Vor 140 Jahren gelang einem gewissen Adolf Erik Nordenskiöld ein seefahrerisches Bravourstück: Der Schwede durchfuhr mit der "Vega" 1878 und 1879 die Nordostpassage, die 6000 Seemeilen lange Route von seinem Heimatland bis nach Prowidenija in der Beringstraße. 13 entbehrungsreiche Monate brauchte er, mehrfach fror der Auxiliarsegler, ursprünglich ein Walfänger, fest.

Erstes Schiff auf dem Weg

Nun schickt Maersk, die weltgrößte Containerschiff-Reederei an, erstmals eines ihrer Schiffe, die "Venta Maersk", auf die Arktis-Route. Es geht von Asien nach Europa, vom südkoreanischen Busan der russischen Nordküste entlang bis St. Petersburg, wo es Ende September einlaufen soll. Wirklich nur ein Testlauf, um auszuloten, was möglich ist? Ein Vorbote, der den Weg in ein ökologisch hochfragiles Gebiet ebnet? Auftakt zur Ausbeutung einer der letzten Schatzkammern unserer Erde?

Es ist eine Entwicklung, eng gekoppelt an die klimatische (Fehl-)Entwicklung auf dem Planeten: Vor zehn Jahren, im August 2008, waren die Nordwest- und Nordostpassage (siehe Grafik) erstmals gleichzeitig eisfrei. Satellitendaten belegen: Das arktische Eis wird dünner, verliert an Fläche. Erst im heurigen Februar war der monatliche Durchschnittswert mit 14 Millionen Quadratkilometern niedriger als jemals zuvor seit Beginn der Beobachtung, so das Alfred-Wegener-Institut (AWI) für Polar- und Meeresforschung in Bremerhaven. Die Langzeitentwicklung ist für die Wissenschaft eindeutig: Die Eisfläche im arktischen Sommer ging insgesamt um 40 Prozent zurück.



Gleichzeitig nimmt der Verkehr dort zu. Das Interesse an einer künftig eisfreien Expressroute ist riesig. Eine eines Tages ganzjährig befahrbare Arktisroute könnte zu einem neuen Suez-Kanal werden und die Kräfte im Welthandel neu ordnen. Eine kürzere Route würde den Gütertransport wesentlich beschleunigen, Kosten sparen und enorme Wettbewerbsvorteile bringen – kurzum: den Profit unter volle Segel setzen.

Adam Pawloff, Klima- und Energieexperte von Greenpeace, gibt sich im Interview zumindest "hoffnungsvoll, dass es nicht allzu schnell zu einem regen Fährverkehr über eine eisfreie Arktis kommt." Geht man von den Prognosen des Weltklimarates der Vereinten Nationen (IPCC) aus, könnte indes Mitte dieses Jahrhunderts die Nordostpassage für drei Monate, die Nordwestpassage für zwei Monate im Jahr eisfrei sein. Auch Meereis-Experte Christian Haas vom AWI, bestätigt, dass sich die Zeiten im Sommer, in denen beide Strecken ohne Eisbrecher-Unterstützung schiffbar sind, ausdehnen.

Greenpeace sieht die Ökologie akut bedroht, unabschätzbar wären die Folgen einer Ölpest im arktischen Raum. In der Antarktis gebe es Umweltschutzbestimmungen, nicht so beim nördlichen Gegenüber: "Hier gibt es Anrainer-Staaten, die ihre politischen und wirtschaftlichen Interessen massiv vertreten", erläutert Pawloff. Norwegen treibt seine Ölfelder immer weiter gen Norden, das Putinsche Russland forderte längst seine Hoheitsrechte über 1,2 Millionen Quadratkilometer in der Arktis ein.

Viele erheben Rechte

Selbst China, bekanntlich kein Anrainerstaat, pocht auf Rechte. In einem "Weißbuch zur arktischen Politik" wird die Strategie der Volksrepublik umrissen. Man verstehe sich als "Anteilshaber" der Arktis und beruft sich dabei auf Milliarden-Investitionen: Die Passage könnte Baustein im monumentalen Infrastrukturprojekt Chinas werden, "Neue Seidenstraße" genannt. Peking geht davon aus, dass die Polarmeere "bis Mitte des 21. Jahrhunderts weitgehend eisfrei sein werden."

Noch hält die Polkappe dagegen: Nach wie vor müssen Schiffe der "Eisklasse" mit verstärktem Rumpf eingesetzt werden, begleitet von Eisbrechern, um auch in den an sich eisfreien Monaten auf Nummer sicher zu gehen. Doch der Mensch hat angeklopft, er tritt bereits durch den arktischen Vorhof – und der Klimawandel leistet unablässig Vorarbeit.