Herr Gschwandtner, was sind eigentlich 70 Prozent von 4000?
Ich würde meinen 2800.
Sie sagen in Interviews gerne, wenn jemand für diese Rechnung länger als 30 Sekunden braucht, sollte er sich nicht unbedingt bei Runtastic bewerben. Tun Sie sich aktuell leicht, neue Mitarbeiter zu finden?
Es kommt auf den Bereich drauf an. Gerade im technologischen Segment – Software-Engineering, Data-Engineering – ist es richtig schwierig. Auch die Großkonzerne brauchen heute Software. Deswegen rekrutieren wir viele im Ausland, über 40 Prozent der Belegschaft kommt nicht aus Österreich.
Sie selbst gehen mit Jahresende einen anderen Weg. Haben Sie schon Pläne für die drei bis sechs Monate Auszeit?
Ehrlich gesagt nicht. Das war ja mein wichtigster Plan, dass ich keinen Plan habe. Aber im Jänner möcht ich auf alle Fälle mehr Zeit auf den Skiern verbringen. Das ist in den letzten Jahren zu kurz geraten. Ich hab mich vor zehn Jahren ja mit dem Hintergedanken selbstständig gemacht, nicht nur zu arbeiten. Jetzt hat aber das Ding Runtastic so viel Spaß gemacht die letzten Jahre, dass wir wirklich fast nur gearbeitet haben. Wenn ich jetzt nicht gehe, würd ich das vielleicht ein Leben lang bereuen.
Es heißt, Sie wollen nach Ihrer Auszeit stärker als Investor auftreten. Welche Unternehmen suchen Sie dann?
Ich hab mit meinen Gründerkollegen eine Beteiligungs-GmbH und da haben wir schon jetzt an die zehn Investments. Wir suchen technologische Dinge und Sachen, die einen Mehrwert leisten.
Wie attraktiv ist denn der Start-up-Standort Österreich mittlerweile? Man hört diesbezüglich ja stets geteilte Meinungen.
Es herrschte in den letzten Jahren jedenfalls ein ziemlicher Hype rund um das Thema. Und das war nicht nur positiv – es ist meiner Meinung auch die Qualität nach unten gegangen. Jedes dritte Start-up hat wenig vorzuweisen, aber eine „Pre-money valuation“ (Bewertung vor einem Investment, Anm.) von zwei Millionen Euro. Ich glaub aber schon, dass sich von 2009 bis jetzt sehr viel zum Positiven verändert hat.
Meinen Sie nicht, dass solche Geschichten wie Runtastic – mit einem 220-Millionen-Euro-Exit – mitverantwortlich sind für die rosa Brille in der Szene, die Sie erwähnt haben?
Ja, definitiv. Aber sind wir vielleicht auch mitverantwortlich, dass aus der ganzen Szene mehr geworden ist? Das glaub ich schon auch. Geschichten wie unsere verringern Einstiegshürden. Das hab ich auch versucht, im Buch zu beschreiben. Ich war nie ein Wunderwuzzi. Ich war bei den Noten ok, durch meinen Ehrgeiz vielleicht im besseren Drittel. Aber man kann sehr weit kommen, wenn man einfach ein bisschen mehr tut als andere.
Sie schreiben, dass es nicht darum gehe, „Niederlagen zu vermeiden, sondern richtig mit ihnen umzugehen“. Durchlebten Sie mit Runtastic auch ernsthafte Krisen?
Ehrlich gestanden: Fast gar nicht. Das hat aber nichts damit zu tun, dass wir so super sind. Auch wir haben Produkte auf den Markt gebracht, die nicht funktioniert haben. Aber wir gingen immer intuitiv weiter, ließen uns nicht zurückfallen. Wir haben Geld gesucht und kein Geld bekommen – Ok, sind wir halt am Wochenende arbeiten gegangen, um uns was anderes zu überlegen und damit Geld zu verdienen.
Wann haben Sie eigentlich gemerkt, dass Runtastic so richtig abhebt?
