Seit Jahren beschäftigt das Thema die Gerichte – und nun auch wieder die Politik. ÖVP und FPÖ wollen den Rücktritt von Lebensversicherungen neu regeln, ein Gesetzesvorschlag der Regierungsparteien gelangt heute in den Finanzausschuss des Parlaments. Die neue Regelung soll ab Anfang 2019 gelten.
Der Plan ist heftig umstritten. Betroffen sind mehrere Millionen Verträge in Österreich – es geht also um viel Geld.
Zur Vorgeschichte: Ende 2013 urteilte der Europäische Gerichtshof, dass Versicherungsnehmern im Fall, dass sie nicht oder fehlerhaft über die Rücktrittsfrist informiert wurden, ein unbefristetes Rücktrittsrecht von ihrer Lebensversicherung zusteht. Die Folge daraus und aus einem weiteren Urteil des Obersten Gerichtshofes in Wien 2015 ist, so erklärt Florian Müller, ein auf Versicherungsrecht spezialisierter Rechtsanwalt in Innsbruck, der Kleinen Zeitung: „Der Versicherungsnehmer ist so zu stellen, als hätte er den Vertrag nie geschlossen. Sämtliche Beiträge, die er einbezahlt hat, sind samt der gesetzlichen Zinsen von vier Prozent pro Jahr zurückzuzahlen.“
Der Versicherungsverband betont, die vier Prozent Zinsen seien in keinem Höchsturteil festgeschrieben worden. „Das sind einzelne Entscheidungen.“
"Unhaltbare Situation"
So weit, so klar? Müller – er hat wie andere Rechtsanwälte bereits mehrere Hundert Fälle vertreten – räumt ein, dass die Gerichte nach den Höchsturteilen zu verschiedenen Entscheidungen gelangen. Nicht alle, die den Rücktritt bei Gericht eingeklagt haben, haben auch recht bekommen.
Da haken die Versicherungen ein. Sie fordern ein einheitliches Rücktrittsrecht. „Derzeit haben wir sechs unterschiedliche Rücktrittsvarianten“, sagt der General der Wiener Städtischen, Robert Lasshofer, und ärgert sich über die europarechtliche Judikatur: „Diese Situation ist unhaltbar. Der lebenslange Rücktritt schadet dem Versicherungskollektiv.“
Der Gesetzesentwurf der Regierung freut die Versicherungen, bringt aber die Konsumentenschützer auf die Barrikaden. Die Chefin für Konsumentenpolitik der AK, Gabriele Zgubic, warnt, dass bei einem Rücktritt künftig weniger Geld herauskommen soll. Der Versicherungsverband kontert, man erhalte dann mehr Geld als vor dem EuGH-Urteil.
Die Folgen des Rücktritts
Wer innerhalb eines Jahres ab Vertragsabschluss zurücktritt, soll die eingezahlten Prämien herausbekommen, ohne Zinsen – das sieht der VP/FP-Entwurf vor. Bei Rücktritt ab dem zweiten bis zum Ablauf des fünften Jahres soll es nur den Rückkaufswert plus Abschlusskosten und Stornoabschlag geben, nach fünf Jahren überhaupt nur noch den Rückkaufswert.
Strittig für Anwälte und Verbraucherschützer ist die Frage, ob die Regierungsvorlage vor den Höchstgerichten hält. Für die Versicherungen ist dies unstrittig. Beide Seiten verwiesen gestern auf Gutachten, die ihre Version stützen. Der Linzer Anwalt Michael Poduschka kündigte die Anfechtung beim Verfassungsgerichtshof an.
Tritt das Gesetz wie geplant am 1. Jänner 2019 in Kraft, sind Rücktritte, die bis Ende 2018 erklärt werden, davon nicht betroffen, sagt Anwalt Müller. „Sie müssen nach der derzeitigen Rechtslage behandelt werden.“ Er rechnet in diesem Jahr noch mit einer Welle von Rücktritts- und Klagswilligen. „Das beruht auf der Unzufriedenheit mit den Renditen. Viele haben da viel Geld verloren. Ein häufiges Problem ist auch, dass die Versicherungsnehmer nicht gewusst haben, wie hoch die Vertragskosten sind.“ Aus seiner Praxis könne er sagen, „dass ein Großteil der gerichtsanhängigen Fälle verglichen wird.“