Der Leitantrag des ÖGB für seinen heute, Dienstag, beginnenden Bundeskongress liest sich wie eine Art Gegenprogramm zum Regierungsprogramm. In etlichen Punkten wendet sich das vom Bundesvorstand abgesegnete Papier gegen Vorhaben der Regierung. Das beginnt beim Wunsch nach Arbeitszeitverkürzung, geht über das Verlangen nach Vermögenssteuern bis hin zu einer Öffnung des Lehrstellenmarkts für Asylwerber.
Betitelt ist das gut 120 Seiten starke Papier, das beim Kongress in Wien, der auch die Wahl des neuen ÖGB-Chefs Wolfgang Katzian bringt, bis Donnerstag debattiert und beschlossen werden soll, mit "Faire Arbeit 4.0." Dies legt schon nahe, dass sich der Gewerkschaftsbund verstärkt den Auswirkungen der Digitalisierung widmen will.
Wie der scheidende Präsident Erich Foglar erklärte, ist es jedoch nicht so, dass der ÖGB hier eine "Maschinenstürmer"-Stimmung verbreiten wolle. Ganz im Gegenteil sieht der Gewerkschaftschef in der Digitalisierung "enorme Wachstumschancen", freilich aber auch enorme Gefahren. Daher seien die Rahmenbedingungen so zu definieren, dass der mögliche gesellschaftspolitische Fortschritt auch allen zu gute komme.
Flexible Arbeitszeiten?
Als eine der zentralen Zukunftsfragen sieht der ÖGB die Arbeitszeit. Eine Flexibilisierung werde hier nötig sein, gesteht Foglar zu, aber eben auch eine Reduktion. Als Optionen nennt der Leitantrag das leichtere Erreichen der sechsten Urlaubswoche oder das Nachholen von Feiertagen, die auf das Wochenende fallen. Auf die Altersteilzeit soll es einen Rechtsanspruch geben, gleiches beim "Papa-Monat", und das mit vollem Lohnausgleich. Für Überstunden sollen die Arbeitgeber einen Euro zahlen, wobei das Geld an das AMS und ins Gesundheitssystem gehen soll.
Die von der Regierung sistierte "Aktion 20.000" zur Beschäftigung älterer Arbeitsloser will die Gewerkschaft wieder beleben. Für Foglar gibt es dafür einen ganz simplen Grund. Ernstzunehmende Studien hätten gezeigt, dass die Digitalisierung durch den geringeren Bedarf an Arbeitskräften sinnstiftende Betätigungen notwendig machen werde. Mit der "Aktion 20.000" hätte man testen können, wo in diesem Bereich sinnvoll angesetzt werden könnte.
Wo sich der ÖGB gegen die Regierung stellt
Auch anderen Regierungsvorhaben stemmt sich der ÖGB entgegen, etwa der Abschaffung der Notstandshilfe, einer Reduktion der Mittel für die Kammern, Studiengebühren oder aber einer Abschaffung der Unfallversicherungsanstalt AUVA. Die Mindestsicherung will zwar auch die Gewerkschaft bundeseinheitlich geregelt sehen, das aber ohne Deckel und ohne Einschränkungen für Asylberechtigte. Über Kollektivverträge will die Gewerkschaft einen Mindestlohn von 1.700 Euro erreichen. Freie Dienstnehmer mit arbeitnehmerähnlichen Beschäftigungsverhältnissen sollen in Kollektivverträge aufgenommen werden.
Was die Bildung angeht, will der ÖGB die Schüler fit für die Digitalisierung machen, was derzeit noch nicht ausreichend der Fall sei. "Nur wischen können, wird zu wenig sein", mahnt Foglar. Ferner spricht sich der Leitantrag dafür aus, eine gemeinsame Schule zu etablieren, ebenso die verschränkte Ganztagsschule flächendeckend auszubauen. In diesen beiden Punkten besteht freilich auch keine Einigkeit in der Organisation, lehnen die Christgewerkschafter diese Forderung doch ab. Gleiches gilt für den Wunsch nach Erbschafts-, Schenkungs- und Vermögenssteuer. Das hier eingenommene Geld soll nach Vorstellung des ÖGB zur nachhaltigen Pflegefinanzierung herangezogen werden. Ferner tritt man im Antrag für die Abgeltung der kalten Progression ein, allerdings "unter Berücksichtigung der Verteilungsgerechtigkeit".
Wenig Freude wird die Regierung damit haben, dass der ÖGB chancenreichen Asylwerbern den gesamten Lehrstellenmarkt öffnen will. Zudem kommt neuerlich die Forderung danach, Asylsuchenden, die ein halbes Jahr im Land sind, den Zugang zum Arbeitsmarkt zu ermöglichen. Viel eher den Geschmack des Kabinett Kurz treffen dürfte der Gewerkschaftsbund damit, dass man "als letztes Mittel" Einschränkungen der Freizügigkeit am EU-Arbeitsmarkt für möglich erachtet.
Personelle Weichenstellungen
Am Donnerstag kommt es zu den bereits bekannten personellen Weichenstellungen. Wolfgang Katzian folgt dem in Pension gehenden ÖGB-Präsidenten Foglar nach. Die mächtige Fraktion sozialdemokratischer Gewerkschafter kürt pro-ge-Chef Rainer Wimmer zu ihrem Vorsitzenden und damit zum Nachfolger Katzians in dieser Funktion. Dazu kommt noch die neue ÖGB-Frauenvorsitzende Korinna Schumann als zweite Vizepräsidentin des Gewerkschaftsbunds statt Renate Anderl, die mittlerweile AK-Präsidentin ist. Die Gewerkschaft der Privatangestellten (GPA), der Katzian seit 13 Jahren vorsteht, wird künftig von Barbara Teiber geführt.
Unter Katzian könnte es in den nächsten Jahren zu einer Strukturreform der Gewerkschaft kommen, die der bisherige GPA-Chef immerhin schon lange fordert, ohne sich bis dato damit durchzusetzen. Zentrale Forderung Katzians war eine Särkung der ÖGB-Spitze sowie die Beseitigung von Doppelgleisigkeiten.