cargo. Dafür soll ein Teil der Transporterproduktion an ein Werk des künftigen Partners Ford in der Türkei abgegeben werden. Mit dem zweitgrößten US-Autobauer verhandeln die Niedersachsen Insidern zufolge über eine breit angelegte Allianz bei autonomen Autos und batteriegetriebenen Stadtflitzern.
Das Werk in Zwickau wird bereits zu einem europäischen Standort für die Serienproduktion von Elektrofahrzeugen umgebaut. Den Anfang soll dort Ende 2019 der kompakte I.D. Neo machen, den VW als erstes "CO2-neutrales Fahrzeug" anpreist. Der I.D. Cross soll ab 2020 folgen. Um Platz zu schaffen, wurde die Produktion des Passat in Zwickau im Sommer eingestellt. Golf und Golf Variant, die dort noch vom Band laufen, sollen nach und nach an das Stammwerk Wolfsburg abgegeben werden.
Der Passat soll künftig im Skoda-Werk im tschechischen Kvasiniy produziert werden, wo bereits der Superb hergestellt wird. Beide Modelle teilen sich die gleiche Plattform. Dafür sollen die Geländewagen Ateca von Seat und Karoq aus Kvasiny in ein neues Werk verlagert werden, das Volkswagen mit einer Kapazität von 350.000 Einheiten in Osteuropa plant. Ein Standort dafür wird noch gesucht.