Wir sind nach 18 Monaten Cashflow-positiv geworden, das war zum ersten Mal so richtig geil. Es kommt plötzlich mehr Geld rein, als du brauchst. Dann haben wir gesagt: jeden Euro in die Firma investieren. Wir haben uns noch weniger ausbezahlt. Ein halbes Jahr später erhöhten wir die Löhne leicht – als es in einem Monat aber nicht so gut gelaufen ist, haben wir bei den vier Gründern sofort wieder auf 900 Euro zurückgestellt.
Und dann beteiligte sich Österreichs bekanntester Start-up-Investor, Hansi Hansmann.
Ja, der Hansi Hansmann wollte schon länger bei uns investieren. Aber wir dachten zunächst, kein Geld zu brauchen. Der Deal mit ihm war dann aber wirklich cool und fair – und wir konnten plötzlich unsere vergangenen Jahre durchrechnen und sahen, Ok, jetzt haben wir fast ein normales Gehalt verdient. Der erste größere Deal mit Axel Springer war dann irgendwie surreal muss man fairerweise sagen.
Zwei Jahre später kam Adidas und legte 200 Millionen Euro auf den Tisch.
Ja. Man muss sich eigentlich immer wieder in die Realität zurückholen. Ich bin ja auch öfters am Bauernhof zuhause und weiß schon noch immer, wo ich herkomme. Auch wenn mir Facebook die Bilder der letzten Jahre zeigt und ich mein altes, kaputtes Auto sehe. Das ist nicht lange her. Da muss man demütig sein. Auf der anderen Seite: kein schlechtes Gewissen. Es ist alles selber verdient, wir haben niemanden weh getan.
Was hat sich im Unternehmen verändert? Wie viel Konzern brachte Adidas ins Start-up?
Jetzt bewusst noch nicht viel. Wir haben für die ersten Jahre eine Art Firewall zwischen Adidas und Runtastic aufgesetzt. Man kennt das ja von vielen anderen Start-ups: Das große Unternehmen kommt, dann die „SAP-Einführung“, dann die „Prozesse“ und dann ist ein Start-up halbtot – das wollten wir vermeiden. Unsere Firewall heißt, dass nur der CMO von Adidas und ich miteinander reden. Das hat die ersten Jahre gut funktioniert. Jetzt schauen wir uns an, wo wir künftig enger zusammenarbeiten können und haben etwa letztes Jahr die Kooperation mit Adidas Runners, der Laufcommunity von Adidas, begonnen.
Und wo soll die Reise hingehen?
Naja, ich denke da oft an das Prinzip von Rasierer und Klinge. Runtastic muss der Rasierer sein – der viele Leute in das System reinholt und sie zufrieden macht. Später könnte man diesen Kunden mit der richtigen Sportkleidung oder Sportschuhen ausstatten.
Sie haben einmal gesagt, dass Sie sich heute besseren Urlaub und bessere Autos leisten können als vor ein paar Jahren. Aber vor allem, dass Sie sich als Führungsperson verändert haben. Inwiefern?
Ich war sehr auf Micromanagement bedacht – über alles noch einmal drüberschauen. Oder ich bin in den Meetingraum reingegangen und hab sowieso schon gewusst, wie wir es machen. Und was ist irgendwann passiert? Viele Leute haben zum Denken aufgehört und gesagt, der Flo weiß sowieso wie wir es tun. So bildest du keine Leader, keine Führungskräfte aus. Und so skalierst du auch nicht. Ich hab dann gelernt, Verantwortung auszulagern.
Wollten Sie immer Gründer sein?
Ich wollte prinzipiell schon Unternehmer werden und hab das auch bald im Leben so gesagt. Ich hatte nur lange keine Ahnung, wie und was. Aber Richard Branson hat ja auch gesagt, hätte er gewusst wie eine Airline funktioniert, hätte er sicher keine gegründet. Manchmal ist es ein Vorteil naiv zu sein. Und nicht zu wissen, was auf einen zukommt.
Nehmen es Ihnen Ihre Eltern eigentlich übel, dass Sie den Bauernhof nicht weiterführen?
(lacht) Mittlerweile absolut nicht mehr.